Afrikas Himba Stamm im Fokus: Welchen Einfluss hat der moderne Lebensstil auf unsere Wahrnehmung?

Hat der moderne Lebensstil einen Einfluss auf unsere Sinne und Wahrnehmung? Eine Untersuchung des Himba-Stamms in Namibia gibt Indizien zur Beantwortung dieser Frage.
Von 3. Mai 2019

Die Himba sind ein indigenes und halbnomadisches Volk, das hauptsächlich in der Region Kunene im Norden Namibias lebt. Um die 50,000 zählen zum Stamm, der überwiegend von der Viehzucht mit Schafen und Ziegen lebt. Sie bauen auch Getreide, wie Hirse und Mais an.

Diese Hirten leben sehr einfach – anders als der moderne Lebensstil von denjenigen die in Städten leben. Der Stamm setzt sich aus kleineren Familiengemeinschaften zusammen und die Mitglieder dieser Familiendörfer wohnen in runden, hölzernen Hütten, die einen „Okuruwo“ umgeben, ein heiliges Feuer, von dem das Himba-Volk glaubt, das es sie mit den Geistern ihrer Vorfahren verbindet. Diese Heimstätte haben auch eine speziell gebaute Anlage, die sie als „kraal“ bezeichnen, wo sie ihr Vieh beherbergen.

Was das Himba-Volk Namibias jedoch so unverwechselbar aus der Perspektive der Westler macht, ist ihr Aussehen. Bekanntlich bedecken sie ihre Haut mit rotem Ockerpigment, das eine Mischung aus Ton, Sand und Eisenoxid ist.

Eine Himba-Frau in Namibia Foto: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images

Was sie jedoch wirklich vom Rest der Welt unterscheidet, ist die Art und Weise, wie sie die Dinge sehen und wahrnehmen. Schaut man auf dasselbe Objekt, kann man die Dinge sehr unterschiedlich wahrnehmen. Im Falle des Himba-Volkes von Namibia gilt dies nicht nur im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich.

Sie sehen die Dinge nicht nur anders, sondern auch besser als die meisten Menschen. Forschungen zeigen, dass sie sich besser auf Details konzentrieren können und weniger anfälliger für visuelle Ablenkungen sind.

Diese interessante Kenntnis lässt uns fragen: Wie ist das möglich? Wenn wir alle mit denselben Seh- und Wahrnehmungsorganen geboren sind,  sollte eine traditionelle Gemeinschaft wie das Himba-Volk die Umwelt nicht genauso wahrnehmen wie alle anderen?

Wissenschaftler erklären dies damit, dass Sehvermögen und Wahrnehmung nicht nur eine Frage der Biologie und Neurologie sind. Das bedeutet, dass auch externe Faktoren wie die Umwelt und Kultur sie beeinflussen.

Laut Jules Davidoff, Psychologieprofessor der Londoner Universität Goldsmith, hat der moderne Lebensstil einen signifikanten Effekt auf den visuellen Fokus und die Aufmerksamkeit von Menschen in den modernen, städtischen Gesellschaften.

Beim Himba-Volk sehen und nehmen diese halbnomadischen Menschen Dinge so wahr, weil ihr Verstand durch die Modernisierung nicht verändert wurde.

Davidoff führte mehrere Studien und Experimente über Visualität, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit mit dem Himba-Volk als seine Hauptprobanden durch. Seine Ergebnisse unterstützten die Annahme von anderen Wissenschaftlern: Die Modernisierung hat die Art und Weise, wie wir Sehen, Wahrnehmen und den Dingen Aufmerksamkeit schenken verändert.

Deshalb machen Menschen einer traditionellen Kultur, wie die des Himba-Volkes, wahrscheinlich weniger Fehler bei der Wahrnehmung von Größe und Distanz und lassen sich zudem weniger ablenken.

Davidoff verwendete bei seinen früheren Experimenten mit dem Himba Volk oftmals die berühmte Ebbinghaus-Illusion.

Auch bekannt als die Titchener-Kreise. Es geht dabei um die Größenwahrnehmung. Erstmals wurde sie vom berühmten deutschen Psychologen Hermann Ebbinghaus entwickelt, bevor der britische Experimentalpsychologe Edward Titchener sie populär machte.

Titchener-Illusion: Welcher der beiden orangefarbenen Kreise ist größer? Foto: gemeinfrei

Die berühmteste Version dieser optischen Illusion: Zwei Kreise in der gleichen Größe, die nahe beieinander liegen. Der erste Kreis ist jedoch von viel größeren Kreisen umringt, während der zweite Kreis von Kleineren umringt ist.

Zweck ist, dass der Kreis, der von den größeren Kreisen umringt ist, kleiner wirken sollte, als der mittlere Kreis, der von den kleineren Kreisen umgeben ist.

Bei den meisten Westlern funktioniert die optische Illusion: Der erste mittlere Kreis wird kleiner als der andere wahrgenommen.

Als Davidoff jedoch die Bilder den Stammesmitgliedern der Himba zeigte, fielen diese nicht so leicht rein.

Laut einem Artikel, den er mit seinem Kollegen im Journal of Experimental Psychology 2007 veröffentlichte, hatte die Illusion nur eine schwache Wirkung auf die Himba-Stammesleute.

Bei einem Bild mit multiplen Objekten tendieren sie dazu, sich auf die kleineren Details zu konzentrieren – was bei der Ebbinghaus Illusion die Hauptkreise waren und nicht das ganze Bild.

Und weil sie den Kontext von dem was sie sahen ignorierten, sahen sie das Bild von zwei Kreisen, umgeben von großen und kleinen Kreisen – die Illusion konnte ihre Wahrnehmung nicht verzerren.

Davidoff und seine Kollegen testeten das Himba-Volk anschließend auf ihre Präferenz für feine Details, indem sie ihre Subjekte baten Navon-Figuren zu vergleichen.

Eine Navon-Figur

Eine Navon-Figur wird verwendet, um lokale und globale Präferenzen, unabhängig von Nationalitäten und Kulturen, zu vergleichen. Sie zeichnet sich durch eine große und erkennbare Form oder Buchstabe aus, die aus wiederholten Kopien einer anderen und viel kleineren Form oder Buchstabe besteht.

Eine Navon-Figur könnte beispielsweise ein großes T sein, der aus vielen kleinen S Buchstaben besteht. In diesem Fall ist der Buchstabe T das globale Merkmal, während das S das Lokale ist.

Das Studienergebnis wurde erstmals in 2013veröffentlicht und ergab, dass die Probanden des Himba-Volkes Namibias dahin tendieren sich eher auf die kleinen Details zu konzentrieren als auf das große Gesamtbild, was ihre Präferenz für das Lokale bestätigt.

Doch trotz ihrer Präferenzen, sind die Himba-Mitglieder flexibler und haben mehr Kontrolle über ihre selektive Aufmerksamkeit.

Das bedeutet, dass während sie dazu neigen zuerst die kleinen Details zu bemerken, sie genauso gut das „große Ganze“ sehen, wenn sie danach gefragt werden.

Weitere Experimente zeigten, dass die Himba- Menschen nicht nur kleine Details präferieren und eine flexible selektive Aufmerksamkeit haben, sondern auch weniger abgelenkt sind.

Im Vergleich zu städtischen Westlern sind die Mitglieder einer entfernten Kultur wie der Himba, weniger von visuellen Ablenkungen betroffen.

Sie können ihr Zielobjekt besser identifizieren als andere, sogar wenn sich bewegende Objekte ihren Fokus stören sollten.

Eine mögliche Erklärung, warum das Himba-Volk besser „sehen“ und fokussieren kann, ist ihr traditioneller und einfacher Lebensstil.

Als Hirte müssen sie täglich das Vieh ausfindig machen.

Um die vielen Tiere auseinanderhalten zu können, müssen sie ihre Augen trainieren, um auf Entfernung schnell über Unterscheidungsmerkmale und Markierungen ihre Schafe und Ziegen ausfindig zu machen.

Wir in der städtischen Umgebung leben dagegen auf einer Überholungspur. Viele Dinge passieren auf einmal.

Wir sehen täglich zahllose Gebäude, Autos und Menschen.

Wir machen nicht nur alles auf einmal, sondern sogar viele Dinge gleichzeitig.

Weil es einfach so viele Elemente in unserer Umgebung gibt, auf die wir achten müssen, ist es notwendig geworden, dass unsere Aufmerksamkeit geteilt werden muss.

Vielleicht erklärt das auch, warum der moderne Lebensstil einen signifikanten Effekt auf den visuellen Fokus und die Aufmerksamkeit von Menschen hat.



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