Analyse: Chinas Premierminister Wen Jiabao wird in China zensiert

„Ich bin überzeugt, dass wir neben der wirtschaftlichen Reform auch die politischen Reformen fördern sollen. Ich glaube, der Kern Ihrer Frage ist die Entwicklung der Demokratie in China,“ sagte Chinas Premierminister im September zu CNN.
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(The Epoch Times)
Von 3. November 2008

Während seiner Reise in die USA zur Sitzung der Vereinten Nationen im September gab der chinesische Premierminister Wen Jiabao dem amerikanischen Fernsehsender CNN ein Interview. Darin wurde eine Vielzahl an Themen angesprochen. Am meisten aufhorchen ließen seine Meinung über das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 und seine Ansicht über politische Reformen in China.

Zwar rechtfertigte er die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wie gewöhnlich, log sogar und verwendete die üblichen Worthülsen, aber was das Massaker am 4. Juni 1989 und die politischen Reformen anbelangt, äußerte er doch einiges Wahres.

Während dieser Teil seines Interviews außerhalb Chinas bereits veröffentlicht wurde, strich man ihn in den inländischen staatlichen Medien.

Interessant ist die Frage: Warum kann das Propagandaministerium der KPCh die Worte von Wen Jiabao sperren? Immerhin ist Wen die drittmächtigste Person im Politbüro der KPCh.

„Der Kern Ihrer Frage ist die Entwicklung der Demokratie in China.“

Der CNN-Moderator hielt ein Foto in der Hand, als er Wen interviewte. Das Foto zeigte den damaligen Parteichef Zhao Ziyang, als er am 3. Juni auf dem Platz des Himmlischen Friedens die in den Hungerstreik getretenen Studenten besuchte. Es ist eins der weltweit bekanntesten Fotos der Studentenbewegung vor 19 Jahren, ein wichtiges Zeugnis der Geschichte. Wen war damals Leiter des Generalbüros der KPCh und begleitete den Parteichef.

Der amerikanische Moderator zeigte Wen dieses Foto und fragte: „Das Foto wurde am 3. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens gemacht. Was haben Sie aus diesem Erlebnis gelernt?“

Als Wen dieses Foto sah, wurde er ganz starr. Es kam für ihn völlig überraschend. Er sah plötzlich aus, als trüge er eine schwere Last. Seine Lippen waren geschlossen und das Kinn fing an zu zittern. Er schwieg einige Sekunden lang. Später versuchte er eine freundliche Mine zu zeigen.

Dann antwortete er: „Ich bin überzeugt, dass wir neben der wirtschaftlichen Reform auch die politischen Reformen fördern sollen. Ich glaube, der Kern Ihrer Frage ist die Entwicklung der Demokratie in China. Meiner Meinung nach liegt die Demokratisierung Chinas in drei Bereichen: Erstens, das demokratische Wahlsystem Schritt für Schritt zu vervollständigen, damit die Staatsgewalt wirklich dem Volk gehört. Die Staatsgewalt soll dem Volk dienen.

Zweitens, das juristische System ist zu reformieren. Der Staat sollte nach den Gesetzen regiert werden und es ist ein unabhängiges, gerechtes Justizsystem aufzubauen.

Drittens, die Regierung soll von den Bürgern kontrolliert werden, es soll mehr Transparenz in der Regierung geben. Insbesondere sollte die Regierung sich von Medien und anderen Parteien kontrollieren lassen.

Es gibt noch einen sehr wichtigen Faktor, wenn nämlich die Demokratie in China entwickelt werden soll, muss man die staatlichen Umstände Chinas berücksichtigen. Es soll ein für China geeignetes System importiert werden und man muss es Schritt für Schritt aufbauen.“

19 Jahre nach dem Massaker hat Wen doch ein paar Fortschritte gemacht. Er hat aufgehört, das Urteil über das Massaker zu wiederholen, das vom Parteizentralkomitee in der Vergangenheit im Parteijargon festgelegt wurde, wie „es darf nie rehabilitiert werden“. Diesmal hat er endlich wahre Worte gesprochen, die von Herzen kamen.

Nach meiner Beobachtung ist er klug und umsichtig, und analysiert mit klarem Kopf. Ich glaube, er hat wahrscheinlich eine Lektion aus dem Leben seines damaligen Chefs Zhao Ziyang gezogen, der nach dem Massaker am 4. Juni 16 Jahre lang bis zu seinem Tod unter Hausarrest gestellt wurde. Daraus lernte er, wenn er jetzt nicht das sagen würde, was er denkt, bekäme er später wahrscheinlich niemals mehr die Chance, es auszusprechen. Er will später nicht bereuen, diese Chance verpasst zu haben. In New York, wo keiner ihn behindern konnte, ergriff er die Gelegenheit.

In China hat selbst der Ministerpräsident nicht die Freiheit, frei zu sprechen. Der Parteiwille steht immer an erster Stelle. Daher ist es auch kein Wunder, dass dieser sensible Teil seiner Rede vom Zentralkomitee der KPCh gestrichen wurde.

Demokratie und Menschenrechte gehören nicht nur zum Kapitalismus

Am 26. Februar 2007 veröffentlichte die Agentur Xinhua einen Artikel von Wen Jiabao, mit der Überschrift „Über die historische Aufgabe in der Anfangsphase der Sozialismus und einige Fragen zur Außenpolitik Chinas“.

Aufgrund eines Absatzes erregte dieser Artikel zur damaligen Zeit große Aufmerksamkeit in vielen Medien der Welt. Der Absatz lautet: „Die Wissenschaft, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit, die Menschenrechte und die Würde der Menschen sind kein Eigentum des Kapitalismus. Sie sind Werte, die die Menschheit in der langen Geschichte gemeinsam angestrebt hat, sie sind auch der gemeinsam erschaffene Erfolg der Zivilisation. In unterschiedlichen historischen Phasen und in unterschiedlichen Ländern sind der Weg und die Form, um diese zu realisieren, unterschiedlich. Es gibt kein einheitliches Modell.

Die Vielfältigkeit der Weltzivilisation ist objektive Existenz und unabhängig vom menschlichen Willen. Gerade das Zusammenleben, die Kreuzung und die Verschmelzung der unterschiedlichen Kulturen haben den Fortschritt der Menschheit gefördert. Wir sollen die Vielfältigkeit der Weltkulturen akzeptieren.“

Das hat Wen doch gut geschrieben! Wen setzte seine Befugnis ein und umging das Propagandaministerium der KPCh, indem er den Artikel über die Agentur Xinhua, die direkt seinem Staatsrat untersteht, zu veröffentlichen.

21 Tage später am 16. März, kurz nach der Tagung des Nationalen Volkskongress gab Wen eine Pressekonferenz für die internationalen Medien. Ein Journalist der französischen Zeitung „Le Monde“ stellte ihm eine Frage zu seinem oben genannten Artikel: „Neulich haben Sie einen Artikel in der Volkszeitung veröffentlicht. Ich möchte ein paar Sätze daraus zitieren. Sie haben erwähnt, dass das sozialistische System und die sozialistische Demokratie sich nicht gegenseitig abstoßen. Sie haben auch gesagt, dass der Aufbau der Anfangsphase des Sozialismus noch einhundert Jahre dauern wird. Bedeutet das, dass China in den nächsten 100 Jahren keine Demokratie braucht?“

Wen antwortete: „Ich habe in diesem Artikel einen Grundsatz erklärt, nämlich dass der Sozialismus mit der Demokratie und  der Rechtsstaatlichkeit nicht im Gegensatz steht. Das heißt, dass sie nicht im Widerspruch stehen. Ich meine, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit, die Menschenrechte, die Gerechtigkeit und die Humanität und weiteres gehören nicht nur zum Kapitalismus, sondern das sind die Werte der Menschheit, die durch gemeinsames Streben über eine lange historische Zeit entstanden sind.“

Hier hat er seine grundlegende Meinung noch einmal erklärt und sie sogar noch deutlicher erläutert – „die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Freiheit, die Menschenrechte, die Gerechtigkeit und die Humanität sind die allgemein anerkannten Werte und das gemeinsame Ergebnis der menschlichen Zivilisation“. Sie sollen auch in China existieren. Die chinesische Nation soll auch das Ergebnis genießen können.

Wens politische Reform unerwünscht

Wens Artikel, sein Interview mit Le Monde und CNN folgten derselben Grundlinie. Aber seine Reden und Meinungen werden von dem Ständigen Ausschuss des Politbüros unter der Führung von Hu Jintao boykottiert, kritisiert und blockiert.

Am 26. Juli 2008 äußerte sich Chen Kuiyuan, der Direktor der Akademie der Geistigen Wissenschaft Chinas in einer Sitzung über die soziale Reform Chinas wie folgt: „Früher hat das Christentum in seiner Propaganda gesagt, dass seine Doktrin die allgemeinen ethischen Werte darstellt. Heute ist die Stimme des Westens laut, sie halten die Demokratie, die Menschenrechte und die freie Marktwirtschaft auch für allgemeine Werte der Menschheit. In unserem Land gibt es auch einige Personen, die dieser Stimme folgen. Sie reden auch davon, mit den allgemeinen Werten übereinzustimmen. Wir beschäftigen uns mit den großen praktischen Fragen, die die Richtlinien und die Politik der Partei betreffen. Wir sollen bei solchen wichtigen strategischen Fragen einen klaren Kopf bewahren.“

Wer sind diese „einige Personen“, die der Direktor meint? Ist seine Rede nicht die Antwort auf Wens Artikel und seine Antwort an den Journalisten von Le Monde? Seiner Meinung nach sind Demokratie, Menschenrechte und freie Wirtschaft nur westliches Zeug und die Chinesen sollen ihnen nicht folgen. Was die Chinesen ihm zufolge brauchen, sind die Richtlinien und die Politik der Partei. Im Sinne der KPCh existiert keine so genannte allgemein anerkannte Wertanschauung. In dieser Welt zählen nur die roten Dokumente der KPCh.

Natürlich sprach der Direktor der Akademie nicht nur seine persönliche Meinung aus. Chen ist zwar nur ein Direktor, das entspricht dem Ministerrang, aber hinter ihm stehen das Propagandaministerium und die anderen Politbüromitglieder.

Im Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh gehört Wen zu der absoluten Minderheit, nämlich eins zu acht. Vom Politbüro, dem Ausschuss des Zentralkomitees bis zur Provinzebene gibt es bisher noch keinen einzigen hochrangigen Parteifunktionär, der die Meinungen des Premierministers unterstützt oder ihm Mitgefühl zeigt.

Ist der Posten von Ministerpräsident Wen noch sicher?

Wen Jiabao hat bereits drei Generationen des Machtwechsels durchgestanden. Als Parteifunktionär hat er seine Fähigkeiten. Er erlebte die Staatspräsidenten Zhau Ziyang, Jiang Zemin und jetzt Hu Jintao und saß dabei immer fest im Sattel Aber kann er dieses Mal seinen Posten noch sichern? Will er überhaupt noch im Amt bleiben? Es gab „Gerüchte“, dass er schon ein paar Mal den Rücktritt beantragt haben soll.

Bei der Bekämpfung des Schneechaos Anfang dieses Jahres war Wen nur eine Einpersonenarmee, es gab keinen einzigen Funktionär, der aufgetreten wäre, um ihn zu unterstützen. Bei der Rettung der Erdbebenopfer in Sichuan musste er die Generäle der Luftwaffe anschreien: „Das Volk hat euch ernährt, schaut selber hin, was ihr tun solltet!“ Wens Befehl wurde nicht einmal befolgt.

Machtkrise der KPCh

Als Chinas Premierminister kennt Wen sich selbstverständlich mit der Wirtschaftssituation Chinas aus. Zu der Zeit, als er seinen Artikel am 26. Februar 2007 veröffentlichte, fing der Untergang der Wirtschaft Chinas an. Seither ging das Bruttoinlandsprodukt stets bergab. Es besteht die Gefahr, den „Grenzwert acht“ zu durchbrechen. „Grenzwert acht“ bedeutet, das Wirtschaftswachstum mindestens auf der Höhe von acht Prozent zu sichern, sonst wäre es unmöglich, die faulen Kredite und Finanzlöcher zu kompensieren und die Finanzkrise in China zu verhindern. Der Begriff „Grenzwert acht“ wurde von Wens Vorgänger Zhu Rongji eingeführt.

Die Börsen-Talfahrt, das Schrumpfen des Immobilienmarktes, der Rückgang des Exports, der hohe und steigende Arbeitslosenanteil, die Inflation, die rasante Preiserhöhung bis hin zum giftigen Milchpulver. Selbst wenn soziale Unruhen oder politische Probleme nicht dazu gezählt werden, reichen die Finanz- und Wirtschaftsprobleme allein schon aus, um festzustellen: China stößt zurzeit auf ein riesiges Problem. Der Export und die Immobilien sind zwei Lokomotive der chinesischen Wirtschaft, die in den vergangenen über zehn Jahren immer schnell gefahren sind. Jetzt geht deren Tempo zurück und bald werden sie sogar stehen bleiben.

Als Oberhaupt der chinesischen Wirtschaft ist Wen klar, woran es liegt. Wenn in China keine politische Reform durchgeführt wird, wenn nicht dadurch die Beziehungen zwischen dem Volk und der Regierung in den Finanz-, Sozial- und Wirtschaftsbereichen grundsätzlich geändert werden, wird Chinas Wirtschaft auf keinen Fall stabil werden und sich weiter entwickeln können.

Das Schlimmste ist, dass in China trotz einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden noch immer kein starker Inlands-Konsummarkt aufgebaut werden konnte. Die Massen der chinesischen Bürger verfügen über viel zu wenig Geld, um die Massen an Produkten aus China zu konsumieren. So werden diese Produkte für sehr niedrige Preise exportiert. Dabei geht es um die Frage der Verteilung der sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen und das ist eine Frage der Politik.

Wen Jiabao hat seit letztem Jahr einige Ideen zu der politischen Reform vorgebracht. Obwohl seine Ideen noch nicht vollständig und vollkommen sind, hat er wenigstens eingesehen, dass die Wirtschaftsreform ohne politische Reform nicht mehr weiter gehen kann. Im weit entfernten Amerika hat er es geschafft, seine Ideen auszusprechen, doch liegt die Umsetzung im Land nicht in seiner Macht. Seine klaren Worte sind im Ständigen Ausschuss des Politbüros nicht willkommen.

Haben der Parteichef Hu Jintao und die anderen sieben Mächtigen die Krise nicht gesehen?

„Es gibt in der Gesellschaft diese Bemerkung, die in gewissem Maße eine Resonanz in der Gesellschaft hervorrufen kann. Das war ein Warnzeichen für die KPCh. Wenn eines Tages bestätigt wird, dass die KPCh zu der Machtschicht der Bürokratie und der bürokratischen Kapitalisten geworden ist, dann bedeutet das, dass die Partei das Volk verraten hat und mit Sicherheit zu Grunde gehen wird.“ Das war Hus Antwort zu der Frage über die bürokratischen Kapitalisten in der Partei im März. Hu hat die Krise der Machterhaltung der KPCh gesehen.

„Die Machtposition der Partei entsteht nicht automatisch mit der Geburt und bleibt auch nicht selbstverständlich ewig erhalten. Sie in der Vergangenheit zu besitzen, bedeutet nicht auch, sie in der Gegenwart zu haben; sie in der Gegenwart zu haben, bedeutet auch nicht. sie immer zu besitzen.“ Das sagte der neue Vize-Staatschef Xi Jinping am 24. September. Er sieht die Machtkrise der Partei ebenfalls.

Jedoch haben weder Hu noch Xi den Mut, über politische Reformen zu reden. Um sich selbst zu schützen, versuchen sie es zu vermeiden, dass das Schiff während ihrer Amtszeit untergeht. In Wirklichkeit hat Hu Jintao als die mächtigste Person die beste Machtkompetenz, eine Reform zu starten.

Was tun sie? Sie lassen den Staat lieber weiter verderben. Sie wissen aber auch, dass der Weg nur eine Sackgasse ist; doch ihre Machtgier und Angst, alles zu verlieren, bedingen es, dass sie lieber auf den Tod warten.

Zur Person: Wu Fan, geboren am 1938, war Chefredakteur des politischen Magazins „China Spring“ und im Jahr 2001 gründet er das Online-Magazins „China Affairs“ (www.chinaaffairs.org). Wu Fan ist Kommentator bei Sound of Hope, NTDTV und Epoch Times.

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