Tristan an der Deutschen Oper Berlin

Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer versprühen als Tristan und Isolde Leidenschaft, während Graham Vick ein Beziehungsdrama mit Kiste inszeniert: Ein Sarg ersetzte den Couchtisch in der immerhin sängerfreundlichen Denver Clan-Kulisse.
Titelbild
Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN
Von 14. März 2011

Ein Schiffsdeck, ein Garten und ein Burgplateau sind eigentlich die Schauplätze von Richard Wagners mittelalterlichem Liebesdrama „Tristan und Isolde“. An der Deutschen Oper Berlin erlebte das Werk gestern eine Neuinszenierung, die durch eine starke Ensembleleistung und den Enthusiasmus aller Mitwirkenden ihre Schwächen – Trivialisierung und Erotisierung – wettmachen konnte.

Ein Sarg, passend zur Ledercouch

Die Wohnung, in der alles spielte, sah sehr nach Denver Clan oder einer amerikanischen Filmkulisse der 70er Jahre aus: Tristan (Peter Seiffert im eleganten Dreiteiler) wartete unbewegt auf der Ledercouch auf seinen Auftritt, vor ihm statt eines Tisches ein edler Sarg mit goldenen Griffen.

Die Bühne (Paul Brown ) war mit Bedacht sängerfreundlich ausgerichtet, denn ihre Wand warf den Schall auf voller Breite ins Publikum zurück. Die Kraftreserven der Akteure wurden dadurch geschont und intime Ausdrucksnuancen möglich.

Vick versuchte die Archetypen des Wagner Dramas in moderne Symbole umzumünzen. Sarg, Brautkleid, rote Rosen … So einiges war transzendent gemeint, verstärkte aber in seiner Plakativität den Soap-Charakter und wirkte recht vorhersehbar. Zahlreiche Statisten traten als Alter Egos der Personen auf: Eine schöne Nackte als Tristans Mutter, Tristan als Kind, der mit einem Papierschiff spielt, und auch Isolde gab es als kleine Prinzessin.

Männer, Frauen, Probleme

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs erlebt man im ersten Akt: Isolde soll gegen ihren Willen mit König Marke verheiratet werden, obwohl sie Tristan liebt, mit dem sie noch eine Rechnung offen hat. Verzweifelt beschließt sie, sich und den Geliebten umzubringen. Ihre Dienerin Brangäne will sie retten und serviert ihr und Tristan einen Liebestrank anstatt des gewünschten tödlichen Gifts.

Wegen Isoldes Stimmungschwankungen wird der erste Teil oft zum Härtetest für Sängerinnen und Publikum. Hier wurde er von einem Zweigestirn der schönen Stimmen gestaltet: Petra Maria Schnitzer als Isolde und Jane Irwin als Brangäne passten stimmlich wie Schwestern zueinander. Beide sangen strahlend, mit jugendlicher Leichtigkeit und vor allem schön.

Schnitzer gab mit rotorangener Lockenmähne die derangierte Prinzessin im weißen Unterkleid, die mit einer Schere ihr glamouröses Brautkleid zerstören will. Brangäne ist ihr als rationales Alter Ego zur Seite gestellt, leicht erkennbar an Bob und schwarzem Hosenanzug. Die herzerwärmend einfühlsame Jane Irwin klang weniger wie ein Mezzosopran, sondern eher wie ein Sopran mit großzügiger Mittellage.

Der kurze souveräne Auftritt des Herrenchors (einstudiert von William Spaulding) war szenisch symptomatisch für ein Manko der Inszenierung, nämlich dass Vick es nicht schaffte, auf ein paar plumpe Sexualisierungen zu verzichten. Und so schleuderte Isolde ihre Stöckelschuhe nach den bösen Jungs von der Statisterie, die sie belästigen.

Nachdem Tristan und Isolde in ihrem ersten Dialog mit Worten aufeinander einstichelten, geriet die Szene, in der sie sich den Liebestrank verabreichen (hier eine Injektionsspritze) haarsträubend spannend. Da Seiffert und Schnitzer auch im richtigen Leben ein Paar sind, sorgte ihr Aufeinandertreffen auf der Bühne für ein Knistern, das man sonst oft vermisst.

Ambivalent war der dramatische Aktschluss: Isolde sitzt als Braut plötzlich dem alten König gegenüber. Im rot orange gelben Konfettiregen wirft sich Tristan lachend auf die Couch und der Herrenchor wirft Rosensträuße über ihn.

Will nicht heiraten: Isolde (Petra Maria Schnitzer) wehrt sich beharrlich gegen  Überzeugungsversuche ihrer Dienerin Brangäne (Jane Irwin).Will nicht heiraten: Isolde (Petra Maria Schnitzer) wehrt sich beharrlich gegen Überzeugungsversuche ihrer Dienerin Brangäne (Jane Irwin).Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

Willkommen in der Steinzeit

Den zweiten Akt eröffneten gleich zwei Aktmodelle: Isolde wartete vor dem Kamin auf Tristan, während ihr unbekleidetes Alter Ego zusammengekauert auf einem Tisch lag. Ein nackter Mann hob zwischen Ledercouch und monolithisch überdimensionierten Faustkeilen ein Loch im Boden aus, in das er sich langsam hinabschaufelte.

Heimlichkeit war die Stärke im Dialog der beiden Frauen. Überschwang und Sturm berauschte zu Beginn des Liebesduetts von Seiffert und Schnitzer, das die beiden kuschelnd auf der Couch verbrachten.

Das Lichtdesign der mystischen Liebesnacht (von Wolfgang Göbbel) war leider düster und wenig abwechslungreich. Wo das Zimmer endete, zeigte sich der Bühnenhimmel einheitlich grau. Nebel zog über der Szene hinweg, genau wie der riesige schwarze Scheinwerfer, der das gesamte Stück hindurch die Darsteller wie ein Ufo verfolgte oder ablenkend umschwebte.

Vicks Standbilder und traumverlorene Statisten hätten durch eine romantischere Lichtführung mehr Magie bekommen können.

Jörg Schörner als stark tremolierender Melot mit Lampenfieber holte einen dann wieder in die Realität zurück. Und auch Kristinn Sigmundsson, ein König Marke von mächtiger Erscheinung, kämpfte mit den großen Ausbrüchen seines Parts und Höhen, die blechern schallten, charakterisierte dadurch trotzdem eindrucksvoll einen alten Mann, der die Enttäuschung seines Lebens erlebt. Die leisen und tiefen Töne seines Basses berührten und er erntete Jubel vom Publikum.

Starke Ensembleleistung

GMD Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin sorgte musikalisch für eine runde Sache. Man merkte, dass es ihm vor allem um das Teamwork mit den Sängern ging, das auf optimale Leistung jedes Einzelnen angelegt war. Dies war die Stärke der Produktion, denn auch Regisseur Graham Vick ließ den Darstellern Freiraum, um sich auszuleben. Und jeder im Ensemble brachte vollen Einsatz.

Das fing mit Peter Seiffert an, der sich ohne Netz und doppelten Boden in die gefürchtete Partie des Tristan stürzte. Mit beängstigender Intensität und verschwenderischer Kühnheit ging er bereits in den ersten Akt und setzte bis zum dritten Höhepunkt auf Höhepunkt. Ein Beweis, dass er zu den aktuellen Top-Tristans zählt.

Petra Maria Schnitzer gestaltete ihre Rolle nicht weniger aufregend, wobei ihre frische und natürliche Herangehensweise an die Rolle die weiche und weibliche Seite Isoldes zum Blühen brachte.

Oft singen Tristan und Isolde auf Sicherheit und sind mit der Bewältigung ihrer Rollen mehr beschäftigt als miteinander, doch Seiffert und Schnitzer gaben, getragen von Runnicles und der Regie, Leidenschaft pur. Wenn sie im romantischen Teil des Liebesduetts nicht richtig zusammen kamen, war dies vielleicht dem Punkt geschuldet, dass sie sich einfach zu gut kennen und in der aufgepeitschten Premierenatmosphäre nicht richtig aufeinander hörten.

Beziehungsdrama mit Kiste: Ein eleganter Sarg ersetzte den Couchtisch in Graham Vicks neuer Tristan-Inszenierung. V. li. n. re. König Marke (Kristinn Sigmundsson) Isolde (Petra Maria Schnitzer) und Tristan (Peter Seiffert).Beziehungsdrama mit Kiste: Ein eleganter Sarg ersetzte den Couchtisch in Graham Vicks neuer Tristan-Inszenierung. V. li. n. re. König Marke (Kristinn Sigmundsson) Isolde (Petra Maria Schnitzer) und Tristan (Peter Seiffert).Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

Leuchtkraft im Orchester

Das meditative, weltentrückte Moment kam schon allein durch die Inszenierung etwas zu kurz. Für die Lichtstürme der Tristan-Musik und das finale Aufgehen in der Schwerelosigkeit war das Orchester zuständig, in dem jede einzelne Instrumentengruppe ihre maximale Leuchtkraft entwickelte. Dabei steigerte sich Runnicles von den schattenhaften Farben am Beginn des Vorspiels zu einem faszinierend materiellen und greifbaren Klang, besonders in den Holzbläsern und Streichern, deren Phrasen sich wie schwere Wellen hoben und senkten und dabei mit kammermusikalischer Qualität feinste Bewegungen hörbar machten.

Einzig das Englischhorn im dritten Akt hätte man sich weniger leise und entfernt gewünscht, weil es während des Solos geräuschvoll Sandmassen vom Schnürboden regnete.

Von Alter und Einsamkeit

Tristan stirbt bei Vick nicht verwundet, sondern als alter Mann. Im dritten Akt waren alle um Jahrzehnte gealtert, dank der großartigen Maskenbildnerei ein erschreckender Anblick.

Peter Seiffert setzte dies am unmissverständlichsten um. Äußerlich tatterig, leistete er es sich sogar, den deklamierenden Stellen seiner Rolle einen schnarrenden Tonfall zu geben. Das konnte man bestaunen oder schaurig finden, im Dialog mit seinem getreuen Kuwenal hatte das etwas Erschütterndes. Dieser wurde mit gewohnt kultiviertem Wohlklang und vokaler Sensibilität von Eike Wilm Schulte verkörpert, der selbst nicht mehr der Jüngste ist.

Nachdem Tristan zur Tür hinaus gewankt ist, sucht ihn die verzweifelte Isolde vergeblich. Sein letztes „Isolde!“, das er in ihren Armen haucht, weht wie eine Erinnerung über die Kulisse, ein sehr deprimierendes Ende. Petra Maria Schnitzers Liebestod überzeugte mit goldenem Strahlen und Wärme musikalisch, doch auch sie ging am Schluss ab durch die Verandatür, den Weg aller Seelen …

Nachdem einzelne Enttäuschte schon während der Aufführung gegangen waren, sahen sich Graham Vick und das Regieteam am Ende mit einem satten Buh-Sturm konfrontiert, gegen den wenige Befürworter tapfer anklatschten. Das Haus jubelte einhellig für Seiffert, Schnitzer und Runnicles. Die Nebendarsteller, Peter Maus (als Hirt), Paul Kaufmann und Krzysztof Szumanski erhielten kaum Beachtung.

Fazit: Optisch sonderbar, aber fantastische Darsteller. Als sehr feuriger Tristan ein Muss für alle, die Leidenschaft über Perfektion stellen.

Foto: Matthias Horn im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

 



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