Pracht der Stille

Schon um 1650 stand das Stillleben als besondere Kunstrichtung in höchster Blüte. Für jeden erkennbar und doch verschlüsselt überdauern diese Gemälde jegliche Zeit.
Titelbild
Ausstellungsansicht „Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens“.Foto: Oliver Killig/© Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Von 24. November 2023

Eine aktuelle Ausstellung im Dresdner Zwinger zeigt grandiose Stillleben des 17. Jahrhunderts und feiert ihre faszinierende Zeitlosigkeit.

Einige Meisterwerke sind speziell restauriert worden und nach langer Zeit wieder in neuer, alter Pracht für die Öffentlichkeit zugänglich. Alle Gemälde der großen Sonderausstellung kommen aus den Beständen der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister.

Auf über 90 meisterhafte Stillleben trifft der staunende Betrachter und jedes von ihnen öffnet ein einzigartiges Fenster in eine eigene Welt von berührender Schönheit und vielschichtiger Symbolik.

Innere Ruhe und Magie

Den Trubel städtischen Lebens lässt man beim Betreten der Ausstellung hinter sich. Wortlos und still laden die Gemälde ein, zur Ruhe zu kommen, ganz Auge zu sein und sich in ihre Betrachtung zu vertiefen. Denn: Auch Hunderte von Jahren nach ihrer Entstehung haben sie nichts von ihrer Magie verloren.

Entrée zur Ausstellung „Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens“. Foto: Oliver Killig/© Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Das Flüchtige festzuhalten und bleibende Abbilder des Vergänglichen zu erschaffen, versucht der Mensch seit vielen tausend Jahren. Und seit ehedem gilt: Je gelungener der Versuch, das Ephemere in Bildern zu bannen, umso größer die Faszination, die von diesen ausgeht.

Perfekte Illusion und tieferer Sinn

So berichtet Plinius der Ältere über Zeuxis, einen berühmten griechischen Künstler des 5. Jahrhunderts vor Christus, er habe vermocht, Weintrauben so täuschend echt zu malen, dass Vögel, vom Anblick angelockt, ihren Appetit an den imaginären Früchten stillen wollten.

Als Plinius diese berühmte Anekdote im ersten Jahrhundert nach Christus niederschrieb, hatte sich im alten Rom bereits die sogenannte „Xenia“, eine sehr populäre Kunstgattung, herausgebildet, die sich der möglichst naturgetreuen künstlerischen Verewigung beliebter und begehrter Nahrungsmittel widmete.

Mit dem Untergang des Römischen Reiches verschwand auch dieses spezifisch römische Genre, die Darstellung von Objekten des alltäglichen Lebens lebte jedoch als Beiwerk in der christlichen Kunst des Mittelalters weiter. Nun waren es in religiöse Darstellungen eingebettete Pflanzen, Früchte und Gerätschaften, die die Szenerien ausschmückten und durch symbolische Bedeutungen bereicherten.

Kunstgattung der vielen Facetten

Zur eigenständigen Gattung entwickelten sich die Arrangements von Dingen schließlich spätestens mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Erfolgsgeschichte des Stilllebens ist nun nicht mehr aufzuhalten.

Schon ein Jahrhundert später haben Künstler des Barock, die sich der malerischen Darstellung von Dingen verschreiben, zu grandioser, malerischer Perfektion gefunden. Die Kunstgattung selbst ist wiederum in viele Erscheinungsformen facettenreich aufgefächert.

Eine faszinierende Bandbreite von Ausdrucksformen erstreckt sich von der malerischen Verewigung üppiger, nie welkender Blumenkränze und -bouquets bis hin zur illusionistisch perfekten Darstellung prunkvoller Artefakte aus Schatz- und Wunderkammern.

Weitere Stilmittel sind üppig gedeckte Tafeln, reichhaltig bestückt mit Geschirr, Früchten und vielerlei Speisen, begleitet von Musikinstrumenten, Notenblättern und Folianten stehen neben Gemälden mit Jagdausrüstung und erlegtem Wild.

Schließlich reicht diese reiche Palette an Darstellungen auch bis hin zu Objekten, die die Vergänglichkeit des Menschen symbolisieren, wie mechanische Zeitmesser und Totenschädel.

Pieter Claesz, Stillleben mit hohem goldenem Pokal, 1624, Öl auf Eichenholz, 65 x 55,5 cm. Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Als besondere Kunstrichtung steht das Stillleben schon in höchster Blüte, als in der Mitte des 17. Jahrhunderts, im Jahr 1650, der noch heute gebräuchliche Gattungsbegriff in einem Delfter Inventar erstmals niedergeschrieben wird.

Nur wenige Jahrzehnte später wird das niederländische „stilleven“ vom deutschen Maler, Kupferstecher und Kunsthistoriker Joachim von Sandrart in seiner „Teutschen Academie“ von 1675 als Darstellung von „stillstehenden, natürlichen Sachen“ umschrieben und setzt sich besonders im deutschsprachigen Raum als „Stillleben“ durch.

Für jeden erkennbar und doch verschlüsselt

Die Bildsprache der Meisterwerke ist jedoch für alle Kulturkreise, Sprachräume und nachfolgenden Epochen allgemein und international verständlich – so scheint es jedenfalls auf den ersten Blick.

Doch wie bei jeder großen Kunst verbergen sich hinter dem bestechenden ersten Eindruck eine Vielzahl weiterer, erstaunlicher Bedeutungsebenen, die sich nur durch die Freude am entdeckenden Schauen und das Wissen um tiefgründige Symbolik erschließen.

Auch durch diese Welt der verborgenen Botschaften führt die Ausstellung im Dresdner Zwinger ebenso wie ihr begleitender Katalog auf erhellende Weise.

Ein Glossar in Bild und Wort lenkt und vertieft den Blick und versetzt den Betrachter dabei Jahrhunderte zurück –
 in eine Zeit, in der sich der Wert der Dinge nicht vorrangig aus ihrer Funktion oder Materialität, sondern besonders aus ihrem immateriellen, zeichenhaften Wesen und ihrer antiken, christlich religiösen Sinnbildlichkeit speiste.

Jan Davidsz. de Heem, Memento mori. Ein Totenkopf neben einem Blumenstrauß, um 1655/60, Öl auf Leinwand, 87,5 x 65 cm. Foto: Hans-Peter Klut/Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Symbole, wohin das Auge blickt

So erfährt man zum Beispiel, dass die Akelei, eine schon im Mittelalter beliebte Zier- und Arzneipflanze, durch ihren sich zart neigenden Blütenkopf in Hymnen mit der Demut und Bescheidenheit der Muttergottes verglichen wird, es das Charakteristikum der Gartenwinde ist, sich mit dem ersten Sonnenlicht zu öffnen und in der Abenddämmerung wieder zu schließen, was diese Blüte zum Symbol der Suche nach Licht und Wahrheit macht.

Flattern in den Gemälden Schmetterlinge oder Libellen umher, sollen sie vom Betrachter auch als Sinnbilder von Verwandlung und Veränderung erkannt werden, die das Böse überwinden und die Seele befreien können.

Die harte, schützende Schale und der wertvolle Kern der Walnuss stehen wiederum als Symbol für Ehe und Fruchtbarkeit.
Bei der Darstellung eines Buches schwingt immer auch der Hinweis auf die Bibel, das Buch der Bücher, mit. Zugleich soll die symbolische Wesenhaftigkeit des gedruckten Wissensspeichers dazu ermutigen, die eigene Lebenszeit durch die stete Suche nach der Wahrheit sinnvoll zu nutzen.

Bildpfade zu zeitlosen Fragen

Im Eintauchen in die Bildwelt der sprechenden Dinge und Symbole öffnen sich viele faszinierende Pfade hin zu den zeitlosen Fragen, die uns ebenso wie frühere Generationen im Innersten bewegen – den Fragen nach dem wahren Wert und Wesen der Dinge und unserer Welt.

Katalog und Ausstellung

Katalog
Herausgeber: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Konstanze Krüger
Texte: Konstanze Krüger
Gestaltung: Rutger Fuchs
Deutsch, Dezember 2023, 160 Seiten, 100 Abb.
Hardcover 258mm x 206mm
ISBN: 978-3-7757-5113-1

Ausstellung
„Zeitlose Schönheit. Eine Geschichte des Stilllebens“
Dresdner Zwinger, Gemäldegalerie Alte Meister
17.11.2023 – 01.09.2024



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