Die WTO braucht einen neuen Direktor: Forderungen, Reformen und die möglichen Kandidaten

Die WTO braucht einen neuen Direktor, da Roberto Azevêdo frühzeitig zurückgetreten ist. Seinem Nachfolger hinterlässt er keine leichte Aufgabe. Die EU hat einen möglichen Kandidaten, die USA haben Forderungen und verlangen nach Reformen. Bis zum 8. Juli können Kandidaturen eingereicht werden.
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Der Hauptsitz der Welthandelsorganisation (WTO) befindet sich in Genf, Schweiz.Foto: FABRICE COFFRINI/AFP über Getty Images
Von 19. Juni 2020

Der Chef der Welthandelsorganisation (WTO) Roberto Azevêdo tritt vorzeitig von seinem Amt zurück. Azevêdo war sieben Jahre im Amt und seine zweite Amtszeit hätte bis 2021 andauern sollen. Seinen Posten stellt er ab dem 31. August zur Verfügung – und lässt damit eine Kluft zurück.

Die Frage, wer sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin sein sollte, kocht gerade auf der internationalen Ebene hoch. Gespräche und Überlegungen sind schon vorhanden, Wünsche und Forderungen wohl auch. Die Frist für die Einreichung der Kandidaten läuft am 8. Juli ab.

Möglicher europäischer Kandidat: Phil Hogan, EU-Kommissar für Handel

Phil Hogan hat zumindest Interesse an dem mächtigen Posten gezeigt, eine offizielle Kandidatur seinerseits gibt es noch nicht. „Jetzt muss er sich entscheiden, ob er den Sprung wagt“, schreibt dazu „Politico“.

Hogan ist seit Dezember 2019 EU-Kommissar für Handel, somit ist seine mögliche Kandidatur keine einfache Sache. Brüssel hat nach Angaben von „Politico“ am Dienstag (16. Juni) den Druck auf Hogan erhöht, sich zu entscheiden, ob er offiziell für den Spitzenposten der Welthandelsorganisation kandidiert.

Eric Mamer, der Sprecher der Kommissionspräsidentin, kündigte am Dienstag „Beschränkungen für Hogans öffentliche Auftritte [an], um die EU-Handelspolitik von möglichen Interessenkonflikten zu isolieren, die sich aus seinem Interesse an dem WTO-Job ergeben könnten.“

Die neuen Regeln bedeuten, dass Hogan nicht mehr öffentlich über sein WTO-Angebot sprechen dürfe, solange er nicht offiziell ein Kandidat sei, sagten zwei Kommissionsbeamte gegenüber „Politico“. 

Führt das zu einer Umstrukturierung der EU-Kommission?

„Politico“ zufolge sorgt sich eine Gruppe von links-regierten EU-Ländern, dass Hogans Abschied „die Freihandelsagenda der EU schwächen könnte“. Wenn Hogan sich entschließen würde zu kandidieren, könnte das eine Umstrukturierung innerhalb der EU-Kommission auslösen. Die Niederlande stellen sich daher gegen den Abgang. „Wir wollen ihn nicht in Genf, wir wollen ihn in Brüssel“, sagte ein EU-Diplomat gegenüber „Politico“.

Bei einem Treffen der EU-Handelsminister letzte Woche gehörten Frankreich, die Niederlande und Belgien zu einer Gruppe von Ländern, die Hogans Kandidatur zurückhaltend beurteilten und verkündeten, Europa solle sich die Möglichkeit offen halten, einen Nicht-EU-Kandidaten zu unterstützen. „Wir wollen nicht unbedingt außerhalb der EU suchen, aber wir sollten auch diese Tür noch nicht schließen“, sagte die niederländische Handelsministerin Sigrid Kaag.

Nur die baltischen Länder, Bulgarien, Zypern und Portugal unterstützten ausdrücklich die Idee eines EU-Kandidaten, so die Notizen eines Anwesenden aus der Sitzung vergangener Woche, welche von „Politico“ eingesehen werden konnten.

Auch ein weiterer Kandidat aus Europa könnte Probleme für die EU-Kommission bedeuten

„Politico“ zufolge sei es aber selbst mit Hogans Kandidatur eher unwahrscheinlich, dass der neue Direktor der WTO ein weiterer Europäer wird. „Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den USA befinden sich an einem größeren Tiefpunkt, und Washington könnte sich dafür einsetzen, den Brüsseler Kandidaten zu blockieren“, so die Analyse des Brüsseler Blattes.

„Jeder EU-Kandidat würde von den Vereinigten Staaten blockiert werden“, sagte ein Diplomat aus einem anderen EU-Land gegenüber „Politico“ und wies darauf hin, dass sechs der neun bisherigen Welthandelschefs Europäer waren.

Auf dem Ministertreffen in der vergangenen Woche sagte Hogan vor Reportern, dass er seine mögliche Kandidatur mit dem US-Handelsbeauftragten Robert Lighthizer besprochen habe. „Ich kann bestätigen, dass wir vor einiger Zeit ein Gespräch darüber geführt haben“, sagte Hogan. „Botschafter Lighthizer ist sehr stark der Ansicht, dass ein entwickeltes Land die Verantwortung des Generaldirektors der WTO übernehmen sollte.“

Doch einige Stunden später widersprach ihm sein amerikanischer Amtskollege. „Botschafter Lighthizer unterstützt derzeit weder einen Kandidaten, noch ist er der Meinung, dass ein Kandidat notwendigerweise aus einem entwickelten Land kommen muss“, sagte Jeff Emerson, Sprecher von Lighthizer.

USA wollen keinen „anti-amerikanischen“ Direktor und fordern umfassende Reformen der WTO

Währenddessen werden die Kriterien und Forderungen aus den USA an die WTO immer deutlicher. Am Mittwoch (17. Juni) bezeichnete der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer die WTO als „Fiasko“ und verlangte Reformen.

Lighthizer will eine Führungspersönlichkeit, die Reformen auch durchsetzt und welche die Bedrohung für das internationale Handelssystem durch China versteht, schreibt die „Neue Zürcher Zeitung“. Der Handelsbeauftragte der USA versprach auch, gegen „anti-amerikanische Kandidaten“ ein Veto einzulegen. 

Die USA fordern, die WTO zu ihrer ursprünglichen Rolle zurückzuführen – zu einem Forum für die Verhandlung von Handelsverträgen, für die Überwachung dieser Verträge und für die Streitschlichtung.

Afrikanische Union befürwortet einen Genfer

Die Afrikanische Union hat sich inzwischen auf einen Kandidaten festgelegt: Hamid Mamdouh (mit der doppelten Staatsbürgerschaft von Ägypten und der Schweiz) verfügt über 35 Jahre Erfahrung in Fragen des Welthandels und als Mandatsträger bei der WTO. Derzeit arbeitet er in einer Genfer Anwaltskanzlei, schreibt „Wirtschaft Regional“. Mamdouh hofft auf die aktive Unterstützung der Schweiz.

Bisher gab es noch nie einen Afrikaner auf diesem Posten.

Mit dieser Idee ist die Afrikanische Union nicht alleine: Frankreich unterstützt die Kandidatur von Ngozi Okonjo-Iweala aus Nigeria. Ein EU-Diplomat sagte gegenüber „Politico“: „Wir haben ausdrücklich gesagt, dass wir angesichts der erneuten Aufmerksamkeit der EU für Afrika und der Tatsache, dass sie diesen Posten nie innehatten, für afrikanische Kandidaten offen sein sollten.“

Die Afrikanische Union hat sich allerdings von der Kandidatur von Ngozi Okonjo-Iweala distanziert. Sie stand nicht auf der Liste der Union, daher verstößt eine Kandidatur gegen ihre Regeln.

Roberto Azevêdos Nachfolger wird es so oder so nicht leicht haben. Die Corona-Pandemie hat die Anfälligkeit der globalen Lieferketten offenbart, ebenso die Abhängigkeit von Lieferkonkurrenten. Das könnte zu weiteren Brüchen in den regionalen Handelsblöcken führen.

Auf der anderen Seite könnte die Krise die Wichtigkeit der WTO hervorheben und dies wiederum den Nachfolger stärken.



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