Maas in Ankara: Deutschland und Türkei auf Versöhnungskurs

Die Maas-Reise ist die erste einer ganzen Serie gegenseitiger Besuche beider Regierungen. Die Weichen sollen jetzt auf Versöhnung gestellt werden.
Titelbild
Türkische und deutsche NationalflaggeFoto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times5. September 2018

Diesen Palast haben noch nicht allzu viele Außenminister gesehen. Der Ak Saray, für den der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein geschütztes Waldgebiet im dicht besiedelten Ankara abholzen ließ, soll größer als das Weiße Haus in Washington, der Buckingham Palast in London oder der Kreml in Moskau sein. Am Mittwochnachmittag fährt Heiko Maas mit seiner Wagenkolonne vor dem gigantischen Neubau vor. Erdogan hat auch schon früher mal deutsche Chefdiplomaten in Ankara begrüßt. Dass Maas bei seinem Antrittsbesuch quasi wie ein Bundeskanzler empfangen wird, hat diesmal trotzdem eine besondere Bedeutung.

Nach vielen Monaten erbitterten Streits um Wahlkampfauftritte in Deutschland und Verhaftungen in der Türkei, nach Nazi-Beschimpfungen und Strafaktionen wollen beide Seiten zurück zur Normalität in den deutsch-türkischen Beziehungen. Der Maas-Besuch ist nur der Auftakt einer Reise-Serie von Regierungsmitgliedern beider Seiten, die am 28. und 29. September im ersten Staatsbesuch Erdogans in Deutschland gipfeln wird.

Das Interesse des türkischen Präsidenten ist eindeutig: Die wirtschaftliche Talfahrt seines Landes zwingt ihn fast schon dazu, die Nähe zur Europäischen Union zu suchen. Sanktionen und Strafzölle der USA wegen eines in der Türkei festgehaltenen US-amerikanischen Pastors haben das Land in eine schwere Währungskrise gestürzt. Die Türkei erhofft sich politische Rückendeckung von Deutschland und Investitionen deutscher Unternehmen, will aber zunächst einmal nicht auf Finanzhilfen dringen.

Die würde Deutschland derzeit auch nicht gewähren. „Natürlich werden wir uns auch informieren lassen über die wirtschaftliche Situation“, sagte Maas am Mittwoch, fügt aber hinzu: „Ich glaube nicht, dass es im Moment darum geht, über Hilfsmaßnahmen zu sprechen.“

Der Grund für die Zurückhaltung sitzt hinter Schloss und Riegel in türkischen Gefängnissen. Seit dem Putschversuch 2016 sind 35 deutsche Staatsbürger aus politischen Gründen inhaftiert worden. Ihnen wurde in der Regel Unterstützung von Terrororganisationen vorgeworfen. Sieben sind immer noch in Haft.

Ohne ihre Freilassung werde es keine Normalisierung in den deutsch-türkischen Beziehungen geben, hat Maas vor seiner Reise noch einmal klipp und klar gesagt. Dies ist also die größte Hürde bei der Operation Entspannung, die in den deutsch-türkischen Beziehungen gerade beginnt. Bisher ist kein Weg ersichtlich, wie sie bewältigt werden soll. Denn die türkische Regierung beruft sich darauf, dass ihre Justiz unabhängig sei. Das nimmt die EU der Türkei nicht ab. Die aus Sicht der Europäer mangelnde Unabhängigkeit der Justiz ist auch ein Knackpunkt in den stockenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei. Es ist also alles kompliziert, sehr kompliziert sogar.

Trotzdem ist auch auf deutscher Seite der feste Wille erkennbar, in Richtung Normalisierung zu steuern. „Die Türkei ist mehr als ein großer Nachbar, sie ist auch ein wichtiger Partner“, twitterte das Auswärtige Amt während Maas‘ Anflug auf Ankara auf Türkisch. Beim Weiterflug nach Istanbul am Donnerstag wird der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu neben Maas in dem mit schwarz-rot-goldenen Streifen verzierten Regierungsflieger sitzen. Auch eine besondere Geste.

Die beiden Chefdiplomaten begrüßten sich vor dem Parlament in Ankara wie zwei alte Freunde mit einer Umarmung, bevor Cavusoglu Maas den 2016 von Putschisten zerbombten Innenhof zeigte, als wollte er sagen: Sieh her, das ist der Grund für unsere harte Gangart gegen diejenigen, die wir für Terroristen oder deren Unterstützer halten. Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich und wirft der Bundesregierung vor, nichts oder zu wenig gegen ihre Anhänger in Deutschland zu tun.

Es gibt ganz aktuell aber auch ein gemeinsames Projekt, bei dem beide Seiten an einem Strang ziehen. Die Türkei und Deutschland wollen eine syrischen Offensive gegen die letzte Rebellenhochburg Idlib nahe der türkischen Grenze verhindern – vor allem wegen der zu erwartenden zivilen Opfer und Flüchtlingsströme in Richtung Türkei. Die Türkei beherbergt bereits mehr als dreieinhalb Millionen syrische Flüchtlinge, und hat dafür einen Pakt mit der EU geschlossen.

Ob die Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen gelingen kann, wird wohl erst beim Staatsbesuch Erdogans in Deutschland erkennbar werden. Das Programm ist noch nicht ganz komplett, eine sehr heikle Entscheidung steht noch aus: Wird Erdogan wie bei einigen früheren Besuchen vor tausenden Landsleuten auftreten und damit wieder Proteste auslösen? Der türkische Präsident bemüht sich darum. „Es ist ganz normal für den Präsidenten, Menschen türkischer Abstammung zu treffen, wenn er nach Deutschland kommt“, sagt sein Sprecher und Berater Ibrahim Kalin, der am Dienstag und Mittwoch in Berlin war, um den Besuch vorzubereiten.

Kalin betonte aber, dass Erdogan Einvernehmen mit der deutschen Seite über einen solchen Auftritt herstellen wolle. Der Präsident wolle die Spannungen hinter sich lassen. „Wir sollten in die Zukunft schauen. Das ist der Geist, in dem wir hierher kommen.“ (dpa)



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