Niederlande: Erdrutschsieg der PVV – Dreierkoalition nur mit Wilders möglich

Nach dem Erdrutschsieg der weit rechten PVV bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden wird eine Regierungsbildung ohne deren Frontmann Wilders schwierig. Entscheidend dürfte die Festlegung der neuen zentristischen NSC werden.
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PVV-Chef Geert Wilders (M.) wird nach Bekanntgabe der Wahlprognose in Den Haag von Anhängern gefeiert.Foto: JOHN THYS/AFP via Getty Images
Von 23. November 2023

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Bei den Parlamentswahlen vom Mittwoch, 22.11., in den Niederlanden sind mittlerweile fast alle Gemeinden ausgezählt. Die ersten Prognosen nach Schließung der Wahllokale haben sich im weiteren Verlaufe der Nacht bestätigt: Mit 23,8 Prozent der Stimmen und 37 Sitzen in der Zweiten Kammer wird die weit rechte PVV klar stärkste Kraft. Die Partei von Geert Wilders gewinnt damit 20 Parlamentsmandate dazu und landet deutlich vor dem Linksbündnis von Frans Timmermans.

BBB schwächer als im Frühjahr – viele Wähler wanderten zu Wilders ab

Bei einem Auszählungsstand von 333 der 346 Gemeinden schiebt sich die linksgrüne Kooperation GL/PvdA mit 15,6 Prozent und 25 Sitzen (plus acht) an der rechtsliberalen VVD vorbei. Die Partei des scheidenden Premierministers Mark Rutte kommt auf 15,2 Prozent und 24 Mandate (minus zehn). Beim ersten Antreten kann die zentristische Partei NSC des früheren Christdemokraten Pieter Omtzigt 12,9 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Mit 20 Sitzen wird sie viertstärkste Kraft.

Die Bürger- und Bauernbewegung BBB konnte die Anzahl ihrer Sitze gegenüber dem Jahr 2021 von einem auf 7 steigern und damit fast die linksliberalen „Demokraten 66“ (9 Sitze) einholen. Gegenüber ihren großen Erfolgen bei den Regionalwahlen im Frühjahr blieb die Bewegung jedoch deutlich zurück. In den nordöstlichen Provinzen schnitt die BBB verhältnismäßig am besten ab. Ironie am Rande: Am Abend des Wahltages in den Niederlanden scheiterte im EU-Parlament das umstrittene Anti-Pestizid-Gesetz, gegen das die Bauern Sturm gelaufen waren.

Die Neuwahl der Zweiten Kammer war notwendig geworden, nachdem das Kabinett Rutte IV im Sommer aufgrund von Unstimmigkeiten über die Migrationspolitik zerbrochen war. Diese stand auch im Mittelpunkt des Wahlkampfs.

PVV gewann auf Kosten von VVD und kleineren Rechtsparteien

Nachdem die Umfragen der vergangenen Monate einen sehr unsteten Verlauf genommen hatten, gingen Wähler auf den letzten Metern zum taktischen Wählen über. Dies führte dazu, dass die PVV vorwiegend auf Kosten kleinerer Rechtsparteien und der BBB zulegen konnte. Das „Forum für Demokratie“ (FvD) wird künftig nur noch mit drei Sitzen (minus fünf) im Parlament vertreten sein. Dessen Abspaltung JA21 verliert zwei Mandate und kommt nur noch auf einen Sitz.

Gleichzeitig gingen die Zugewinne des Timmermans-Bündnisses vor allem zu Lasten der D’66, die mehr als die Hälfte ihrer Sitze verlor (minus 15), und der weit linken SP (fünf Sitze – minus vier). Die „progressive“ Migrantenpartei BIJ1 verliert ihren einzigen Sitz – ebenso wie die Partei „50 plus“. Drei Sitze und damit die Hälfte ihrer bisherigen Mandate büßt die Tierschutzpartei ein. Auch die Pro-EU-Partei Volt verliert einen Sitz und ist nur noch mit zwei Mandaten vertreten.

Die erfolgreiche Parlamentspremiere der NSC-Partei geht in erster Linie auf Kosten der Christdemokraten (CDA). Diese büßen zehn Sitze ein und damit zwei Drittel ihrer bisherigen Mandate. Zwei Sitze weniger wird die ChristenUnie haben und damit künftig drei. An Stimmen zieht voraussichtlich die calvinistisch-fundamentalistische SGP an ihr vorbei. Sie kann ihre Zahl von drei Mandaten halten – auch wenn sie in ihrer Hochburg Urk erstmals weniger als 50 Prozent der Stimmen holte. Die Wahlbeteiligung lag mit 77,8 Prozent etwas unterhalb jener von vor zwei Jahren.

Identitäre Parteien legen deutlich zu

Die PVV gewann hauptsächlich in ländlich und kleinstädtisch strukturierten Gebieten entlang der Westküste, im Süden und im Nordosten des Landes deutlich dazu. Das Bündnis von Timmermans kommt in den meisten Großstädten auf mehr als 30 Prozent. Die NSC wurde in zahlreichen Gemeinden im Osten des Landes stärkste Kraft. Die VVD konnte sich nur noch punktuell als führende Partei in Szene setzen.

In der Tendenz spiegelt das Wahlergebnis die deutlicher gewordene Polarisierung in der niederländischen Gesellschaft wider. Zwar galten die Niederlande immer schon als deutlich in Milieus sozialer und konfessioneller Natur gespalten, die sich im Wege einer „Afspraak“ auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnten. Mittlerweile ist jedoch auch eine ethnische Komponente dazugekommen.

Die Wahlen vom Mittwoch illustrieren einen Vormarsch der Identitätspolitik. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass die PVV am Ende auch auf Kosten der VVD zulegen konnte – die mit Dilan Yesilgöz eine assimilierte Einwanderertochter als Spitzenkandidatin nominierte. Trotz einer harten Linie in der Migrationspolitik gaben die Wähler dem „autochthonen“ Nationalismus den Vorzug.

Die muslimisch geprägte Einwandererpartei DENK konnte ihre drei Sitze halten und Stimmen gewinnen. Ihre stärksten Ergebnisse erzielte sie in Rotterdam (10,4 Prozent), Den Haag (8,7) Amsterdam (7,2) und Utrecht (5,9). Das Timmermans-Bündnis wiederum konnte sich dank ihres Spitzenkandidaten als identitäre Kraft ihres Milieus in Szene setzen – des bessergestellten, urbanen Bildungsbürgertums, zu dessen Hauptanliegen Klimapolitik und Genderfragen gehören.

Wie weit ist Wilders zum Verzicht auf antimuslimischen Rassismus bereit?

Die Regierungsbildung wird vor allem aufgrund der Stärke der PVV zur Herausforderung. Ein Dreierbündnis wäre nur unter Einschluss der Wilders-Partei möglich. Die VVD hat ein solches nicht ausgeschlossen. Es wird nun auf die Positionierung der NSC ankommen.

Bereits von 2010 bis 2012 hatte die Wilders-Partei eine Koalition aus VVD und CDA unter Mark Rutte toleriert. Dabei hatte Wilders vor allem die Durchsetzung von LGBTQ-Interessen und einige sozialpolitische Klientelanliegen zur Bedingung gemacht. Seine islamfeindliche Agitation hatte er aus Rücksicht auf die Bündnispartner vorübergehend heruntergefahren – um sie nach seiner Wahlniederlage 2012 umso mehr zu intensivieren. Die Regierung war damals an Haushaltsfragen gescheitert.

Auch diesmal müsste Wilders, um für Mitte-Rechts bündnisfähig zu werden, seine Rhetorik mäßigen. Dass dies kein einfaches Unterfangen sein wird, zeigen erste Reaktionen seiner Anhänger, die jetzt Schritte gegen eine angebliche „Islamisierung“ fordern.

Bündnis ohne PVV wäre schwierig und labil

Auch dürfte keiner der potenziellen Partner bereit sein, Wilders zum Premierminister zu machen. Differenzen könnte auch die Ukrainepolitik bereiten, wo die PVV mit der antirussischen Ausrichtung von VVD und NSC Probleme haben könnte.

Gleichzeitig ist der Konsens hinsichtlich einer restriktiveren Asylpolitik unter PVV, VVD und NSC breit – und auch das Wahlergebnis insgesamt bringt diesbezüglich ein Anliegen der Bevölkerung zum Ausdruck.

Ferner wäre auch ein Bündnis ohne Wilders labil – und auch hier könnte bereits die Frage nach dem künftigen Premier zum Zankapfel werden. Frans Timmermans würde als Chef der zweitstärksten Kraft den Anspruch erheben, Regierungschef zu sein.

Yesilgöz hätte dem angesichts der deutlichen VVD-Verluste wenig entgegenzusetzen. Allerdings stellt das Wahlergebnis nicht zwingend ein Mandat für Timmermans radikale Klimapolitik dar – was dieser selbst anders sehen dürfte. Omtzigt wäre ein möglicher Kompromisskandidat, hat jedoch im Vorfeld der Wahl ausgeschlossen, selbst in die Regierung zu gehen.

Ein Bündnis gegen Wilders müsste zudem mindestens vier Parteien umfassen, da GL/PvdA, VVD und NSC zusammen nur auf 69 der 150 Parlamentssitze kommen. Selbst unter Einschluss der CDA bräuchte man noch einen zusätzlichen Partner mit mindestens zwei Sitzen. Ein Viererbündnis wäre unter Beteiligung der D’66 möglich. Konflikte wie im Kabinett Rutte IV wären damit jedoch wieder vorgezeichnet.



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