ORF siegt vor Verfassungsgerichtshof – und sichert sich bis zu 119 Mio. Euro im Jahr

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in Österreich hat die sogenannte Streaminglücke geschlossen. Damit müssen auch Personen, die öffentlich-rechtliche Angebote lediglich online nutzen, ebenso den Rundfunkbeitrag entrichten wie TV-Besitzer. Die FPÖ übt Kritik.
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ORF-Reporter.Foto: Thomas Kronsteiner/Getty Images
Von 21. Juli 2022

Im öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF) dürften am Montag (18. Juli) die Sektkorken geknallt haben. An diesem Tag verkündete der Verfassungsgerichtshof (VfGH) sein Urteil in einem Verfahren, das der Rundfunk von sich aus angestrengt hatte. Nach eigenen Angaben sollte ein Finanzierungsengpass von jährlich bis zu 119 Millionen Euro an Rundfunkgebühren (GIS) abgewendet werden.

Der VfGH entschied zugunsten des ORF. So würde es gegen die Verfassung verstoßen, wenn Personen, die ausschließlich Streaming-Programme im Internet nutzten, kein „Programmentgelt“ – das österreichische Pendant zum GEZ-Beitrag – entrichten müssten.

Länder können ORF-Gebühr noch zusätzlich ausweiten

Wie der „Standard“ berichtet, bedeutet dies nicht, dass Onlinenutzer ab sofort mit Post von GIS-Inkassodiensten rechnen müssen. Der Gesetzgeber hat nun jedoch bis Ende 2023 Zeit, um eine Neufassung des Rundfunkgesetzes zu veranlassen, die dem Spruch des Höchstgerichts entspricht.

Die Rundfunkfinanzierung in Österreich funktioniert bis dato nach dem Anmeldeprinzip. Wer an seiner Wohnstätte über Empfangsgeräte verfügt, welche die Nutzung von Fernseh- oder Radioprogrammen des ORF ermöglichen, ist verpflichtet, diese bei der zuständigen Gebühreneinzugszentrale anzumelden.

In weiterer Folge werden Gebühren fällig, die sich aus dem eigentlichen Programmentgelt (derzeit 18,59 Euro), einer Umsatzsteuer (1,86 Euro), einer Bundesabgabe von 2 Euro und einer etwaigen Landesabgabe zusammensetzen. Während Oberösterreich und Vorarlberg eine solche nicht erheben, reicht deren Höhe von 4 Euro in Tirol bis zu 6,20 Euro in der Steiermark. In Deutschland beträgt der GEZ-Beitrag pauschal 18,36 Euro pro Monat – unabhängig von der Region oder der Verfügbarkeit von Empfangsgeräten.

VfGH beanstandet Kopplung von Programmentgelt an Rundfunkbeitrag

In Österreich sind Konsumenten, die über kein Radio- oder TV-Gerät verfügen, bislang nicht verpflichtet, Rundfunkgebühren zu bezahlen. Daher wurde auch kein Programmentgelt von ihnen erhoben. Im Jahr 2015 hatte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) entschieden, dass Internet-Streaming nicht als Rundfunkdarbietung zu qualifizieren sei. Deshalb dürfe auch für Computer mit Internetanschluss keine Rundfunkgebühr eingehoben werden. Der Gesetzgeber wollte „bei der verfassungsrechtlichen Definition des Rundfunkbegriffs elektronische Darbietungen über das Internet nicht erfassen“, so die damalige Begründung.

Der ORF wollte diese „Streaminglücke“ nun jedoch nicht mehr hinnehmen – und der VfGH gab ihm nun recht. Es sei demnach verfassungswidrig, das Programmentgelt an den Rundfunkbeitrag zu koppeln. Das Programmentgelt solle – so die sinngemäße Begründung – nicht wie der Rundfunkbeitrag die bloße Rundfunknutzung der Konsumenten widerspiegeln, sondern die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sichern.

Entsprechend sei es „wesentlich, dass alle diejenigen, die via Rundfunk am öffentlichen Diskurs teilnähmen, in die gesetzliche Finanzierung des ORF einbezogen“ würden. Dies seien also auch Nutzer, die ORF-Inhalte nutzten, ohne dafür ein Radio- oder Fernsehgerät zu verwenden.

Wie der ORF auf 119 Millionen Euro kommt

Im Jahr 2021 ging der ORF von 53 Millionen Euro Einnahmenverlust durch Nur-Streamingnutzer aus. Bis 2025 würden diese Ausfälle um 5 bis 6 Millionen Euro pro Jahr auf 87 Millionen Euro steigen. Sollte auch im Radiobereich die reine Streamingnutzung zur Regel werden, würde dies bis zu diesem Zeitpunkt einen gesamten Einnahmenausfall von jährlich insgesamt 119 Millionen Euro nach sich ziehen.

Wie der Gesetzgeber das Urteil umsetzen kann, ist uneindeutig. Möglich wäre eine Verschlüsselung ähnlich wie bei privaten Streamingdiensten von Netflix bis Joyn.

Den an der Regierung beteiligten Grünen und den linksliberalen NEOS schwebt hingegen etwas anderes vor. Sie wollen im Kern eine am deutschen Modell orientierte Haushaltsabgabe, die nicht mehr auf Anmeldungen oder auf die Nutzung von Fernsehgeräten, Radios oder Internet abstellt. Um „die Konsumrealität der Bevölkerung“ abzubilden, strebt Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger eine „Entlastung der Bevölkerung im Sinne einer Abschaffung der GIS und der Implementierung einer geringeren Haushaltsabgabe für alle“ an.

FPÖ fordert komplette Abschaffung der GIS-Gebühr

Der Koalitionspartner ÖVP ist diesbezüglich skeptisch. Immerhin hatte man in der Ära Kurz noch dem anfänglichen Regierungspartner FPÖ eine Abschaffung der GIS-Gebühren in Aussicht gestellt. Eine Haushaltsabgabe für alle lehnt die ÖVP bislang ab. Zudem machte die SPÖ deutlich, dass die Umsetzung des VfGH-Urteils keine Mehrbelastung von Haushalten nach sich ziehen dürfe.

„Entsetzt“ über das Urteil äußerte sich FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker. In Zeiten der Rekordteuerung falle „dem VfGH nichts Besseres ein, als dem ORF einen Freibrief für die Ausweitung der Abzocke der Menschen zu erteilen“. Um die Bürger vor „dieser unsäglichen Allianz zwischen dem ORF und dem VfGH [zu] retten“, müsse die Konsequenz deshalb sein, die GIS-Gebühr gänzlich abzuschaffen.



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