Schweden: Wo die Traumwelt auf die Wirklichkeit trifft

Die Klimafrage war unbedeutend, auch die Aufgabe der politischen Neutralität – die Themen Kriminalität und Masseneinwanderung bestimmten den Wahlkampf in Schweden. Eine Analyse.
Schweden wählte am 11. September eine neue Regierung.
Schweden wählte am 11. September eine neue Regierung.Foto: JONATHAN NACKSTRAND/AFP via Getty Images
Von 15. September 2022

Noch nie ist eine Wahl in einem EU-Land so sehr von einem einzigen Thema dominiert worden wie die jüngste in Schweden. Dieses Thema sind die Folgen der Migration.

Im Land der stärksten Willkommenskultur Europas gibt es heute massive Bandenkriminalität der Zuwanderer aus islamischen Ländern. Das lässt sich einerseits am Wahlergebnis ablesen, aber andererseits auch daran, dass andere Themen völlig untergegangen sind, obwohl sie eigentlich von historischer Bedeutung sind.

NATO-Beitritt: Sorge um die Sicherheit

Das Thema, das unter normalen Umständen alles überschattet hätte, ist der NATO-Beitritt. Damit gibt Schweden seine schon im Weltkrieg praktizierte Neutralität auf, die ihm einst sehr geholfen hat, sich aus dem Krieg herauszuhalten (wobei man freilich anmerken muss, dass die Schweden Hitler beliefert haben, solange dieser eine Bedrohung dargestellt hat). Die Neutralität war für die Schweden jahrzehntelang zentrale Staatsideologie. Besonders unter Premier Olof Palme hat man selbstbewusste Äquidistanz zu Ost und West geübt und oft oberlehrerhaft die USA kritisiert.

Diese Kritik ist in den letzten Jahren verebbt. Allzu bedrohlich sind immer wieder knapp vor der schwedischen Küste russische U-Boote aufgetaucht. Das endgültige Ende für die Neutralitätspolitik brachte der russische Einmarsch in der Ukraine. Dieser hat in Schweden landesweite Empörung und Sorge um die eigene Sicherheit gebracht. Diese Sorge hängt auch stark mit dem eng befreundeten Nachbarn Finnland zusammen. Finnland hat nicht nur eine 1.300 Kilometer lange Grenze mit Russland – es stand lange auch unter russischer Oberhoheit und hat überdies mit der Sowjetunion 1939/40 den sogenannten Winterkrieg ausgefochten. In der ganzen Nachkriegszeit hatte Moskau immer wieder eine Art Vormundschaft gegenüber Finnland zu spielen versucht, die sogar als eigene Bezeichnung „Finnlandisierung“ in die Sprache eingegangen ist.

Die Finnen haben seit Februar große Sorge, dass die imperialistische Kriegsbereitschaft Wladimir Putins auch für sie eine Gefahr bedeutet – unterstanden sie ja einst wie die Ukraine ebenfalls der russischen Herrschaft. Das war für Finnland, genau wie für Schweden, der Hauptgrund, sofort nach der Ukraine-Invasion bei der NATO um eine Mitgliedschaft anzusuchen. Beide haben erkannt, dass ihnen nur die NATO halbwegs verlässlichen Schutz bieten kann. Gleichzeitig eröffnete der Ukraine-Krieg auch den idealen Zeitpunkt für diesen Schritt. Die russische Armee ist viel zu sehr in der Ukraine beschäftigt, als dass sie den Kurswechsel der Schweden und Finnen mit militärischen Provokationen bestrafen könnte.

Dennoch ist es angesichts der schwedischen Geschichte absolut erstaunlich, dass eine so rapide Aufgabe eines Kerns der schwedischen Identität knapp vor den Wahlen bei diesen dann überhaupt keine Rolle gespielt hat. Sämtliche relevanten Parteien Schwedens – von links bis rechts – sind sich absolut einig in der Unterstützung des NATO-Beitritts und der Annäherung an die USA.

Schwedens aktuelle Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Magdalena Andersson in Stockholm nach den Parlamentswahlen am 11. September 2022. Foto: JONAS EKSTROMER/TT News Agency/AFP via Getty Images

Klimafrage politisch unbedeutend

Es gibt noch ein weiteres Thema, das den ausländischen Beobachtern Schwedens den Mund offen lässt: Das ist die Tatsache, dass auch die Klimafrage absolut keine Rolle gespielt hat. Dabei ist Schweden das Heimatland von Greta Thunberg, die von den internationalen Medien zur Klimaikone hochstilisiert worden ist. Das zeigt, dass der Hype anderer Länder um Thunberg die Schweden völlig kaltlässt.

Die schwedischen Grünen haben nicht einmal sechs Prozent der Mandate errungen. Wie unbedeutend das Klimathema politisch in Schweden ist, erkennt man etwa auch daran, dass die Elektroscooter streng beschränkt worden sind, die dagegen in Mitteleuropa politisch unantastbar sind, weil sie angeblich wichtig gegen den Klimatod des Planeten seien.

All das wurde total überschattet von den Folgen der Masseneinwanderung aus nichteuropäischen Ländern und der beängstigenden Kriminalität in den Städten Schwedens. Regelmäßige Kriege zwischen Migrantenbanden machen manche Viertel von Stockholm und Malmö zu Zonen, die von autochthonen Schweden gemieden werden.

Diese Entwicklung hat die Schwedendemokraten zum großen Sieger dieser Wahl gemacht. Sie haben die konservativen Moderaten vom zweiten Platz hinter den Sozialdemokraten verdrängt. Sie sind für die Schweden zum Inbegriff des Kämpfers gegen die Migration geworden.

Jimmie Akesson ist Vorsitzender der rechtspopulistischen Schwedendemokraten.

Jimmie Akesson ist Vorsitzender der Schwedendemokraten. Foto: Maja Suslin/TT News Agency via AP/dpa

Migration: Polizeiliche Maßnahmen reichten nicht

Schweden hat pro Kopf mehr Immigranten aufgenommen als jedes andere EU-Land. 18 Prozent der dort lebenden Menschen sind im Ausland geboren und zum guten Teil geistig nie in Schweden angekommen. Unter den Ausländern, die noch nicht die schwedische Staatsbürgerschaft bekommen haben, dominieren – abgesehen von den Ostseeanrainern – die überwiegend islamischen Länder Syrien, Afghanistan, Eritrea und Somalia. Die bisherigen schwedischen Regierungen haben darauf gesetzt, die Probleme mit polizeilichen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Das hat nicht funktioniert.

Diese Entwicklung in Schweden ist auch für den Nachbarn Dänemark schon so abschreckend, dass es jetzt unter einer sozialdemokratischen Regierung als erstes EU-Land mit Ruanda ein Abkommen geschlossen hat, um illegale Immigranten – woher immer sie auch kommen – dorthin abschieben zu können. Die dänische Regierung will eine ähnliche Entwicklung wie das Aufblühen der Schwedendemokraten verhindern.

Die schwedische Linke war lange stolz auf ihre teils humanitäre, teils naive Großzügigkeit gegenüber den Immigranten. Sie wollten die schwedische Offenheit gegenüber Flüchtlingen aus dem ehemaligen Nazi-Deutschland fortsetzen. Dennoch beginnen die islamischen Einwanderer bereits – soweit sie schon den schwedischen Pass haben – die Linksparteien zu ignorieren: Sie haben nun eine eigene Partei, die in manchen Stadtvierteln von Malmö und Stockholm 30 Prozent der Stimmen erlangt hat.

Schwedendemokraten werden akzeptiert

Auf all das hat die schwedische Bevölkerung zunehmend negativ reagiert. Sie hat anders reagiert als Deutschland, wo die AfD von den Christdemokraten und der FDP noch strikt gemieden wird. Die Schwedendemokraten werden – solange sie die Führung den konservativen Moderaten überlassen – von den Mitte-Rechts-Parteien als Teil des Rechtsblocks (mit Liberalen und Christdemokraten) akzeptiert, der nun gleichstark dem rot-grünen Linksblock gegenübersteht.

Lediglich die Zentrumspartei ist aus Ablehnung einer Partnerschaft mit den Schwedendemokraten vom rechten in den linken Block gewechselt. Das hat die Zentrumspartei prompt zum größten Verlierer der Wahl gemacht. Die Zentrumspartei wird von linken schwedischen Medien als „extremistisch“ bezeichnet, von den anderen als „rechtspopulistisch“ eingeordnet.

Auch diese Aufteilung der Parteienlandschaft in einen rechten und einen linken Block ist eine weitere Besonderheit des skandinavischen Landes: Die Wähler wussten schon vor dem Wahltag in völliger Transparenz, welche Parteienkonstellation nach den Wahlen gemeinsam eine Regierung bilden will.

Niemand wusste freilich vorher, dass die beiden Blöcke nach der Wahl praktisch völlig gleichstark sein werden. Dieses extrem knappe Ergebnis hat nun zur Folge, dass die künftige Regierung durch jeden einzelnen Abgeordneten erpresst werden kann. Das macht jede Regierung labil – selbst in Schweden, wo Abgeordnete meist diszipliniert agieren.

Über den Autor:

Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ beziehungsweise „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.



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