Schwindendes Vertrauen: Der Oberste US-Gerichtshof steht vor wegweisenden Entscheidungen (Teil 2)

Der Druck auf den US-Supreme Court nimmt zu: Seine Glaubwürdigkeit ist angekratzt und die Stimmen für Reformen werden lauter. Gerade in diesem bedeutsamen Wahljahr steht er vor Entscheidungen, die langfristige Folgen haben werden. Eine Analyse, Teil 2.
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Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Symbolbild.Foto: SAUL LOEB/AFP via Getty Images
Von 10. April 2024

Für den Obersten Gerichtshof der USA geht es im Jahr 2024 um viel: Es stehen mehrere Fälle mit Trump-Bezug an, die Präsidentenwahl beeinflussen könnten. Daneben befasst sich das Gericht auch mit wichtigen Fällen aus dem Verwaltungsrecht und solche, die den Waffenbesitz und die Meinungsäußerung in den sozialen Medien betreffen. Diese haben das Potenzial, wegweisende Präzedenzfälle zu werden (Teil 1).

In diesem zweiten Teil des Artikels geht es um das schwindende Vertrauen in den US-Supreme Court und die lauter werdenden Rufe nach Reformen.

Die Zustimmung und das Vertrauen in den Obersten US-Gerichtshof sind Umfragen zufolge gesunken. Die „General Social Survey“, eine angesehene Erhebung, die jährlich die Zustimmung in das Gericht misst, zeigte im Jahr 2022, dass das Vertrauen den niedrigsten Stand seit 50 Jahren erreicht hatte. Sie wurde durchgeführt, nachdem die Richter das landesweite Recht auf Abtreibung gekippt hatten.

Daten von Gallup zeigten einen Rückgang der Zustimmung nach dem Juli 2020 und einen steilen Rückgang bis zur Bestätigung von Richterin Amy Coney Barrett im Herbst selbigen Jahres. Seit September 2021 schien sich die Zustimmung auf etwa 40 Prozent eingependelt zu haben. 58 Prozent hingegen lehnten das Gericht ab.

Eine Umfrage von Ende März der Marquette Law School ergab, dass die Zustimmungsrate zum Obersten Gerichtshof auf 47 Prozent gestiegen war. Die Umfrage wurde durchgeführt, nachdem der Oberste Gerichtshof sein Urteil im Fall „Trump v. Anderson“ bekannt gegeben hatte.

Trotz des erklärten Interesses von Richterin Barrett, den Eindruck zu vermeiden, sie sei parteiisch, ergab eine Quinnipiac-Umfrage vom Mai 2022, dass eine Mehrheit der Amerikaner (63 Prozent) überzeugt ist, das Gericht agiere hauptsächlich politisch motiviert. Nur 32 Prozent sagten, es sei hauptsächlich vom Recht geleitet.

Polarisierung vermeiden

Der linksgerichtete Harvard-Rechtsprofessor Laurence Tribe meinte, dass die Richter mehr Schaden anrichten, wenn sie versuchen, das Gericht als unparteiisch darzustellen.

„Diese Vortäuschung – durch Richter Stephen Breyer in seinem Buch und durch Richterin Amy Coney Barrett und einige der anderen Richter in öffentlichen Reden – untergräbt meiner Meinung nach die Legitimität des Gerichts, weil sie so offensichtlich einen Mangel an Ehrlichkeit seitens der Richter offenbart“, teilte er der „Harvard Gazette“ mit.

In einem Interview mit der „Washington Post“ aus dem Jahr 2022 äußerte er die Befürchtung, dass das schwindende Vertrauen in das Gericht zu einem Punkt führen könnte, an dem Politiker die Entscheidungen des Gerichts einfach ignorieren.

Carrie Severino, eine ehemalige Mitarbeiterin des konservativen Richters Clarence Thomas, verteidigte den Supreme Court. „Das Gericht ist nach wie vor der vertrauenswürdigste Zweig des Staates“, sagte sie der Epoch Times.

Eine Analyse des Pew Research Center aus dem Jahr 2023 zeigte, dass das Vertrauen in den Staat abnimmt und im Jahr 2022 ein Rekordtief erreichte. Einem Bericht von Gallup aus dem Jahr 2023 zufolge haben 49 Prozent der Amerikaner großes oder ziemlich großes Vertrauen in die Judikative, an deren Spitze der Oberste Gerichtshof steht; 41 Prozent sagen das Gleiche für die Exekutive; und nur 32 Prozent geben an, dass sie dem Kongress ein solches Maß an Vertrauen entgegenbringen.

„Ich glaube, dass das Vertrauen der Menschen in den Staat auf breiter Front sinkt“, sagte Severino, die die konservative Bürgerrechtsgruppe Judicial Crisis Network leitet, der Epoch Times. „Und es ist eigentlich erstaunlich, dass die Zustimmungsrate zum Gericht so hoch ist, wenn man die konzertierte Kampagne gegen den Obersten Gerichtshof bedenkt, die schon kurz vor ‚Dobbs‘ im Gange war.“

„Aber von links ist die Empörung darüber, dass es ein Gericht gibt, das die Verfassung über progressive politische Ziele stellt, wirklich deutlich.“

In den Monaten vor der Dobbs-Entscheidung kam es zu Protesten, nachdem Richter Alitos‘ Entwurf einer Stellungnahme zur Aufhebung von „Roe“ bekannt wurde. Demonstranten tauchten vor den Häusern der Richter auf und ein Mann wurde verhaftet, nachdem er erklärt hatte, er plane ein Attentat auf Richter Kavanaugh.

Der U.S. Marshals Service berichtete außerdem, dass sich die Anzahl der ernsthaften Drohungen gegen Bundesrichter von 224 im Haushaltsjahr 2021 auf 457 im Haushaltsjahr 2023 mehr als verdoppelt habe.

Die Kapitolpolizei sichert das US-Kapitol in Washington am 13. Oktober 2023. Foto: Win McNamee/Getty Images

Rufe nach Reformen

Politiker haben die Kritik am Gericht durch Untersuchungen, öffentliche Erklärungen und Forderungen nach Reformen verstärkt und gefördert. Noch vor Dobbs warnte der damalige demokratische Senatsminderheitenführer Chuck Schumer nach einer Anhörung zum Abtreibungsgesetz in Louisiana im Jahr 2020 die Richter Kavanaugh und Neil Gorsuch: „Sie haben den Sturm entfesselt und werden den Preis dafür zahlen!“

Kürzlich versuchten die Demokraten im Justizausschuss des Senats, Personen vorzuladen, die im Zusammenhang mit angeblich ethischem Fehlverhalten der konservativen Richter Alito und Thomas genannt wurden. Auch die progressiven Richterinnen Sonia Sotomayor und Ketanji Brown Jackson wurden in den vergangenen Monaten aus ähnlichen Gründen ins Visier genommen. Gegen Sotomayor wurden zudem Forderungen laut, sie solle den Platz für einen jüngeren liberalen Richter freimachen.

Der Oberste Gerichtshof reagierte auf die Kritik mit einem Ethikkodex, der jedoch von den Demokraten wegen fehlender Durchsetzungsmechanismen angegriffen wurde.

Severino sagte der Epoch Times: „Das Gericht hat sich schon immer mit Fällen befasst, bei denen viel auf dem Spiel steht und bei denen es um die komplexesten Rechtsfragen geht. Aber noch nie war das Gericht so hartnäckigen parteipolitischen Angriffen von der extremen Linken ausgesetzt wie heute.“

Die Richter werden von verschiedenen Seiten kritisch beäugt – von Politikern, Interessengruppen, den Medien und der Öffentlichkeit. Der demokratische Senator Sheldon Whitehouse hat eine Amtszeitbeschränkung von 18 Jahren für Richter vorgeschlagen.

Debatte um Vergrößerung des Gerichts

Der Verfassungsrechtler Laurence Tribe beklagte vor zwei Jahren in einem Interview mit der „Washington Post“ das einseitig besetzte Gericht. Daran sei aus seiner Sicht jedoch nicht viel zu machen, da alle auf Richter des Obersten Gerichtshofs auf Lebenszeit ernannt seien. Um das Problem anzugehen, müsse man das Gericht vergrößern. Diese Idee hat bei Amerikanern bisher aber keinen guten Anklang gefunden.

Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Trump v. Anderson“ konnte sich das Gericht zumindest vorübergehend aus der Verantwortung für den Ausgang der Wahl entziehen. Anstatt zu entscheiden, ob Trump einen Aufstand angezettelt hatte, überließ es diese Entscheidung dem Kongress.

Wegen der Uneinigkeit im Kongress, auch innerhalb der Parteien, ist es unwahrscheinlich, dass der Kongress Gesetze in dieser Angelegenheit verabschieden wird.

Die republikanische Führung im Senat zeigt sich zuversichtlich, was die Aussichten der Partei im Jahr 2024 in der Kammer angeht. Sollten die Demokraten jedoch ihre Mehrheit im Senat behalten und das Repräsentantenhaus zurückerobern, könnte es in den Wochen vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten noch weitaus heißer hergehen, als es derzeit der Fall ist.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Supreme Court Faces ‘High Stakes’ Decisions on Trump-Related Cases“. (deutsche Bearbeitung nh)



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