Steinmeiers Türkei-Besuch: „Döner-Diplomatie“ ruft Irritationen hervor

Das Treffen zwischen dem deutschen Präsidenten Steinmeier und dessen türkischem Kollegen Erdoğan in Ankara verlief ohne nennenswerte Komplikationen. Während die Politiker um eine Verbesserung der Beziehungen bemüht waren, blieben einige Medien unversöhnlich.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, treffen sich im Präsidialpalast in Ankara. Zum  100. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei stattet Bundespräsident Steinmeier der Türkei einen dreitägigen Besuch ab.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei, treffen sich im Präsidialpalast in Ankara. Zum 100. Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei stattet Bundespräsident Steinmeier der Türkei einen dreitägigen Besuch ab.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 25. April 2024

Am Mittwoch, 24. April, ging der dreitägige Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in der Türkei zu Ende. Am letzten Tag stand ein Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan in Ankara auf dem Programm. Dieses beinhaltete eine mehrstündige Unterredung, ein Mittagessen und eine Pressekonferenz.

Steinmeier traf sich zudem mit zwei bedeutenden Oppositionspolitikern – dem Oberbürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş, und dem CHP-Chef Özgür Özel. Zum Programm gehörten auch ein Besuch am Atatürk-Mausoleum Anıtkabir und eine historische Veranstaltung an der Universität Ankara.

Türkei und Deutschland mit „handfestem Interesse“ an besseren Beziehungen

Anders als die in gespannter Atmosphäre verlaufenen Treffen zwischen Erdoğan und deutschen Politikern in früheren Jahren gab es diesmal keine nennenswerten Misstöne. Auch wenn bekannte Kommunikationsmuster zwischen den Zeilen in einigen Äußerungen erkennbar blieben, verliefen die Gespräche konstruktiv.

In der Pressekonferenz äußerten beide Präsidenten übereinstimmend ihren Willen, die zuletzt erheblich beeinträchtigten Beziehungen einer Wiederannäherung zuzuführen. Beide Länder hätten, so Steinmeier, ein „handfestes Interesse“ an einer besseren Zusammenarbeit. Erdoğan erklärte, man stimme „überein, dass wir unsere Beziehungen ausbauen wollen“.

Steinmeier betonte, die türkisch-deutschen Beziehungen seien „nicht nur zwischen Staaten, sondern vor allem zwischen Menschen“. Er fügte hinzu:

„Mit keinem anderen Land der Welt hat Deutschland so viele und so dichte familiäre Beziehungen wie mit der Türkei.“

Inmitten einer gefährlichen Weltlage brauche man einander, betonte der Bundespräsident.

Kritik kommt zwischen den Zeilen zur Sprache

In weiterer Folge blieb das wechselseitige Sparring nicht aus. Steinmeier sprach über den 2005 begonnen, aber derzeit auf Eis liegenden EU-Beitrittsprozess. Er erklärte dabei, er wünsche der Türkei eine „dynamische, demokratische, europäisch orientierte Entwicklung“. Dabei seien „Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit“ wichtige Bedingungen. Diese Äußerungen waren unschwer als indirekte Kritik an der wahrgenommenen Menschenrechtslage in der Türkei zu erkennen.

Erdoğan erwiderte, er sei in Sorge ob einer Zunahme rassistischer, fremdenfeindlicher und islamophober Tendenzen in Deutschland in Europa. Aussagen wie diese transportieren ebenso indirekt die Botschaft, dass die Türkei sich Belehrungen vonseiten der Europäer verbitte.

Wie „Hürriyet Daily News“ berichtet, mahnte der türkische Präsident auch eine „effektivere Zusammenarbeit“ in der Terrorismusbekämpfung an. Er habe während der Gespräche „zum Ausdruck gebracht, dass wir Solidarität erwarten“, so Erdoğan.

Deutschland teilt „Terror“-Narrativ bezüglich Gülen-Bewegung nicht

Auch hier gibt es Differenzen zwischen beiden Staaten. Während in beiden Ländern Konsens darüber herrscht, dass die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) und linksextreme Formationen wie DHKP-C als terroristisch einzustufen sind, gehen die Einschätzungen bezüglich der Gülen-Bewegung auseinander.

In der Türkei wird von dieser offiziell als „Fetullahistische Terrororganisation“ (FETÖ) gesprochen. Ankara macht Angehörige der prowestlichen Islambewegung für den vereitelten Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich.

In Deutschland hält man dies für eine „moderne Verschwörungstheorie“ – so bezeichnete zumindest der bekannte Politologe Armin Pfahl-Traughber die These. BND-Chef Bruno Kahl erklärte zur Gülen-Bewegung, diese sei eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung“. Extremistisch oder terroristisch sei sie nicht. Die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder sehen es ebenso.

Personen, gegen die in der Türkei wegen mutmaßlicher Zugehörigkeit zum Gülen-Netzwerk Haftbefehle bestehen, erhalten in Deutschland regelmäßig Asyl. Auslieferungsersuchen in diesem Kontext wird nicht stattgegeben. In Ankara sorgt das für erhebliche Verstimmungen.

Erdoğan fordert Öffnung Deutschlands für Verteidigungsindustrie der Türkei“

Mehr Harmonie herrschte demgegenüber mit Blick auf den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Erdoğan will das Volumen der Wirtschaftsbeziehungen von 50 auf 60 Milliarden US-Dollar erhöhen. In diesem Zusammenhang mahnte er – offenbar in Kenntnis der deutschen Rüstungsambitionen – ein Ende bestehender Beschränkungen in der Verteidigungsindustrie an:

Wir hoffen, dass wir nicht mehr über Hindernisse, sondern über eine gemeinsame Produktion sprechen werden.“

Differenzen gibt es weiterhin beim Thema Gaza. Erdoğan warf dem Westen Indifferenz gegenüber zivilen Opfern der israelischen Antiterroroperation gegen die Hamas vor. Steinmeier machte deutlich, dass es den Krieg im Nahen Osten ohne das Massaker vom 7. Oktober nicht gäbe.

Beide Präsidenten stimmten jedoch darin überein, dass die humanitäre Lage in dem Küstenstreifen verbessert und ein Flächenbrand in der Region verhindert werden müsse. Dabei komme „der Türkei eine ganz wichtige Rolle zu“, erklärte Steinmeier.

„Merkur“: Dönergrill bedient Klischees – wie „mit Dosenweißwurst in Bayern anreisen“

Während der Steinmeier-Besuch politisch zumindest keine sichtbare Verschlechterung des bilateralen Verhältnisses zur Folge hatte, blieb in vielen Medien ein schaler Nachgeschmack. Dass der Präsident einen Dönergrill und einen Koch mitgebracht hatte, wurde nicht überall als nette Geste aufgefasst.

Im „Münchner Merkur“ verglich Christian Deutschländer die Geste mit den Fotos von Ministerpräsident Markus Söder auf dessen China-Reise. Dieser habe dafür mehrfach einen Plüschpanda geküsst. Der Döner-Auftritt bediene „die wirklich simpelsten Klischees, die dem schwierigen Verhältnis zu Ankara so wenig gerecht werden wie der vielfältigen Lebensrealität von Millionen Deutschtürken bei uns“.

Wer Politik mit Worten und Symbolen machen wolle, solle sich vorher gründlicher Gedanken machen:

Staatsbesucher in Bayern reisen auch nicht mit Dosenweißwurst an.“

„taz“: Steinmeier nimmt bereits „Nach-Erdoğan-Ära ins Visier“

In der „taz“ würdigte Jürgen Gottschlich Steinmeiers „Programm zur Aufhellung der Stimmung zwischen beiden Ländern“. Die Betonung einer langen gemeinsamen Geschichte oder der Besuch in Erdbebengebieten „boten viele Gelegenheiten, Freundlichkeiten auszutauschen“. Zugleich sei es auffällig gewesen, dass sich Steinmeier mit den drei wichtigsten Oppositionspolitikern getroffen habe:

„Die deutsche Politik macht sich offenbar mit dem Gedanken vertraut, dass am politischen Horizont eine Türkei nach Erdoğan aufgetaucht ist.“

Kritik an Steinmeier übte Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft. Er kritisierte, dass der Präsident seinen türkischen Amtskollegen als „Freund“ bezeichnet habe. Dies sei vor dem Hintergrund von Erdoğans apologetischer Position gegenüber der terroristischen Hamas unangebracht.

„Sabah“: Türkei hat „der deutschen Arroganz eine Ohrfeige versetzt“

In türkischen Medien befassten sich bis dato nicht viele Kommentatoren mit dem Steinmeier-Besuch. Wo sie sich allerdings äußerten, war dies von Unversöhnlichkeit geprägt. In der „Sabah“ schreibt Bercan Tutar, der deutsche Präsident habe den Türken „drei Tage lang die Zeit gestohlen“.

Gleichzeitig habe man „von Ankara nach Berlin eine Lektion in Demokratie“ erteilt. Steinmeier sei nicht in Medien beschimpft worden. Er habe sich in der Türkei frei bewegen und treffen können, wen er wollte. Die Türkei habe durch den reibungslosen Verlauf des Besuchs „der deutschen Arroganz eine Ohrfeige versetzt“.

Ursache für den gereizten Kommentar war, dass deutsche Politiker in den Jahren nach dem vereitelten Putschversuch vom Juli 2016 Wahlkampfauftritte Erdoğans oder türkischer Minister in Deutschland untersagt hatten. Man bezeichne ihn als „Diktator“, außerdem hätten einige führende deutsche Politiker eine Nähe zur HDP gezeigt. Die vor allem von Kurden gewählte Partei gilt in der Türkei als politischer Arm der terroristischen PKK.

„Yeni Şafak“ nennt Steinmeier „Holocaust-Unterstützer“ und wirft deutschem Staat NSU-Morde vor

Noch heftiger fallen die Reaktionen in der „Yeni Şafak“ aus. Während sich in der englischsprachigen Ausgabe nur ein neutraler Bericht über das Treffen findet, lässt Tamer Korkmaz in der türkischen alle Hemmungen fallen. Sein Kommentar trägt den Titel „Holocaust-Unterstützer Frank, vergiss nicht: Der Tag wird kommen, und damit auch die Abrechnung“.

Dass Steinmeier Döner serviert habe, lasse ihn an den Ausdruck „Dönermorde“ denken, mit dem in Deutschland die NSU-Mordserie tituliert worden war, bis deren rassistischer Hintergrund offenbar wurde. Korkmaz kommentierte, „heuchlerische Deutsche“ liebten es, „mit Dönern Freundschaft zu zeigen“.

Tatsächlich stehe der deutsche Staat selbst hinter den NSU-Morden – und die „neonazistische False-Flag“ sei „ein Produkt von Gladio“ gewesen. Dies war die Bezeichnung einer „Stay-Behind“-Armee der NATO, die in den 1950er- und 1960er-Jahren für den Fall eines sowjetischen Einmarsches Sabotageaktionen durchführen sollte. Sie ist seit ihrem Bekanntwerden Anfang der 1990er-Jahre Anlass für Verschwörungserzählungen.

Die „Europäische Union der Schurken“ würde einen Beitritt der Türkei nie akzeptieren, äußerte Korkmaz weiter. Stattdessen unterstütze sie den angeblichen „Völkermord“ in Gaza. Diese Äußerung verband er mit der These von einer Steuerung der EU durch den Papst. Zudem erklärte er, dass die USA hinter dem der „FETÖ“ zugeschriebenen Putschversuch stünden.



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