Wahl-Farce in Nicaragua: 83 Prozent des Volkes verweigerten, Ortega zu wählen

Während die Regierungspartei ihren „Wahlsieg“ feiert, prangern Menschenrechtler die Unterdrückung und brutale Verfolgung der Opposition an. Derweil verlassen immer mehr Nicaraguaner das Land.
Kommunalwahlen in Nicaragua
Ein Mitglied des Obersten Wahlrates (CSE) gibt seine Stimme in einem Wahllokal während der Kommunalwahlen in Managua, Nicaragua, am 6. November 2022 ab.Foto: OSWALDO RIVAS/AFP via Getty Images
Von 10. November 2022

Bei den umstrittenen Kommunalwahlen am 6. November in Nicaragua hat die Regierungspartei Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) 73,7 Prozent der Stimmen erhalten. Damit haben sie alle 153 Bürgermeisterämter unter ihre Kontrolle gebracht. Dies gab der Oberste Wahlrat (CSE) am Montag bekannt.

Über 27.000 Kandidaten hatten sich um die 6.000 offenen Posten beworben, so die Information des spanischen Onlineportals „Confidencial“. Das Wahlergebnis galt als absehbar, da es praktisch keine wirkliche Opposition gab. Sie sind entweder im Gefängnis, im Exil oder nicht zur Wahl angetreten.

Die Partei FSLN des sozialistischen Staatschefs Daniel Ortega kontrollierte bereits vor der Wahl 141 von 153 Gemeinden Nicaraguas.

Laut dem Oppositionsblock Unidad Nacional Azul y Blanco, deren Führer sich im Exil befinden, führte Ortega „diese kommunale Farce durch, um seine absolute Kontrolle“ im Land zu festigen.

„Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit mehr, keine Gewaltenteilung. Eine Elite hat die Regierung ‚übernommen‘, und die Wahlmacht ist eine Erweiterung der Exekutive“, zitierte „Confidencial“ Professor und Politikwissenschaftler Leandro Querido. Es stellt sich ihm die Frage, „warum ein totalitäres Regime wie das von Ortega und [Vizepräsidentin Rosario] Murillo sich die Mühe macht, „Wahlen“ abzuhalten, wenn doch niemand außer ihnen „gewinnen“ kann“.

Mindestens acht Menschen wurden während der Wahl verhaftet, meldete das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR). Für die Wahl würden bereits „Mindestbedingungen, die für die Durchführung freier, fairer und wettbewerbsfähiger Wahlen erforderlich sind“ fehlen, erklärte die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte.

Wahlbeteiligung bei 17,3 Prozent

Rund 3,7 Millionen Bürger in Nicaragua waren zur Wahl aufgerufen worden. Die Wahlbeteiligung lag laut der unabhängigen Wahlbeobachtungsstelle Urnas Abiertas bei einem Rekordtief von 17,3 Prozent. Die Organisation ist ein Zusammenschluss von Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen, wie Politikwissenschaft, Sozialwissenschaft und Kommunikation. Sie dokumentieren die Wahlprozesse kritisch und machen diese öffentlich. Unter ihnen sind auch Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger.

Die Leiterin Olga Valle berichtete, dass über 1,3 Millionen Menschen vor der Wahl aus den Wählerverzeichnissen gestrichen wurden. Bürger erzählten auch von Vorfällen, bei denen Personen, die nicht auf der Wählerliste standen, angegriffen und aus den Wahllokalen verwiesen wurden. Man hätte ihnen gesagt, dass „nur Gegner nicht auf dem Wählerverzeichnis stehen“, zitierte CNN die Wahlbeobachter. Das Land hat rund 6,8 Millionen Einwohner.

Leere Wahllokale

Andere wiederum wurden dazu gedrängt, unbedingt zur Wahl zu gehen. Wie „Confidencial“ berichtet, erhielten Staatsangestellte sowie Partei-Mitglieder die Instruktion, Fotos von sich und der „friedlichen“ Stimmung im Wahllokal zu machen, nachdem sie ihre Stimme abgegeben haben. Diese sollen sie dann in ihren sozialen Netzwerken teilen und wohlwollend kommentieren. Bürger berichteten außerdem, dass an jedem Wahllokal Kontrolleure eingesetzt wurden, die genau dokumentierten, wer von den Parteianhängern noch nicht gewählt hatte.

Ein Bürger aus dem Verwaltungsbezirk Madriz erzählte: Sandinistische Aktivisten hätten ihn, seine Frau und seine Schwiegermutter zu Hause aufgesucht und aufgefordert, für die Regierungspartei zu wählen. „Sie dachten, wir würden nicht wählen gehen“, sagte der Nicaraguaner. Er empfand es als bedauerlich, dass die Wahllokale so leer waren. „Früher standen wir Schlange. Jetzt scheint dieser Ort verlassen zu sein“, erinnerte sich der 62-Jährige.

Ein anderer Bewohner aus der Küstenstadt Bluefields berichtete, die Regierung hätte ihn unter Druck gesetzt, damit er wählen gehe. „Sie sagen uns, dass es obligatorisch ist“. Den ganzen Tag über bekamen die Wähler Nachrichten zugeschickt, die sie daran erinnerten, dass sie „dank unseres Kommandanten (Daniel Ortega) Arbeit haben“. Dann folgte die Drohung: „Denkt daran, dass wir die Liste derjenigen haben, die zur Wahl gegangen sind“.

Nicaraguaner flüchten in die USA

Es waren die ersten Kommunalwahlen seit der blutigen Unterdrückung der Bürgerproteste im Jahr 2018. Kritiker werfen Ortega einen repressiven Regierungsstil vor. Damals forderten tausende Demonstranten den Rücktritt von Staatschef Ortega. Sie wurden von der Polizei und dem Paramilitär niedergeschlagen. Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden dabei über 300 Menschen getötet und mehr als 700 Demonstranten verhaftet.

Viele Nicaraguaner sind seitdem vor der Gewalt und Verfolgung in ihrem Land geflohen. In diesem Jahr hätten US-Grenzschutzbeamte rund 164.000 Nicaraguaner ohne Papiere abgewiesen, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Die Verfolgung in Nicaragua sei so brutal, „dass die Menschen lieber das Risiko eingehen, das Land zu verlassen, als zu bleiben und sich noch mehr Repressionen auszusetzen“, erklärte Manuel Orozco von der Denkfabrik Inter-American Dialogue.

„Nur wir alten Leute sind übriggeblieben“

Dies zeigt der Fall von Jose Galeano. Der 35-jährige ehemalige Absolvent der Veterinärmedizin plant, mit einem Bruder und zwei Cousins in die USA zu fliehen. Dafür hat er einen Kredit aufgenommen und sein Haus verpfändet, um Menschenschmuggler zu bezahlen. Zwischen 2.000 und 5.000 Dollar kostet ihm die „illegale Reise“. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Monatsgehalt in Nicaragua liegt im Jahr 2022 bei rund 356 Euro.

Es gibt „wenig Arbeit, der Lohn ist niedrig, es gibt keine Möglichkeiten“, beklagte Galeano gegenüber der AFP. Er ließ seine Tochter und die Mutter mit dem Wunsch zurück, eines Tages zurückkehren zu können, um in seiner Heimatstadt Managua eine Bäckerei zu eröffnen. Dafür müsste er in den Vereinigten Staaten Arbeit finden und genügend Geld verdienen. Doch bis dahin ist noch ein langer Weg.

Zunächst müsse Galeano mit einem „Ausflugsbus“ nach Guatemala gelangen. Von dort würde ein Schlepper ihn in die USA bringen. Medien berichten immer wieder von Migranten, die auf solch einer Reise wegen Erstickung, Ertrinken oder Verkehrsunfällen ihr Leben verloren – mindestens 40 Fälle sind im aktuellen Jahr bekannt. Ein Risiko, das viele Nicaraguaner in Kauf nehmen. „Immer mehr verlassend das Land“, beklagte der 60-jährige Bauer Roger Sanchez. „Nur wir alten Leute sind übriggeblieben. Nicaragua wird am Ende allein dastehen“.

Moises Espinoza, Cousin von Jose Galeano, umarmt seine Großmutter, bevor er sich am 27. Oktober 2022 auf den Weg in die Vereinigten Staaten macht. Foto: STR/AFP via Getty Images



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