Bundestag muss Eherecht für Minderjährige nachschärfen

Bis Ende Juni 2024 muss der Gesetzgeber das Eherecht überarbeiten: Das aktuelle „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ genügt nicht den Ansprüchen des Grundgesetzes. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden.
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Archivbild: Ein junges Mädchen zeigt eine Tafel mit der Aufschrift „Stop Child Marriage“ („Stoppt Kinderhochzeiten”).Foto: GABRIEL BOUYS/AFP/Getty Images
Von 29. März 2023

Das aktuelle „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe am 29. März 2023 entschieden.

Bis „längstens 30. Juni 2024“ müsse eine „in jeder Hinsicht verfassungsgemäße Regelung“ vom Gesetzgeber geschaffen werden, ordnete der Erste Senat des BVerfG an.

Zur Begründung

Es sei zwar nicht von vorneherein verfassungswidrig, die Nichtigkeit von Kinderehen ohne Prüfung des Einzelfalls auszusprechen, erläuterte das BVerfG in seinem Beschluss „1 BvL 7/18“. Allerdings müsse auch eine Möglichkeit geschaffen werden, „die betroffene Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach deutschem Recht als wirksame Ehe führen zu können“.

Außerdem müsse klar geregelt werden, welche Folgen eine im Ausland geschlossene und hierzulande unwirksame Eheschließung eines Kindes unter 16 Jahren für etwaige Unterhaltsansprüche bedeute, erläuterte das BVerfG seinen Beschluss in einer Pressemitteilung. So wie das Gesetz derzeit formuliert sei, sei es mit der nach Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes garantierten Ehefreiheit unvereinbar. „Die Vorschrift bleibt jedoch zunächst mit vom Gericht näher festgelegten Maßgaben zu Unterhaltsansprüchen in Kraft.“

Nach aktuellem deutschem Gesetz ist auch eine im Ausland geschlossene Ehe automatisch unwirksam, falls mindestens einer der Partner zum Zeitpunkt der Hochzeit noch keine 16 Jahre alt war.

Fall einer 14-jährigen Ehefrau hatte Schlagzeilen gemacht

Im Jahr 2016, mitten in der ersten großen Flüchtlingskrise, hatte der Fall eines syrischen Pärchens in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt.

Wie der „Bayerische Rundfunk“ damals berichtete, war eine verheiratete Syrerin bei ihrer Ankunft in Deutschland 14 Jahre alt gewesen, ihr Mann bereits volljährig. Das Oberlandesgericht Bamberg hatte in zweiter Instanz entschieden, dass das Jugendamt das Umgangsrecht der Eheleute nicht auf die Wochenenden hätte einschränken dürfen. Die Ehe sei nicht von vorneherein unwirksam, „sondern nur aufhebbar“.

Im OLG-Gerichtsbeschluss „2 UF 58/16“ vom 12. Mai 2016 hieß es: „Die Gesamtumstände ergeben […] auch aus Kindeswohlgesichtspunkten keine Notwendigkeit, die in Syrien geschlossene Ehe vorliegend als nichtig anzusehen.“

Die Regierung sah Handlungsbedarf – und setzte ein neues „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“ (PDF) am 22. Juli 2017 in Kraft.

Eherecht in Deutschland

Seitdem sind Eheschließungen grundsätzlich nur dann rechtskräftig, wenn mindestens ein Partner das 18. Lebensjahr vollendet hat und sein Ehegatte beziehungsweise seine Ehegattin mindestens 16 Jahre alt ist.

Das Gesetz zog eine Änderung der entsprechenden Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nach sich. In Paragraph 1303 BGB („Ehemündigkeit“) heißt es seitdem:

Eine Ehe darf nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden. Mit einer Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, kann eine Ehe nicht wirksam eingegangen werden.“

Sofern ein Ehepartner zum Zeitpunkt der Heirat über 16 Jahre, aber unter 18 Jahre alt ist, greift Paragraph 1314 BGB:

Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie

[…] entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte oder […] entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist.“

Die genannten Paragraphen betreffen die Geschäftsunfähigkeit, das Vorliegen einer bereits geschlossenen Ehe oder Partnerschaft mit einem Dritten, die Verwandtschaftsverhältnisse und die persönliche Anwesenheit während der Eheschließung.

Weitere Aufhebungsgründe liegen vor, wenn mindestens einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung seinen geistigen Sinnen nicht Herr war oder nichts davon wusste, dass es sich um eine Eheschließung handelte, wenn „arglistige Täuschung“ oder ähnliche Umstände vorlagen, wenn eine Drohung im Spiel war oder wenn „beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 [Eheliche Lebensgemeinschaft] begründen wollen“.

Die Situation in Deutschland

Nach Informationen des Onlineportals „Anwalt.org“ hatte das Bundesinnenministerium in Deutschland noch im Jahr 2016 rund 1.500 verheiratete Kinder oder Jugendliche gezählt, darunter 361 Kinder unter 14 Jahren. Bei den meisten habe es sich „um junge Mädchen [gehandelt], die mit volljährigen Männern verheiratet“ waren.

Das Nachrichtenmagazin „Focus“ war noch im Oktober 2021 von deutschlandweit „Hunderten Minderjährigen in Kinderehen“ ausgegangen: So seien seit Inkrafttreten des Anti-Kinderehegesetzes bei einer gewissen Dunkelziffer 813 illegale Ehen gemeldet worden. Davon seien nur zehn oder elf richterlich aufgehoben worden. „93 Prozent der Betroffenen sind Mädchen, 98 Prozent haben einen Migrationshintergrund“, zitiert der „Focus“ die „Terre des Femmes“-Expertin Monika Michell. Nach Angaben der Kinderhilfsorganisation UNICEF stammten sie vor allem „aus Syrien, Afghanistan, Irak und mehreren EU-Mitgliedstaaten“.

Weltweit rund 765 Ehen Minderjähriger

Augenblicklich gibt es nach UNICEF-Angaben weltweit „schätzungsweise 650 Millionen Mädchen und 115 Millionen Jungen“, die „vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet“ wurden. Jedes Jahr würden noch immer rund zwölf Millionen Mädchen verheiratet – Tendenz sinkend.

„Am weitesten verbreitet sind Kinderehen in Subsahara-Afrika und im südlichen Asien“, schreibt UNICEF. Auch in Regionen wie dem Mittleren Osten, Indien, Bangladesch, Nordafrika, Lateinamerika, der Karibik und sogar in Osteuropa finde man zum Teil hohe Prozentzahlen.



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