25. Jahrestag des Zugunglücks von Eschede: Ein Blick zurück

ICE 884: Am 3. Juni 1998 kam es zu einem der schwersten Zugunglücke Deutschlands. 101 Menschen starben.
Titelbild
Die Gedenkstätte der ICE-Katastrophe von Eschede ist mit 101 Kirschbäumen bepflanzt.Foto: Holger Hollemann/dpa
Epoch Times28. Mai 2023

Das schwerste Zugunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte ereignet sich um genau 10:58 Uhr an einem sonnigen Frühsommertag auf Höhe von Eschede in der Südheide.

Auf der Fahrt von München nach Hamburg entgleist ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ am 3. Juni 1998 und zerschellt an einer Brücke in der niedersächsischen Gemeinde, 101 Menschen sterben. Am Samstag jährt sich die Katastrophe zum 25. Mal. Was damals passierte und was danach geschah.

Was führte zu dem Unglück?

Ausgelöst wird das verheerende Unglück durch eine Verkettung tragischer Umstände. Sechs Kilometer vor Eschede bricht wegen Materialermüdung ein gummigefederter Radreifen des ICE. Ein verbogenes Metallteil ragt unter dem Zug hervor und verhakt sich kurz vor dem Bahnhof des Orts in einer Weiche.

Die Achse mit dem gebrochenen Radreifen entgleist und verstellt eine zweite Weiche, wodurch der nachfolgende Waggon des mit rund 200 Kilometern pro Stunde dahinrasenden Zugs plötzlich auf ein Nebengleis einschwenkt. Der nunmehr querstehende Waggon prallt gegen den Pfeiler einer Brücke, die durch die Wucht der Kollision sofort einstürzt und zwei Waggons des ICE zerquetscht.

Der Zug wird dadurch quasi zweigeteilt. Die nachfolgenden Wagen werden vom hinteren Triebkopf binnen Sekunden in voller Fahrt mit enormer Wucht gegen die zusammengestürzte Brücke geschoben, die vorderen Waggons fliegen teils aus dem Gleis. 99 Passagiere und Mitglieder des Zugteams sterben, außerdem zwei Streckenarbeiter der Bahn. 88 weitere Menschen werden schwer verletzt.

2.000 Rettungskräfte im Einsatz

Zeugen der Ereignisse berichten von einem undefinierbaren Krach und einer großen Staubwolke, danach herrscht Stille. Als sich der Dunst legt, gibt er den Blick auf die wie eine Ziehharmonika zusammengeschobenen zermalmten Waggons vor den Brückenüberresten und ein sich über hunderte Meter entlang der Schienen hinziehendes Trümmerfeld frei. Anwohner und erste Retter eilen herbei, sie sind von der schieren Dimension der Tragödie teils überwältigt.

Während sich die ersten Livebilder der Katastrophe um die Welt verbreiten, läuft der größte Rettungseinsatz an, den Deutschland nach einem Unglück je sah. 2.000 Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Notärzte, Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks, Polizisten und Soldaten werden zusammengezogen. Die Verletzten werden über eine Luftbrücke binnen kurzer Zeit mit Hubschraubern ausgeflogen. Die Bergung der Trümmer und der Toten allerdings dauert Tage.

Das Leiden danach

Das Unglück löst bundesweit Bestürzung aus, auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) fährt zur Unglücksstelle. Opfer und Angehörige indessen leiden bis heute unter körperlichen und seelischen Folgen. „Das Unglück bedeutet für mich und auch für viele andere Zugopfer eine ‚lebenslange Strafe‘“, sagte einmal der Überlebende Udo Bauch, der ein Buch über das Unglück schrieb.

Die Betroffenen gründen sogar eine Organisation, die Selbsthilfe Eschede. Sie kämpft für Anerkennung ihrer Leiden. Auch viele Retter lässt das Grauen nicht los. Das Unglück von Eschede wird in Deutschland auch zu einem Startschuss für den Ausbau psychologischer Kriseninterventionsstrukturen.

Warten auf Entschuldigung

Insbesondere das Verhältnis zwischen den Überlebenden und Hinterbliebenen und der Deutschen Bahn ist lange extrem schwierig – nicht nur wegen Fragen zur materiellen Entschädigung. Für große Bitterkeit sorgt vor allem auch, dass eine Entschuldigung lange Zeit ausbleibt.

Erst 2013 – 15 Jahre nach dem Unglück – bittet der damalige Bahnchef Rüdiger Grube bei der jährlichen Gedenkfeier am Unglücksort in Eschede in Namen des Konzerns um Verzeihung.

Die juristischen Folgen

Völlig unbefriedigend verläuft aus Sicht der Betroffenen die juristische Aufarbeitung. Drei Ingenieure der Bahn und des Herstellers des gebrochenen Radreifens stehen später wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Laut Anklage sollen sie das Bauteil bei der Entwicklung nicht genug auf Bruchfestigkeit getestet und technische Kontrollen nicht angepasst haben.

Die Angeklagten bestreiten, auch die Bahn sieht keine Schuld bei sich. 2003 stellt das Landgericht Lüneburg den Prozess gegen Geldbußen ein. Die Männer treffe „keine schwere Schuld“. Hinterbliebene empfinden das als Schlag ins Gesicht. Später scheitern sie darüber hinaus mit Zivilklagen gegen die Bahn.

Die Verantwortlichen ziehen indessen ihre Lehren. So verzichtet die Bahn in der Folge auf gummigefederte Radreifen und setzt trotz geringerer Laufruhe wieder auf massive Vollgussräder.

Außerdem werden Weichen vor Brücken nicht mehr gebaut, um das Risiko ähnlicher Unglücke auszuschließen. Und auch auf symbolischer Ebene gibt es Konsequenzen: ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ gibt es heute nicht mehr – Zugnummer und Namen vergibt die Bahn nie wieder. (afp)



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