Ahrtal-Ermittlungsende: Hinterbliebene legen Beschwerde ein

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat die Ermittlungen wegen der tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal eingestellt. Einige Hinterbliebene wehren sich nun juristisch dagegen.
Bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz kamen damals 136 Menschen zu Tode.
Bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz kamen damals 136 Menschen zu Tode.Foto: Boris Roessler/dpa
Epoch Times23. April 2024

Hinterbliebene der tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal haben nach Aussage ihres Anwalts gegen die Einstellung der Ermittlungen Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz eingelegt. Das teilte ihr Anwalt Christian Hecken mit. Die Beschwerde sei am Montag eingelegt worden, hieß es.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte am Donnerstag verkündet, die Ermittlungen zur Flutkatastrophe 2021 einzustellen. Zuvor hatte sie gegen den Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter des Krisenstabs unter anderem wegen der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen ermittelt.

Nun muss die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz entscheiden. Lehnt sie die Beschwerde ab, bleibt den Hinterbliebenen noch die Möglichkeit, vor das Oberlandesgericht Koblenz zu ziehen.

Keine Ermittlungen gegen den Landrat und Krisenstab

Mit der Einstellung des Verfahrens wird weder der frühere Landrat des Landkreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), noch ein weiteres Mitglied des damaligen Krisenstabs angeklagt, wie der leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler am 18. April sagte. Es habe sich kein hinreichender Tatverdacht für fahrlässige Tötung beziehungsweise fahrlässige Körperverletzung im Amt durch Unterlassen ergeben.

Die Vorwürfe setzten voraus, dass eine gebotene Handlung objektiv pflichtwidrig unterlassen wurde und die Beschuldigten dies hätten erkennen können. Für eine Strafbarkeit hätten mit einer bestimmten Handlung Schäden an Personen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden werden müssen. In diesem konkreten Fall wären die Schäden möglicherweise auch bei einem pflichtgemäßen Handeln eingetreten.

„Das extreme Ausmaß der Flut war für die Beschuldigten nicht vorherzusehen“, sagte Mannweiler. Laut einem Gutachten sei der konkrete Verlauf des Ereignisses unter anderem durch die unterschiedliche Topografie in dem Gebiet nicht vorhersagbar gewesen. Demnach habe es sich um eine hochkomplexe Sturzflut gehandelt.

„Ein vergleichbares Hochwasser hat es in menschenerdenklicher Zeit an der Ahr noch nicht gegeben“, sagte Mannweiler. Die Flut sei für Anwohner, Betroffene und Einsatzkräfte sowie Einsatzverantwortliche unvorstellbar gewesen.

Pegelstände und Erkennen der Gefahr

Zwar sei die Pegelprognose am Nachmittag vor der Flut besorgniserregend, aber noch relativ unauffällig gewesen. Die technische Einsatzleitung habe sich den ganzen Abend über um weitere Einsatzkräfte bemüht – auch aus anderen Bundesländern.

Sie sei basierend auf Prognosen von einem sehr starken, aber beherrschbaren Hochwasser ausgegangen. Der schließlich tatsächlich erreichte Pegelstand von zehn Metern habe alle Prognosen jedoch bei Weitem übertroffen. Dass der Pegel selbst durch die Wassermassen zerstört wurde, erfuhr die Einsatzleitung erst mit Verspätung.

Um 19:35 Uhr sei eine Warnung herausgegeben worden, in der Menschen dazu aufgefordert wurden, Erdgeschosswohnungen und Keller zu meiden. Der Einsatzleitung sei von den Einsatzkräften vor Ort kein Lagebild übermittelt worden. Dies habe wohl vor allem daran gelegen, dass die Einsatzkräfte mit der Rettung derart beschäftigt gewesen seien, dass sie keine Lagebilder mehr hätten übermitteln können.

Als der technischen Einsatzleitung die Dramatik des Geschehens am späteren Abend bewusst worden sei, sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, das Gebiet planvoll und organisiert zu evakuieren. Weil sie durch den zerstörten Pegel die tatsächliche Entwicklung nicht mehr habe verfolgen können, habe sie auch keine konkreten Evakuierungsbereiche festlegen können.

Es sei nicht sicher feststellbar gewesen, ob durch weitergehende und frühere Räumungsaufforderungen Tote und Verletzte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten verhindert werden können. Unklar sei, ob die Menschen den Warnungen im Einzelfall auch gefolgt wären.

Den analysierten Reaktionen zufolge reagierten viele häufig abwartend oder gar ungläubig auf Räumungsaufforderungen. Obwohl in Sinzig mehr Zeit für eine Evakuierung geblieben sei, seien durch eine „Verkettung schicksalhaft-tragischer Umstände“ zwölf Menschen in einer Betreuungseinrichtung ertrunken. Die Flutwelle habe das Gebäude während der Evakuierung erreicht.

Der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler sei unzureichend organisiert gewesen. So habe das Führungssystem des Katastrophenschutzes zahlreiche Mängel aufgewiesen. Diese begründeten allerdings keine Strafbarkeit. Eine bessere Organisation des Katastrophenschutzes hätte die Chancen auf die Rettung von mehr Menschen zwar erhöht, ob das aber auch mit Sicherheit so eingetreten wäre, sei unklar.

„Selbst wenn der Landkreis über Evakuierungspläne verfügt hätte, wären diese sicher nicht für eine derartige Katastrophe ausgelegt gewesen und hätten in der Kürze der Zeit kaum umgesetzt werden können“, sagte Mannweiler.

Über 180 Tote und große Zerstörungen

Im August 2021 hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz Ermittlungen gegen Pföhler und das frühere Mitglied des Krisenstabs eingeleitet. Bei den Ermittlungen ging es um die Frage, ob durch anderes Handeln die Folgen zumindest teilweise hätten vermieden werden können.

Der Abschluss der Ermittlungen verschob sich immer wieder. Grund dafür war ein umfangreiches Gutachten, mit dem sich auch ein Untersuchungsausschuss des Landtags in Mainz beschäftigte.

Starke Regenfälle hatten Mitte Juli 2021 katastrophale Überschwemmungen an Flüssen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ausgelöst. Viele Gemeinden, insbesondere im Ahrtal, wurden verwüstet. Mehr als 180 Menschen starben insgesamt, hunderte wurden verletzt. (dpa/afp/red)

 

 



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