Berliner Gericht: Grundgesetzkunstwerk darf vernichtet werden

Ist das Kunst oder kann das weg? Mit dieser Frage beschäftigte sich kürzlich das Berliner Verwaltungsgericht. Dabei ging es um die Zerstörung des Artikels 20 des Grundgesetzes in Form einer Buchenstele durch das Land Berlin.
Titelbild
Die Buchenholzstele mit dem Artikel 20 am Grundgesetzdenkmal nahe dem Bundestag.Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes
Von 1. März 2024

Eine drei Meter hohe massive Buchenholzstele mit dem Text vom Artikel 20 des Grundgesetzes beschäftigt seit Jahren in der Hauptstadt Bundestagsverwaltung, Polizei und Justiz. Nun ist ein gerichtliches Urteil gefallen.

Angefertigt wurde die Stele in einem offenen Projekt des Berliner Vereins zur Erneuerung der Bundesrepublik an ihren eigenen Idealen. Am 70. Geburtstag des Grundgesetzes (23. Mai 2019) wurde die Stele ohne Genehmigung neben dem Grundgesetzkunstwerk des Künstlers Dani Karavan aufgestellt.

Dieses befindet sich nahe dem Reichstagsgebäude und umfasst die ersten 19 Grundgesetzartikel – die sogenannten Grundrechte. Mit dem Aufstellen der Buchenholzstele wollte der Verein auf die Besonderheit des Artikels 20 und sein Fehlen am Kunstwerk Karavans hinweisen. Erst durch Artikel 20 würde aus den Grundrechten (Artikel 1–19) eine Staatsstruktur erhoben. Beides zusammen bilde dann erst das Grundgesetz. Das wäre auf der Welt einmalig, so Vereinsgründer Ralph Boes.

Der Artikel 20 besagt:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Die Grundgesetzstele – von der Polizei entfernt und später dauerhaft einbehalten – wollte das Land Berlin ein Jahr nach der Konfiszierung vernichten lassen. Das Land begründete dies damit, dass weitere „die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende“ Unternehmungen mit dem Kunstwerk nicht auszuschließen seien.

Gegen die geplante Vernichtung des samt Stahlgestell 350 Kilogramm wiegenden „Kunstobjektes“ gingen Boes (66) und Stephanie Burg (56), beide Vorstandsmitglieder des Vereins, mit einer Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht vor.

Vergleich scheiterte

Am 1. Februar kam es zum Gerichtstermin vor dem Gericht in Berlin-Moabit, wo die Kläger Boes und Burg der Vertreterin des beklagten Landes Berlin gegenüberstanden. Epoch Times berichtete von der Gerichtsverhandlung. Ein Vergleich scheiterte. Das Urteil fiel später und wurde schriftlich den Beteiligten mitgeteilt. Es liegt Epoch Times vor.

Hierin weist Richterin Laura Wetekamp die Klage zurück und erklärt die Vernichtungsanordnung des Landes Berlin für rechtens. Die Gerichtskosten von 5.000 Euro habe der Kläger zu tragen. Denn nach Paragraf 40 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) des Landes Berlin können sichergestellte Objekte vernichtet werden, wenn im Falle einer Verwertung des Gegenstandes die Gründe, die zu seiner Sicherstellung führten, fortbestehen oder erneut entstehen würden.

Die Polizei beziehungsweise das Land Berlin befürchtet, dass bei einer Verwertung der Verein oder eine ihm nahestehende Person die Stele zurückerwirbt und sie wieder ohne Genehmigung aufgestellt wird. Boes hat mehrfach, auch schriftlich, versichert, die Buchenholzstele ohne Genehmigung nicht mehr aufzustellen.

Polizisten im Gespräch mit Ralph Boes nach der Aufstellung der Buchenholzstele am Bundestag. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

Gericht: Stele war ein Hindernis

Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: Zwar werde die im Grundgesetz-Artikel 5 verbürgte Kunstfreiheit gewährleistet. Das bedeute jedoch nicht, dass von ihr schrankenlos Gebrauch gemacht werden könne. Als Schranken kämen andere Güter von Verfassungsrang und die Grundrechte Dritter in Betracht, so das Gericht.

Die Kunstfreiheit erstrecke sich nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme fremden Eigentums – der landeseigenen Grünfläche. Damit gab das Gericht der beklagten Seite recht, die in genau dieser Weise bei der Verhandlung argumentierte.

Die Grünanlage, auf der die Stele aufgestellt wurde, diene der Erholung der Bevölkerung und sei für das Stadtbild von Bedeutung, befand die Richterin. Die Nutzung des Weges als Aufstellfläche für ein drei Meter hohes und 1,60 Meter breites Kunstwerk gehe über den sich aus der Natur der Grünanlage ergebenen Gemeingebrauch hinaus.

Die Stele sei auf dem Gehweg zudem ein Hindernis von beträchtlicher Größe und teilweise im Sichtfeld in Richtung des Reichstagsgebäudes, sodass sie auf ihrer Aufstellfläche für andere Nutzer die Möglichkeit zur Erholung ausschloss. Das Kunstwerk „Grundgesetz 49“ von Dani Karavan säume den Weg dagegen nur, so Richterin Wetekamp.

Polizei sah Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung

Neben der Frage, ob die Vernichtungsanordnung „rechtens“ war, setzte sich das Gericht auch mit der Frage auseinander, ob die Holzstele überhaupt durch die Polizei eingezogen werden durfte.

Hier kommt das Gericht zu dem Schluss: Die Sicherstellung der Stele erfolgte „ermessensfehlerfrei und war verhältnismäßig“. Wenn Grundrechte Dritter oder andere Güter von Verfassungsrang durch einen Kunstgegenstand in Gefahr seien, dürfe und müsse die Berliner Polizei auf Grundlage des ASOG tätig werden. Denn sie hätten die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren, so das Gericht.

Laut dem Berliner Grünanlagengesetz muss, um öffentliche Grünflächen in Berlin über eine „sich aus der Natur der einzelnen Anlage und ihrer Zweckbestimmung“ ergebenden Nutzung hinaus gebrauchen zu wollen, eine Genehmigung der zuständigen Behörde (Grünflächenamt) eingeholt werden. Das Land Berlin wollte nach Ansicht des Gerichtes mit der Entfernung der Stele den ursprünglich „rechtmäßigen Zustand“ zur Benutzung der Grünanlage wiederherstellen.

Gericht sah ein Hindernis von beträchtlicher Größe

Doch welche Gefahr bestand für die öffentliche Sicherheit und Ordnung? Eine Gefahrenlage müsse nicht in einer Eigenschaft der sicherzustellenden Sache begründet sein, wie bei Waffen. Die Gefahrenlage könne sich stattdessen auch aus dem Verhalten ihres Besitzers ergeben, so Richterin Wetekamp.

Zum Zeitpunkt der Sicherstellung lag nach Ansicht des Gerichtes eine „gegenwärtige“ Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, weil der Kläger eine öffentliche Grünanlage ohne die erforderliche Genehmigung nutzte.

Die Buchenholzstele mit dem Bundestag im Hintergrund. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

„Urteil ist willentlich an den Tatsachen vorbei“

In den Augen des Klägers Boes ist das Urteil „willentlich an den Tatsachen vorbei“ entschieden worden. „Alles, was ich vor Gericht gesagt habe, ist dort nicht wirklich angenommen worden.“ Im Urteil würde eine Grünfläche zur Erholung skizziert. Außer Acht gelassen würde dabei, dass es eine Begegnungsstätte mit dem Grundgesetz in Form des Kunstwerks von Karavan sei.

Das Gericht unterstelle, die Stele sei dort ein Störfaktor für den Erholungsfaktor der Bürger gewesen. „Durch unser Projekt dort hätten wir jedoch die Begegnung mit dem Grundgesetz noch erhöht“, so Boes. Wenn der britische Straßenkünstler Banksy auf fremdes Eigentum sprühe, gebe es niemanden, der gegen ihn klage, kritisiert der Vereinsvorsitzende. „Die Menschen akzeptieren das und sagen, ist ja geil und man sieht es als eine Erhöhung an.“

Bei Kunst geht es also darum, ob Menschen oder Institutionen es haben wollen und nicht, ob es legal ist, erklärt der Berliner, der sich selbst als „Grundgesetz-Aktivist“ sieht. „Wir haben nichts zerstört. Wir haben in keiner Weise Eingriff genommen auf eine Art, die nicht rücknehmbar war.“ Außerdem sei das Buchenstelenprojekt zeitlich begrenzt gewesen. „Sie sollte dort nicht dauerhaft stehen.“

Provokation gehört für Boes zum Kunstprojekt dazu

Die erste Aufstellung ohne Genehmigung begründet Boes damit, dass, wenn die Politik sich nicht um ihre Staatsstruktur kümmere, dann habe der Bürger das zu machen, unabhängig davon, ob es genehmigt sei oder nicht. „Es ist die Aufgabe des Bürgers, dafür zu sorgen, dass die Staatsstruktur in Deutschland stimmt, denn unser Staat und unsere Politiker sind Personal des Volkes und nicht umgekehrt.“

Das sei der Impetus, so Boes, der hinter diesem Kunstwerk stecke und den man als Verein, gerade wenn die Aufstellung eines Grundgesetzkunstwerks durch Gesetze verboten sei, trotzdem umsetzen wollte. „Denn die Politik oder Behörden haben da nichts zu genehmigen, sie sind das Personal des Souverän. Damit gehören sie zum Wirkbereich des Kunstwerks dazu.“

Und weiter: Provokation gehöre zum Wesen dieses Kunstwerks. „Wenn der Staat es versäumt, bei einem Kunstwerk zum Grundgesetz den Artikel 20 aufzustellen, ist das, wie wenn in der Kirche zu Weihnachten bei der Krippe Maria mit Kind vergessen wird.“

„Selbstverständlich gehen wir in die nächste gerichtliche Instanz.“ Der Weg zum Bundesverfassungsgericht stehe offen – wenn man als Verein per Spenden das nötige Kleingeld zusammen bekomme.



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