CDU plant Kehrtwende bei Atomkraft: Was denken Sie darüber?

Im Mai 2024 will die CDU auf ihrem Bundesparteitag über ihr brandneues Grundsatzprogramm entscheiden. Mit zum Selbstverständnis als Volkspartei soll dann das Bekenntnis zur Atomkraft gehören. Wie sehen Sie das? Eine Umfrage.
Titelbild
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz (l.) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprechen nach einem Besuch des Kernkraftwerks Isar am 4. August 2022 in Essenbach.Foto: Christof Stache/AFP via Getty Images
Von 12. Dezember 2023

Das neue Grundsatzprogramm der CDU soll im Lauf des 11. Dezember 2023 den Segen von Parteipräsidium und -vorstand erhalten. Nach Angaben der „Bild“ enthält das noch nicht öffentlich einsehbare Papier politischen Sprengstoff: Sollten die Christdemokraten eines Tages wieder in Regierungsverantwortung gelangen, wollen sie die im April 2023 angeblich endgültig geschlossene Tür zur Kernenergie auf deutschem Boden nun doch wieder öffnen.

Nach Angaben des Onlineportals „Table Media“ soll es innerhalb der CDU-Führung in den vergangenen Tagen dazu „heftige Debatten“ gegeben haben. Am Ende aber habe der Satz „Deutschland kann derzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“ doch noch Eingang in den Programmentwurf erhalten, schreibt die „Bild“, und zwar auch auf Druck der parteiinternen Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT). Konkret enthalte das Papier drei Forderungen:

  1. Deutschland solle der „Kernkraft-Allianz“ jener 22 Staaten beitreten, die sich in der ersten Woche des COP28-Gipfeltreffens in Dubai auf eine Verdreifachung der Stromerzeugung per AKW bis zum Jahr 2050 entschlossen hatten.
  2. Jene sechs deutschen Atomkraftwerke, die als letzte stillgelegt worden waren, sollen so bald wie möglich wieder in Betrieb genommen werden. Dazu solle ein „Rückbaumoratorium“ beschlossen werden.
  3. Deutschland solle sich stärker für die Erforschung und Entwicklung von „Kernreaktoren der nächsten Generation“ engagieren. Gemeint seien nicht nur die neuartigen Dual-Fluid-Reaktoren („Small Modular Reactors“, SMR), sondern auch die seit Jahrzehnten diskutierten Kernfusionsreaktoren. Falls eines Tages ein solcher Reaktor in Betrieb gehen werde, so solle dieser auf deutschem Boden stehen.

Die MIT-Vorsitzende Gitta Connemann habe diese Forderungen mit dem Hinweis untermauert, dass „das Industrieland Deutschland […] bezahlbaren Strom zu jeder Tageszeit“ benötige, so die „Bild“. Das sei bei Kernenergie der Fall: Diese sei nicht nur „günstig“, sondern inzwischen auch „sauber“ herzustellen. Doch während die „großen Volkswirtschaften der Welt“ das CO₂-Sparpotenzial erkannt hätten und immer stärker auf Atomkraft bauten, sei Deutschland aus jeglicher Atomstromerzeugung ausgestiegen, habe Connemann kritisiert. Dieser „deutsche Sonderweg“ müsse „beendet werden“. Denn sonst bleibe das Land „auf Kohle und Importe aus dem Ausland“ angewiesen.


 

Söder mit 180-Grad-Wende

Auch nach Ansicht des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) genüge es nicht, lediglich alte AKW wieder ans Netz zu bringen. Der CSU-Parteichef habe sich am vergangenen Freitag erneut klar für die modernste Atomkrafttechnologie positioniert: „Unser Ziel muss sein, tatsächlich neue Kernkraftwerke – kleinere mit einer ganz anderen Energieleistung, mit einer ganz anderen Absorption von möglichem Müll – anzunehmen“, zitiert ihn die „Bild“. Selbst der Kernfusion stehe Söder hoffnungsvoll gegenüber: Sowohl mithilfe von Fusionstechnik als auch mit kleinen AKW der neuesten Generation „müsse die Energiepolitik Deutschlands bis zum Jahr 2040 auf völlig neue Beine gestellt werden“.

Vor nicht einmal drei Jahren, im März 2021, hatte Söder noch die Entscheidung der schwarz-roten Regierung Merkel aus dem Jahr 2011 verteidigt, komplett aus der Stromerzeugung per Atomkraft auszusteigen und lieber Wind- und Solarkraft zu nutzen. „Fukushima ändert alles“, lautete damals seine Überzeugung, die ganz im Einklang mit der Bundeskanzlerin stand. Trotz eines nur „winzigen“ Risikos seien die Folgen eines AKW-Unfalls „nicht mehr zu akzeptieren“, und auch die Frage des Restmülls sei noch immer ungelöst, meinte Söder seinerzeit (Video auf „YouTube“).

Auch dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) habe der Atomausstieg nach 2011 „gar nicht schnell genug gehen“ können, ergänzt „Table Media“ (Bezahlschranke).

Widerstände zu erwarten

Wie die Union aus CDU und CSU im Falle einer künftigen Regierungsübernahme ihre Kehrtwende in der Praxis umsetzen würde, ist nach Angaben von „Table Media“ noch unklar.

Immerhin hätten die „großen Energieversorger“, allen voran der RWE-Vorstandsvorsitzende Markus Krebber, bereits deutlich gemacht, dass das Thema Atomenergie in Deutschland für sie „erledigt“ sei. Und nach Angaben des amtierenden Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) existierten seit „Fukushima“ gar keine Versicherungsgesellschaften mehr, die bereit wären, Policen für neue Kernkraftwerke auszustellen.

Teile der FDP-Basis wollen Parteispitze zur Umkehr bewegen

In der Tat hatte Lindner laut „Welt“ schon vor knapp zwei Jahren betont, dass der Bau neuer Kernkraftwerke grundsätzlich „nur mit Staatshaftung“ gelingen könne. Für ihn selbst sei das endgültige AKW-Aus besiegelt. Teile der FDP-Basis sehen das offenbar anders: Derzeit sammelt die Initiative „Freie Demokraten für Kernenergie“ Stimmen für einen Mitgliederentscheid, der auch für die Parteispitze bindend wäre.

Großer Widerstand gegen die Unionspläne ist selbstverständlich stets vonseiten der Grünen zu erwarten, symbolisiert das AKW-Aus doch die Durchsetzung des letzten großen Gründungsmythos der 1980 ins Leben gerufenen Partei („Atomkraft, nein Danke!“). Laut „Table Media“ bemüht sich zudem die grüne Außenministerin Annalena Baerbock, andere Länder zum Ausstieg zu bewegen. Speziell der klare Pro-Atomkraft-Kurs des wohl wichtigsten Nachbarn Frankreich habe „Berlin durchaus verärgert“, insbesondere Paris‘ Unterstützung der COP28-Pläne für einen deutlichen Ausbau der Kernenergie.

Deutschlands Weg aus der Atomkraft

Nachdem die Regierung Merkel II die ersten Atomausstiegspläne des rot-grünen Kabinetts Gerhard Schröder aus dem Jahr 2000 verworfen und sich zur Zukunft der Kernenergie bekannt hatte, änderte Merkel ihre Meinung, als im März 2011 ein Tsunami das Atomkraftwerk im japanischen Fukushima überrollt hatte. Knapp drei Monate später, am 9. Juni, verkündete die CDU-Kanzlerin in einer Regierungserklärung den schrittweisen Ausstieg bis spätestens 2022 (Audio auf SWR).

Als infolge des Ukrainekriegs die antirussischen Sanktionen und die Zerstörung dreier von insgesamt vier Röhren der beiden Nord Stream-Erdgaspipelines im Herbst 2022 durch unbekannte Attentäter die Lage auf dem deutschen Energiemarkt stark verschärft hatten, nutzte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts des nahenden Winters seine „Richtlinienkompetenz“, um die Laufzeit der letzten drei verbliebenen AKW in Deutschland doch noch einmal um dreieinhalb Monate zu verlängern. Am 16. April 2023 aber war Schluss: Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 wurden abgeschaltet.

Seitdem scheiterten sämtliche Versuche aus der Opposition, den deutschen Atomausstieg wieder rückgängig zu machen. Ende April 2023 hatte ein AfD-Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes (BT-Drucksache 20/6189, PDF), bei der auch die schon Ende 2021 abgeschalteten AKW reaktiviert werden sollten, keine einzige Stimme aus den Reihen der Ampelparteien, aber auch keinerlei Unterstützung durch Union, FDP und Linke erfahren. Zuletzt waren nach Angaben des Bundestags mehrere „Initiativen der AfD, die auf eine Weiternutzung der Kernkraft hinausliefen“, bei einer Abstimmung am 10. November 2023 durchgefallen.

Auf der Suche nach dem CDU-Grundsatzprogramm Nummer 4

Das erste Grundsatzprogramm der CDU war eigenen Angaben zufolge 1978 formuliert und seither zweimal überarbeitet worden – zuletzt im Jahr 2007 (Kurzfassung, PDF-Datei). Seit 2018 gab es zwar bereits erste Anläufe, das etwas in die Jahre gekommene gemeinsame Selbstverständnis neu in Worte zu fassen, doch 2020 zog das Thema Corona vorerst einen Schlussstrich unter die Debatte.

Nach eigenen Angaben besann sich die Partei erst nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 wieder auf das Vorhaben. Es gehe nun darum, festzuschreiben, „wofür wir stehen und welche Vorstellungen wir für Deutschland in den nächsten 10-15 Jahren haben“, hieß es damals aus dem Munde von Parteichef Friedrich Merz. Unter der Leitung des Historikers Prof. Dr. Andreas Rödder nahm im Frühjahr 2022 die Fachkommission „Wertefundament und Grundlagen“ der CDU ihre Arbeit auf, um zunächst eine neue „Grundwertecharta“ zu entwickeln, die den übrigen zehn CDU-Fachkommissionen als Richtschnur dienen sollte. Die „Grundwertecharta“ (PDF-Datei) wurde Mitte Juni 2023 „als Antrag des Bundesvorstands an den Parteitag beschlossen“.

Wie die „Zeit“ berichtete, hatte die CDU-Grundsatzkommission nach weiteren Monaten des internen Ringens das aktuelle Entwurfspapier zum Grundsatzprogramm Mitte der vergangenen Woche fertiggestellt. Jetzt sei es an Parteipräsidium und -vorstand, zuzustimmen. Deren Okay vorausgesetzt, soll der Entwurf „mit den Parteimitgliedern diskutiert“ werden, bevor er offiziell auf dem 36. CDU-Bundesparteitag vom 6. bis 8. Mai 2024 in Berlin beschlossen werden soll.



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