Entlassener Vizeadmiral: „Die Bundeswehr ist in einem mehr als besorgniserregenden Zustand“

Als Vizeadmiral der Marine wurde Kay-Achim Schönbach mit Beginn des Ukraine-Kriegs entlassen. Der Grund: „aus dem Zusammenhang gerissene Bemerkungen“ über Russland und die Ukraine. Im Interview mit der Epoch Times verriet er die Details dazu und gibt Einblicke in den Zustand der Bundeswehr.
Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach ist Inspekteur der Deutschen Marine im Marinekommando.
Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach war vor seiner Entlassung Inspekteur der Deutschen Marine im Marinekommando.Foto: Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild/dpa
Von 4. November 2023

Bei einem Symposium der WerteUnion, das am 28. Oktober in Stuttgart stattfand, war unter den Referenten auch Kay-Achim Schönbach, Vizeadmiral der Marine a.D. Er ist ehemaliger Chef der Deutschen Marine, Veteran und Pensionär der Bundeswehr.

Im Nachgang hat der 58-jährige Familienvater der Epoch Times erzählt, wie und warum sich die Bundesregierung im vergangenen Jahr plötzlich gegen ihn gewandt hatte. Darüber hinaus berichtete er seine Kenntnisse über die Stärken und Probleme unserer Bundeswehr.

 Sie wurden in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Von wem und wie kam es dazu?

Die frühere Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte mich im Februar 2022 aus der Bundeswehr entlassen. Dies war die Folge von Aussagen, die ich kurz zuvor im Rahmen eines offiziellen Besuches in Indien zu Russland und der Ukraine gemacht hatte.

Die insgesamt recht harmlosen – und wie die Ministerin selbst sagte, aus dem Zusammenhang gerissenen – Bemerkungen führten zur Forderung in den Medien, mich zu entlassen. Diesem ist man im Bundesverteidigungsministerium dann auch gefolgt.

Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten haben Ihnen Unterstellungen gemacht. Warum?

Es ging darum, und das war dort vor Ort auch Konsens, dass die Russische Föderation die Halbinsel Krim nicht freiwillig zurückgeben würde und somit die „Krim weg sei und nicht wiederkäme“. Man unterstellte mir mit dieser Aussage, ich hätte Verständnis für die Besetzung gehabt, was natürlich völliger Unsinn war.

Zudem wurden meine Aussagen, Putin und Russland gegenüber mit Respekt aufzutreten und deren Sicherheitsbedürfnisse zur Kenntnis zu nehmen, als Position eines „Putin-Verstehers“ gewertet. Die Aussagen waren lediglich Teile einer Antwort auf die Frage, wie man die Ukraine vor dem russischen Zugriff bewahren könne.

Natürlich muss man sich die russischen Vorstellungen und Forderungen überhaupt nicht zu eigen machen, und das tat und tue ich in keiner Weise. Aber schon der frühere Verteidigungsminister Struck sagte mir einmal persönlich, egal, mit wem man spricht, man zollt dem Gegenüber Respekt und hört zu. Mehr war auch hier nicht gemeint.

Wie würden Sie den Zustand der heutigen Bundeswehr im Vergleich zu anderen Ländern beurteilen? Und im Vergleich zu der Zeit, als die Bundeswehr noch verpflichtend war?

Die Bundeswehr ist in einem mehr als besorgniserregenden Zustand. Teile der Streitkräfte sind zwar gerüstet und haben weniger mit Problemen zu kämpfen, insgesamt krankt es aber an nahezu allen Stellen. Material fehlt oder ist defekt, Personal fehlt in allen Bereichen, aber das ist alles bekannt.

Im internationalen Vergleich stehen wir hinsichtlich der Einsatzfähigkeit der Gesamtstreitkräfte maximal nur noch im mittleren Bereich eines NATO-/EU-Rankings. Trotzdem darf man nicht zu schwarzsehen, es gibt Bereiche, in denen wir auch noch vorne mitspielen.

Dennoch, nur ein kleines Beispiel: Als ich als Kommandeur der Marineoffizierschule in Karachi in Pakistan auf der dortigen Schule zum Gegenbesuch war, wurden mir in den Klassenräumen modernste Smart-Boards in einer voll digitalisierten Ausbildungsumwelt präsentiert. Zurückgekehrt nach Deutschland brauchte es Monate, um ein paar nicht anbindbare Boards aus einer anderen Schule geliehen zu bekommen. Wir sind per se nicht schlechter, wir könnten auch so gut sein. Aber unsere Bürokratie lässt es oft schlichtweg nicht zu.

Die sogenannte Professionalisierung durch die Aussetzung der Wehrpflicht ist so nicht eingetreten. Die Wehrpflicht ermöglichte es, die intelligentere Armee zu sein, einen besseren Austausch mit der Zivilgesellschaft zu haben und sie nicht zuletzt als Regenerationspool nutzen zu können. Ich wünschte mir – bei allen Herausforderungen, die dies mit sich bringen würde – eine Reaktivierung der Wehrpflicht.

Was sind heute die größten Probleme der Bundeswehr?

Bei allen offensichtlichen Defiziten bei Material und Personal liegt es vor allem an einer fast schon absurd-skurrilen Prozesskultur; und das meint nicht nur die Beschaffung von Material, sondern alle Bereiche. Wir müssen weg von einer eher aus dem zivilen Leben herrührenden Arbeitsorganisation zurück zu einer in möglichst vielen Bereichen durchzusetzenden militärischen Führungsorganisation.

Tatsächlich empfehle ich die Umkehr des Denkens, das da sagte „zivile Dienstpostenbesetzung, wo überall möglich“, hin zu „nur zivile Dienstpostenbesetzung, wenn absolut notwendig“. Ja, ich weiß, dazu braucht man doch noch mehr militärisches Personal. Aber Soldaten braucht man nicht zu erklären, wie man eine Streitmacht organisiert, führt und einsetzt. Es wäre kein Aushebeln des Primats der Politik, Soldaten in wichtigen Positionen eigenständige Entscheidungen fällen und verantworten zu lassen.

Wie sieht Ihrer Ansicht nach die Lösung für diese Probleme aus?

Das ist eine Frage, deren Antwort sich nicht in wenige Sätze kleiden lässt. Daher nur ein paar Anmerkungen.

Neben dem oben gesagten brauchen wir eine erfolgreichere Personalgewinnung. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen zur Bundeswehr kommen. Eine Verengung der Werbung auf einen bestimmten Typus kann nicht zielführend sein.

Das richtige und im ausreichenden Maße zur Verfügung stehende Material ist für die meisten Soldaten der größte Attraktor. Man ist stolz auf „seine Maschine“, auf seine Leistung, diese am Laufen zu halten. Dass man dann nicht „allein auf weiter Flur“ stehen will, sondern auch Kameraden da sind, die für einen einspringen können, ist von großer Bedeutung. Deswegen muss alles getan werden, um die vielen freien Plätze zu füllen.

Und ja, es geht auch um Geld für die Soldaten aller Ränge, somit um Wertschätzung. Aber bei Auflösung mancher Prozessmatrix, sei es beim Beschaffungsamt in Koblenz, bei der Personalgewinnung oder der Organisation der Kommandostäbe, allen voran des Bundesverteidigungsministeriums, ließe sich unter vielem anderen mancher Euro sparen beziehungsweise besser verwenden.

Wie stark ist derzeit die Bundeswehr? Wie gut kann die Bundeswehr aktuell die Bevölkerung schützen, falls nötig?

Die Veränderung der Ausrichtung der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ hat die klassische Rolle der Heimatverteidigung in den Hintergrund gedrängt. Daher ist die Frage nach dem Schutz der Bevölkerung sicherlich richtig und wichtig, doch ist sie jetzt aktuell ein wenig „unfair“. Das war schlicht nicht mehr die Hauptaufgabe der vergangenen Jahre.

Mit dem Ukraine-Krieg ist dies, wie auch die damit verknüpfte Bündnisverteidigung wieder stärker in den Fokus gerückt. Insofern ist hier viel aufzuholen, und das beantwortet die Frage indirekt. Die Bundeswehr konnte die Heimatverteidigung ohnehin nicht allein leisten, es geht immer nur im Verbund mit den Alliierten.

Welche Bedeutung hat der Ukraine-Krieg für die Bundeswehr? Wie hat die Bundeswehr die Ukraine unterstützt?

Politisch ist der Ukraine-Krieg für die Politik ein Weckruf gewesen. Der Bundeskanzler hat mit seiner „Zeitenwende“-Rede das unmissverständlich deutlich gemacht.

Allerdings müssen wir konstatieren, dass trotz des 100-Milliarden-Sondervermögens und allerlei Ankündigungen, die Neigung des deutschen Michel, in den letzten Wochen wieder in den sanften Schlaf zu fallen, überdeutlich wurde. Die vor erst kurzer Zeit erfolgte Erhöhung des Verteidigungsetats um 1,7 Milliarden Euro spricht eine klare, frustrierende Sprache.

Die Bundeswehr hat die ukrainische Armee in großem Umfang mit Waffen und Gerät unterstützt. Dazu kamen große Summen Geld aus dem Bundeshaushalt zum Kauf von entsprechendem Material. Hier braucht sich also Deutschland keine Vorwürfe machen zu lassen.

Hat die Bundeswehr eher Vor- oder Nachteile durch den Ukraine-Krieg erfahren (gestärkt oder geschwächt)?

Durch den Abfluss von Waffen, Gerät und Munition ist vordergründig ein Nachteil entstanden, der aber durch Nachkauf im Laufe der Zeit ausgeglichen wird. Der bereits angesprochene Weckruf und die Erkenntnisse aus dem Verlauf der Kampfhandlungen werden aber durch die Führung der Bundeswehr vorteilhaft zu nutzen sein.

Wenn trotz der oben angesprochenen Neigung zur Zurückhaltung der Bundesregierung insbesondere die militärische Führung weiterhin Reformen und Mittel als Zukunftsinvestition in die Sicherung des Landes und seiner Bevölkerung einfordert, könnte trotz eines schändlichen Krieges zumindest die Bundeswehr davon profitieren.

Welche Auswirkungen auf die Bundeswehr vermuten Sie durch den Israel-Krieg? Wie wird die Bundeswehr Ihrer Ansicht nach involviert werden, falls dieser Krieg eskaliert?

Die Bundeswehr hat bereits ein Vorauskommando nach Zypern verlegt, um gegebenenfalls schnell Evakuierungen durchführen zu können. Aktuell erwarte ich allerdings keine weitere Einbindung in Kampfhandlungen.

Ob in einem weiteren Verlauf, was wir in keinem Fall hoffen, aber auch nicht kategorisch ausschließen können, Kräfte wie während des Golfkrieges zum Schutz des israelischen Luftraums im Land stationiert werden könnten, muss abgewartet werden. Ob es dazu Planungen gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber unvorbereitet sollte man nicht sein.

Vielen Dank.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion