Erst die Wirtschaft, dann das Ökosoziale? Neue Zerreißprobe für die Ampel

Bis zum Sommer, wenn der Haushalt 2025 stehen soll, will Bundesfinanzminister Christian Lindner Gewissheit über die Prioritäten der Ampelregierung. Er setzt auf ein „Dynamisierungspaket“ für die Wirtschaft. SPD und Grünen wären neue Schulden lieber – auch für die Ukraine.
Die Ampel hat die Sparpläne bei der Landwirtschaft bereits abgeschwächt. Die Steuervergünstigungen beim Agrardiesel sollen demnach nicht auf einen Schlag enden. Das weiter aufzuschieben, lehnt FDP-Chef Christian Lindner ab.
Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner will der Wirtschaftspolitik alle anderen Ressorts unterordnen. Noch mehr Streit in der Ampel dürfte programmiert sein.Foto: Hannes P. Albert/dpa
Von 12. Februar 2024

Wird die Ampelregierung noch bis Herbst 2025 durchhalten? Oder wenigstes bis zum Sommer 2024? Wie die „Bild“ berichtet, geht es koalitionsintern aktuell um eine Richtungsentscheidung: Ein „Weiter so“ in Richtung grüner Transformation, wie die Kanzlerpartei SPD und die Grünen es verlangen, oder erst mal die Wirtschaft wieder in Gang bringen, wie es der FDP vorschwebt, und erst dann das „Weiter so“. Die Transformation als solche steht jedenfalls nicht zur Debatte.

Dass Deutschland längst nicht mehr international wettbewerbsfähig ist, hatten sowohl Bundeswirtschafts- und Energieminister Robert Habeck (Grüne) als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vergangene Woche eingestehen müssen.

Lindner will „Land nicht ins Chaos stürzen“

Gegenüber dem „Münchner Merkur“ verwahrte sich Lindner allerdings gegen die seit Tagen von der „Bild“ (Bezahlschranke) kolportierten Gerüchte, nach der parteiintern bereits über den richtigen Zeitpunkt für das Verlassen der Ampel diskutiert werde. So lange „die Ergebnisse“ am Ende „im Gesetzblatt“ stimmen würden, dürfe man „ein Land nicht ins Chaos stürzen“: „Ich hoffe, dass wir weiter tragfähige Lösungen finden“, so Lindner. Immerhin habe die Koalition einen „Scherbenhaufen in der Asyl- und Energiepolitik übernommen“, der nun „mühevoll“ zu „beseitigen“ sei: „Die neue Realpolitik bei der Einwanderung zum Beispiel ist eine echte Zäsur, die Weltoffenheit mit Kontrolle verbindet.“

Zuvor hatte Lindner seine Vision von einer „Wirtschaftswende“ noch einmal näher skizziert: Weniger „fesselnde Bürokratie“ sei vonnöten, die Belastungen für Unternehmen müssten runter, außerdem bedürfe das Land einem Mehr an „Fachkräften“ und einer besseren Infrastruktur, so Lindner. „Die Wettbewerbsbedingungen“ seien „lange vernachlässigt“ worden, „seit mehr als zehn Jahren“ sei „der Wohlstand in Deutschland verteilt worden“, so der 45-Jährige.

Für all das die Vorgängerregierung oder externe Faktoren wie „die schwache Nachfrage in China, die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs und die gestiegenen Zinsen“ verantwortlich zu machen, wie Lindner es beim „Merkur“ tat, erscheint speziell dem arbeitenden Mittelstand immer fadenscheiniger, wie die Bauern- und Mittelstandsproteste zeigen.

„Dynamisierungspaket“: Lindner mahnt mehr Tempo an

Lindner richtet seinen Blick allerdings lieber auf die Zukunft. Von einer „marktwirtschaftlichen Energiereform […] – Stichwort Strommarktdesign und Kraftwerksstrategie“, mit einer „Senkung der Einkommen- und der Stromsteuer“ und mit „Investitionen in Infrastruktur […] auf Rekordniveau“ verspricht er sich Besserung. „Wir haben bereits Fortschritte erzielt, aber die Koalition muss schneller und entschlossener in diese Richtung arbeiten“, verlangte der Finanzminister im „Merkur“-Interview.

„Ambition und Tempo“ müssten „steigen“, und nach der „gemeinsamen Lageanalyse“ mit Habeck müsse und werde „jetzt eine veränderte Politik folgen“. Und zwar ein „Dynamisierungspaket, das Arbeitsmarkt, Bürokratie, Energie und Steuern“ umfasse. Beispielsweise, so Lindner, müssten „die Meseberger Beschlüsse zum Bürokratieabbau […] rasch ins Gesetzblatt“. Sie waren Ende August 2023 beschlossen worden. Zudem könne das aus der Merkel-Zeit stammende Lieferkettengesetz „entschlackt“ werden, meinte der Minister.

Lindner räumte ein, dass Habeck und er aus der „Analyse der Lage […] verschiedene Schlüsse“ gezogen hätten. So habe Habeck vorgeschlagen, „viele Milliarden Euro Schulden auf[zu]nehmen, um Unternehmen zu subventionieren“.

Er selbst halte es für besser, „Wirtschaftsförderung ohne Schulden“ zu betreiben, nämlich schlicht als „Marktwirtschaft“ mit besseren Rahmenbedingungen „für alle Betriebe und Branchen“. Bei aktuell 40 Milliarden Euro allein für den Schuldendienst im Bund sei eine Aufweichung der Schuldenbremse nicht mit seinem Amtseid „vereinbar“. Er wolle lieber „an die Ausgabenseite gehen“. Und am liebsten weiter entlasten: „Mit Mut wäre sogar die Abschaffung des Solidaritätszuschlags möglich, um die Betriebe im globalen Wettbewerb zu entlasten“, stellte der Finanzminister in Aussicht.

Wirtschaftlicher Erfolg als Grundbedingung

Er hege jedenfalls „die Hoffnung, dass SPD und die Grünen ebenfalls sehen, dass alle ökologischen und sozialen Vorhaben nur dann eine Chance haben, wenn wir auf den wirtschaftlichen Erfolgspfad zurückkehren“. Nach Lindners Einschätzung werde „bis zur Aufstellung des Haushalts 2025 im Sommer alles geklärt“ sein.

Laut „Bild“ „klafft“ derzeit „ein Loch von 20 Milliarden in der Finanzplanung“ für 2025, und zwar mit steigender Tendenz. FDP-Vizeparteichef Wolfgang Kubicki habe Lindner den Rücken bei seinem neuen Wirtschafts- und Haushaltskurs gestärkt:

Priorität muss die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes haben. Dem hat sich alles andere unterzuordnen.“

Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr habe Lindners Appell für eine „Wirtschaftswende“ im Etat unterstützt: Es bedürfe „echte[r] Entlastungen für unsere Unternehmen“. Denn „wir wollen unsere Volkswirtschaft zurück an die Spitze bringen“.

Union schaltet sich mit 12-Punkte-Liste ein

Derartige Ziele scheint auch die Union zu verfolgen. In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vom 8. Februar 2024 hatten CDU-Parteichef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt „ihre ‚Sorge um die Lage der deutschen Wirtschaft‘ ausgedrückt“. Die beiden Unionspolitiker befürchteten „Wohlstandsverluste in einem bisher nicht gekannten Ausmaß“.

Um der Rezession zu begegnen, hatten Merz und Dobrindt ein Dutzend „Sofortmaßnahmen“ für die kommenden zwei Monate vorgeschlagen. Im Kern sollen dafür Steuern und Abgaben für Arbeitnehmer und Unternehmen gesenkt, die Arbeitszeiten flexibilisiert, die Steuererhöhungen für Landwirte vollständig zurückgenommen, die Lieferkettengesetze überarbeitet und arbeitsunwillige Bürgergeldempfänger sanktioniert werden. Subventionen kommen dagegen nicht in der Liste vor.

Nach Angaben von Verena Hubertz, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, würden die Ideen der Union geprüft. Hubertz hatte laut „Handelsblatt“ aber ihrem Erstaunen über das Schreiben Ausdruck verliehen, weil „Merz noch in der letzten Sitzungswoche im Bundestag die Zusammenarbeit mit der Regierung quasi ausgeschlossen“ habe. Tatsächlich hatte Oppositionsführer Merz während der Generaldebatte am 31. Januar 2024 laut „Tagesschau“ eine Zusammenarbeit mit der Regierung „prinzipiell“ abgelehnt.

Noch klarer wies Hubertz‘ Pendant bei den Grünen, Vizefraktionschef Andreas Audretsch, den Unionsvorstoß zurück: Wenn es Merz „wirklich um die deutsche Wirtschaft“ gehe, „sollte er Blockaden einstellen und Verantwortung übernehmen, statt mit Briefen nette PR-Gags zu starten“, zitiert das „Handelsblatt“ den Grünen. Und weiter: Merz mache „Politik zum taktischen Spiel“. Das sei „dem Ernst der Lage nicht angemessen“.

SPD und Grüne wollen Löcher mit neuen Schulden stopfen

Dass die SPD und die Grünen am liebsten noch mehr Kredite zulasten nachfolgender Generationen aufnehmen würden, wurde jüngst wieder im Kontext der Ukrainehilfe deutlich: Nach Informationen des „Tagesspiegel“ halten Fraktionspolitiker wie Anton Hofreiter (Grüne), der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, an einer Aussetzung der Schuldenbremse fest, nachdem die Republikaner im US-Senat bislang keine weiteren Gelder für die Ukraine locker machen wollen. Hofreiter sei sich sicher, dass ein Rückzug der USA ohnehin dazu führen werde.

Aus Sicht der außenpolitischen Sprecherin der Grünenfraktion, Deborah Düring, berge die Schuldenbremse ein „Sicherheitsrisiko“: Die „Strategie von Russlands Präsident Wladimir Putin“ werde aufgehen, „wenn die Unterstützung für die Ukraine nachlasse“.

Michael Roth (SPD), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, habe für eine „abermalige Schuldenaufnahme“ durch die EU geworben. Für die militärische Hilfe und den Wiederaufbau der Ukraine könne man einen „neuen EU-Fonds“ auflegen. Falls das nicht klappe, halte Roth „eine Kompensation der US-Hilfen durch eine europäische Allianz unter Führung Deutschlands aus nationalen Mitteln für möglich“. Die zusätzlichen Kosten müssten es „uns“ ungeachtet der Schuldenbremse wert sein, so Roth laut „Tagesspiegel“.

Für ein vorzeitiges Ende der Ampel trommelt unterdessen Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner: „Finanzminister und Wirtschaftsminister streiten, der Kanzler schweigt“ – so werde Deutschland nicht wieder konkurrenzfähig, meint der Christdemokrat.

Es brodelt in der FDP

Auch an der FDP-Basis rumort es seit Monaten. Zu Neujahr 2024 hatte auf Initiative von 598 Parteibuchinhabern eine Mitgliederbefragung unter den Liberalen stattgefunden, um die Stimmung über einen Abschied aus der Ampel auszuloten. Das Ergebnis wäre nicht bindend gewesen. Eine knappe Mehrheit der Teilnehmer sprach sich am Ende aber für den Verbleib in der Ampelkoalition aus.

Mit Holger Zastrow (55) hatte erst kürzlich ein Urgestein der deutschen Freidemokratie sein Parteibuch abgegeben. Selbst Wolfgang Kubicki hatte kürzlich während einer Büttenrede in Aachen scharfe Kritik am Ampelpersonal geäußert.



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