Regierung vor Gericht: Karlsruhe berät über 60-Milliarden-Euro-Umschichtung

Trotz Schuldenbremse wurde der Haushalt 2021 mit 60 Milliarden Euro für Corona-Hilfe aufgestockt. Durfte der Bund das Geld zugunsten der Klimapolitik umschichten? Diese Frage wird den Senat am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe länger beschäftigen.
Titelbild
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.Foto: Maurice Forgeng/Epoch Times

In Notlagen wie einer Pandemie darf der Staat trotz Schuldenbremse Kredite aufnehmen. Ob jedoch 60 Milliarden Euro, die zur Bewältigung der Corona-Krise in den Bundeshaushalt eingestellt wurde, einfach in einen Klimafonds umgeschichtet werden können, darüber streiten sich derzeit die Gemüter. 197 Abgeordnete von CDU/CSU haben gegen das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 Verfassungsklage eingereicht.

Beim Prozessauftakt am 21. Juni diskutierten die Beteiligten im zweiten Senat des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts vor allem darüber, ob die Kreditermächtigung auch wirtschaftliche Krisenfolgen abdecken darf. Zudem ging es um die Frage, wann nachträgliche Haushaltsänderungen beschlossen werden müssen. Epoch Times war vor Ort.

Kritische Fragen von Bundesrichtern

Das Karlsruher Gericht stellte während der Verhandlung sowohl der Union als auch den Regierungsvertretern kritische Fragen. So sprach die berichterstattende Richterin Sibylle Kessal-Wulf etwa davon, dass die Schuldenbremse manchmal auch eine „Spaßbremse“ sei. Richter Peter Müller hinterfragte, ob der Gesetzgeber bei der Haushaltsaufstellung durch die Schuldenbremse „engere Fesseln auch in der Situation der Notlage“ bekommen sollte.

Als Sachverständiger sagte der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner aus. Mit den betreffenden Kreditermächtigungen würden künftige Regierungen zur Konsolidierung gezwungen. Anders als bei sonstiger Staatsverschuldung könne der Staat nicht immer wieder mit neuen Krediten nachlegen, weil eine Pflicht zur Tilgung bestehe. Der Professor sprach gar von einer Umkehr der Schuldenbremse.

Aus Sicht des Ökonomie-Professors Jens Südekum, der ebenfalls aussagte, habe Deutschland in der Pandemie nicht „überreagiert“. Solche Situationen hätten einen Nachhall, den man auch dann noch spüre, wenn die eigentliche Krise schon vorbei sei. Das sei auch in diesem Fall zu sehen.

Mehrere Richter des Senats vermuteten, dass die Politik Krisen gutheiße, um stetig neue Sondervermögen (Neuschulden) zur Krisenbekämpfung schaffen zu können. Somit hätte die Politik einen legitimen Weg, um die Schuldenbremse auszuhebeln. Zudem hinterfragten die Richter die neue Buchungssystematik, auf die im Februar 2022 umgestellt wurde. Erst diese habe die Umbuchung der 60 Milliarden Euro ermöglicht.

Die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts teilte der Epoch Times auf Anfrage mit, dass der Senat nach der mündlichen Verhandlung „jetzt in die Beratung eintritt“. Diese könne mehrere Wochen oder gar Monate dauern. Sei die Beratung beendet, werde das Bundesverfassungsgericht einen Termin für die Urteilsverkündung bekannt geben.

Welche Folgen hatte die Geldumverteilung?

Die Geldverschiebung und der Ausfall von 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds hatten nach Angaben von Patricia Lederer, Fachanwältin für Steuerrecht, die zahlreiche Fälle begleitete, große negative Auswirkungen auf bedürftige Unternehmen. Diese Gelder sollten eigentlich Firmen und Selbstständigen im Rahmen der Überbrückungshilfe zugutekommen, deren Existenz bedroht war, die keine Mitarbeiter mehr bezahlen konnten und die finanzielle Unterstützung benötigten.

Doch die Sache hatte einen Haken: Unternehmen konnten die Corona-Hilfen nicht sofort für den gesamten Zeitraum bis Juni 2022, sondern nur quartalsweise beantragen. Wie etliche Fälle aus Lederers Praxis zeigen, erhielten viele Firmen bis März noch keine Gelder. Ab April 2022 hätten die Behörden die Bearbeitung der Anträge systematisch verzögert, bis letztlich der Ablehnungsbescheid vorlag.

Wie die Fachanwältin mitteilte, war in den Bescheiden jedoch nichts davon zu lesen, dass durch die Umverteilung kein Geld mehr zur Verfügung gestanden habe. Vielmehr sei die Ablehnung mit der Begründung erfolgt, dass die Wirtschaft sich wieder im Aufwind befinde.

Einen Rechtsbefehl habe es – wie sonst bei Bescheiden des Finanzamtes üblich – nicht gegeben, so Lederer. Für sie war die ganze Aktion zur Umverteilung der 60 Milliarden Euro und die ab April folgende Ablehnung der Corona-Hilfen geplant.

Sollte das Gericht der Klage stattgeben, wäre die Übertragung der Kreditermächtigungen über 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Fonds ungültig.

Das würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen, äußerte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am 21. Juni im Bundestag. Fraglich wäre dann, wie die Ampel das Loch von 60 Milliarden Euro, das in diesem Fall im Energie- und Klimafonds klaffen würde, schließen will. „Dann führt ehrlicherweise an Steuererhöhungen kein Weg vorbei“, so die Steuerfachanwältin Lederer.

Schuldenbremse soll bremsen

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg sagt in diesem Zusammenhang, die Schuldenbremse benötige eine wirkliche Bremswirkung. Es dürften nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert werden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, setzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider, hinzu.

Anders argumentierte Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Die Corona-Pandemie sei eine außergewöhnliche Notsituation gewesen. Die Volkswirtschaft habe geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen.

Der Bevollmächtigte der Bundesregierung, Joachim Wieland, betonte, dass es auch darum gegangen sei, nach außen zu zeigen: „Wir haben das Geld reserviert.“ Damit habe die Regierung ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen schaffen wollen.

(Mit Material der Agenturen)



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