Trittin: Grenzöffnung durch Merkel ist ein „Märchen“

Im Interview mit dem „Spiegel“ widerspricht Ex-Umweltminister Jürgen Trittin der Auffassung von Parteisprecher Robert Habeck, die Grünen sollten sich als Volks- statt als Milieupartei präsentieren. Die AfD, so klagt er, verhindere linke Mehrheiten.
Von 31. Oktober 2019

Der frühere Bundesumweltminister und Bundestagsabgeordnete der Grünen, Jürgen Trittin, hat das Konzept der Volkspartei in einem Interview mit dem „Spiegel“ für gescheitert erklärt. Nach den spektakulären Wahlerfolgen der Partei bei den Landtagswahlen in Bayern, Hessen und Bremen sowie der EU-Wahl hat es bei den Urnengängen im Osten nur in Brandenburg noch zu einem zweistelligen Resultat gereicht. In Thüringen konnten die Ökosozialisten am Sonntag (27.10.) nur noch knapp die Fünf-Prozent-Hürde überwinden.

Trittin stellt in Abrede, dass die Grünen überhaupt Ambitionen hätten, zur Volkspartei zu werden, und stellt sich damit gegen Parteichef Robert Habeck, der mit einem „Big Tent“-Konzept nach dem Vorbild der US-Demokraten liebäugelt. SPD und CDU würden gerade deshalb scheitern, weil sie sich beim Versuch, alles von der Mitte bis zu den Rändern abzudecken, übernähmen.

„Grüne dort stark, wo ihre Milieus sind“

„Das Konzept Volkspartei ist tot“, betont Trittin. „Es funktioniert nicht mehr, unterschiedliche soziale und ökonomische Interessen zu bündeln und dann stellvertretend für die Gesellschaft innerhalb einer Partei Kompromisse zu schließen. Warum sollen wir einem überlebten Modell nachjagen?“

Deutschland werde perspektivisch „drei bis vier mittelgroße Parteien haben, die untereinander im Wettbewerb stehen“. Die Grünen könnten überall dort mithalten, wo ihre Milieus seien. In Hannover, das seit 70 Jahren von der SPD regiert werde, gehe man mit guten Chancen in die Stichwahl um den Posten des Oberbürgermeisters. Die durchwachsenen Ergebnisse im Osten seien keine Überraschung:

„Es ist nichts Neues, dass die Grünen im Osten schwächer sind. Aber in Leipzig, Dresden und Potsdam waren wir in der Lage, Direktmandate zu holen. Das sind unsere Milieus, dort können wir aufholen. Thüringen ist schwieriger, weil es dort eine Ansammlung von Klein- und Mittelstädten gibt. Ich habe nie daran geglaubt, dass sich das Gefälle zwischen Ost und West von heute auf morgen auflöst. Trotzdem regieren wir ja bald in drei, vielleicht vier der fünf Ostländern mit.“

Grenzöffnung durch Merkel ist ein „Märchen“

Trittin bedauert allerdings, dass der Aufstieg der AfD die Mehrheitsverhältnisse verschoben habe. Es gebe, rechne man die Ergebnisse von CDU, FDP und AfD zusammen, in immer mehr Bundesländern sowie im Bund „Mehrheiten rechts der Mitte“.

Dies erhöhe die Gefahr einer „Machtübertragung“ an die „Faschisten“. Das Muster bleibe stets das gleiche:

„Populistische Parteien radikalisieren sich und bekommen einen faschistischen, antidemokratischen Charakter. Und dann glauben konservative Kräfte, sie einbinden zu müssen und beteiligen sie an der Macht. Diesen Mechanismus muss man durchbrechen.“

Natürlich seien die institutionellen Sicherungen heute in Deutschland viel besser als sie es damals in der Weimarer Republik gewesen wären. Dies liege nicht zuletzt auch daran, dass die Verfassung so wenige plebiszitäre Elemente enthalte – „Aus gutem Grund, wie ich finde.“ Gegen die AfD müsse man „verbale Brandmauern“ errichten, damit sich die Wähler dieser Partei nicht „aus der Mitte der Gesellschaft heraus permanent bestätigt fühlen“.

Es sei „brandgefährlich“, wenn etwa „das Märchen bis in die Mitte der CDU verbreitet und geglaubt wird, Angela Merkel hätte vor vier Jahren die Grenzen geöffnet“.



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