Zu wenig Ostdeutsche auf Chefposten – Bundesregierung will gegensteuern

Auch mehr als 30 Jahre nach der deutschen Einheit geben meist Westdeutsche in den Führungsetagen den Ton an. Das gilt auch für Bundesbehörden. Nun will die Bundesregierung das ändern.
Zu wenig Ostdeutsche in Spitzenjobs? – Bundesregierung will gegensteuern
Der Ostbeauftragte Carsten Schneider.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 27. Januar 2023

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Ost- und Westdeutschland sind seit mehr als 32 Jahren wiedervereint. Allerdings zeigen neue Auswertungen, dass Ostdeutsche in Führungspositionen der Bundesbehörden und Bundesgerichte immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Die Bundesregierung will das nun ändern und mehr Ostdeutschen den Weg in Chefposten bei hohen Ämtern ebnen.

Bei einem Anteil von rund 20 Prozent der Bevölkerung haben gebürtige Ostdeutsche nur 13,5 Prozent der Führungspositionen in oberen und obersten Bundesbehörden. Nimmt man als Geburtsorte nur die fünf ostdeutschen Flächenländer ohne Berlin, sind es sogar nur 7,4 Prozent.

Die Erhebung veranlasste der Ostbeauftragte Carsten Schneider. Er forderte größere Anstrengungen in allen Bereichen, um mehr Ostdeutschen „die Türen in den Führungsetagen zu öffnen“. Am Mittwochvormittag (25.1.) brachte der SPD-Politiker eine Gegenstrategie ins Bundeskabinett ein.

Ossis an die Macht

Das „Konzept zur Steigerung Ostdeutscher in Führungspositionen“ sieht vor, Personalverantwortliche stärker anzusprechen. Die Bundesregierung will eine Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Landesregierungen stärker fördern. Zudem ist künftig eine jährliche Datenanalyse geplant. Zum Ende der Legislaturperiode gibt es eine Zwischenbilanz. Dann entscheidet die Bundesregierung, ob weitere Maßnahmen nötig sind, um mehr Ostdeutsche in Führungspositionen zu bringen.

Seit dem Mauerfall im Jahr 1989 „sind Ostdeutsche in den Führungspositionen unseres Landes deutlich unterrepräsentiert – eine nach wie vor ungelöste Aufgabe“, sagte Schneider der „Deutschen Presse-Agentur“. „Diese Bundesregierung macht das zum Thema.“ Bei einer Pressekonferenz ergänzte der SPD-Politiker, Ostdeutsche hätten nicht dieselben Chancen, was zu Frust führe. Die Gesellschaft nehme sich Potenzial.

„Es geht dabei aber nicht nur um Politik und Verwaltung, sondern ebenso auch um Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Justiz und Medien“, erklärte der Ostbeauftragte. Eine faire Teilhabe auch der Menschen aus Ostdeutschland sei „entscheidend für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Stabilität unserer Demokratie“.

In den Zeitungen der Funke Mediengruppe sprach Schneider von einer „deutlichen Benachteiligung“ Ostdeutscher bei der Verteilung von Führungspositionen in der Bundesverwaltung. „Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft handelt es sich um eine Art unbewusster Diskriminierung von Menschen aus dem Osten“, argumentierte der SPD-Politiker. Insbesondere für die älteren Generationen im Osten habe es „wenig Zugang zu hochdotierten Stellen im öffentlichen Dienst auf Bundes- und Landesebene“ gegeben, da nach der Wende „vor allem junge Westdeutsche diese Positionen besetzt haben“.

Eine Folgewirkung der Wiedervereinigung

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner Patzelt erklärte auf Anfrage der Epoch Times, warum weniger Ostdeutsche in Führungspositionen sind. Nach der Wiedervereinigung habe Ostdeutschland eine von den Altbundesländern her zuwandernde neue Führungsschicht bekommen. Diese besetzte dann die Spitzenstellungen in Wissenschaft, Kultur, Verwaltung und Wirtschaft, wann immer westdeutsche Unternehmen sich in Ostdeutschland betätigten.

„Eine solche Schicht bleibt dann auch und bietet der nächsten Generation der ihr Gehörenden bessere Aufstiegschancen als denen, die sich den Aufstieg erst persönlich erkämpfen müssen“, schilderte Patzelt.

Demnach könne man weder von geringeren Fähigkeiten von Ostdeutschen noch von schlechtem Willen von Westdeutschen sprechen, die zum zu erklärenden Zustand führen. Es handele sich lediglich um die Folgewirkungen der Bildung einer neuen Oberschicht in Ostdeutschland.

Wer gilt als „ostdeutsch“?

Als „ostdeutsch“ gilt nach Schneiders Definition, wer in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen geboren wurde. Er hatte bei knapp 4.000 Führungskräften in 94 Bundesbehörden, vier Verfassungsorganen und rund 340 Bundesrichter an den fünf obersten Bundesgerichten den Geburtsort erheben lassen. Berlin wurde insgesamt gesondert erfasst, also nicht nach Ost- oder West-Berlin unterschieden.

Zu den Ergebnissen gehörte auch, dass Ostdeutsche nur 7,1 Prozent der erfassten Richter ausmachten, ohne Berlin sogar nur 5,1 Prozent. In der Verwaltung ist der Anteil der Ostdeutschen, einschließlich Berlin, mit 6,8 Prozent und ohne Berlin mit 4,5 Prozent bei Leitungspositionen niedriger als bei Referatsleitungen (15,1 Prozent mit Berlin und 8,2 Prozent ohne Berlin).

Zu wenig Ostdeutsche in Spitzenjobs? – Bundesregierung will gegensteuern

Auflistung des Anteils der Ostdeutschen in der Bevölkerung und in verschiedenen Staatsberufen. Foto: Epoch Times, Quelle: Bundeskonzept „Ostdeutsche in Führungspositionen“

Der Linken-Ostbeauftragte Sören Pellmann kritisierte die jetzige Situation als Verfassungsbruch. „Artikel 36 des Grundgesetzes verlangt eine faire Personalverteilung aus allen Bundesländern“, sagte Pellmann. Er fordert eine „Ost-Quote“. Das lehnt Schneider mit dem Argument ab, dass nicht rechtssicher zu definieren sei, wer als ostdeutsch gelte. Bei seiner Definition nach Geburtsort gilt etwa die in der DDR aufgewachsene frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht als Ostdeutsche, weil sie in Hamburg geboren wurde. Migration zwischen West-Berlin und dem übrigen früheren Bundesgebiet ist ebenfalls nicht berücksichtigt.

Auch Patzelt hält eine „Ost-Quote“ für keine gute Idee: „Man muss überall strikt nach Qualifikation und Neigung gehen, wenn man nicht neue Ungerechtigkeiten erzeugen will.“ Wann immer man Personal nicht nach Qualitätsgesichtspunkten auswählt, würde das Niveau eines Unternehmens oder einer Verwaltungseinheit sinken. „Ob wir uns als ein auf vordere Plätze im Wettbewerb angewiesenes Land dies leisten können?“, gab Patzelt zu bedenken.

Viele kleinere Maßnahmen geplant

Schneider will mit „niedrigschwelligen Maßnahmen“ gegensteuern. Diese sollen Daten zu den Geburtsorten systematischer erfassen. Bundesbehörden sollen mit Selbstverpflichtungen arbeiten. Zudem will der Ostbeauftragte Auswahlgremien vielfältiger besetzen, Führungskräfte gezielt auf ihre Aufgabe vorbereiten und Netzwerke fördern. Zum Ende der Legislaturperiode soll es „bei Bedarf weitere Schritte“ geben. Schneider sagte, er hoffe auf Fortschritte schon im nächsten Jahr. Er fände es fair, wenn die Vertretung Ostdeutscher in Führungspositionen ihrem Bevölkerungsanteil von 20 Prozent entspräche.

Der Ostbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Sepp Müller, betonte: „Anstatt Konzepte zu fordern, sollte die Bundesregierung jetzt endlich handeln. Es gebe hoch qualifizierte Arbeitskräfte in Ostdeutschland. Sie sollten angemessen berücksichtigt werden.“

Der FDP-Ostbeauftragte Hagen Reinhold stellte klar: „Nie darf gelten, Region vor Qualifikation.“ Die Erfahrung Ostdeutscher mit Transformationsprozessen sei aber eine Qualifikation und ein Vorteil. Die Bundesbehörden könnten Menschen aus Ostdeutschland gezielter ansprechen und für eine Bewerbung motivieren.

(Mit Material von dpa und AFP)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion