Kommunalwahlen in der Türkei – Denkzettel für Erdogans Partei in Ankara und Istanbul

Nach einem nervenaufreibenden Kopf-an-Kopf-Rennen in Istanbul ging dort am Montagmorgen der Oppositionskandidat in Führung. Der Kandidat der linksnationalistischen CHP, Ekrem Imamoglu, habe einen Vorsprung von fast 28.000 Stimmen.
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Wahlen in der Türkei.Foto: OZAN KOSE/AFP/Getty Images
Epoch Times1. April 2019

In der Türkei hat die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Kommunalwahlen eine herbe Niederlage erlitten: Nach Jahren an der Macht in Istanbul und Ankara verlor die islamisch-konservative AK-Partei laut den vorläufigen Wahlergebnissen das Rathaus in der Hauptstadt und die Stadtverwaltung der Millionenmetropole am Bosporus. Das Ergebnis ist auch persönlich eine Niederlage für Erdogan, da er die Kommunalwahlen zu einer Art Referendum über seine Politik gemacht hatte.

Nach einem nervenaufreibenden Kopf-an-Kopf-Rennen in Istanbul ging dort am Montagmorgen der Oppositionskandidat in Führung. Der Kandidat der linksnationalistischen CHP, Ekrem Imamoglu, habe einen Vorsprung von fast 28.000 Stimmen vor dem AKP-Kandidaten Binali Yildirim, erklärte der Chef der Hohen Wahlkommission, Sadi Güven.

Gemäß den vorläufigen Ergebnissen kam Imamoglu auf 4.159.650 Stimmen, während der frühere Ministerpräsident Yildirim 4.131.761 Stimmen erreichte. Allerdings werden nach Angaben der Kommission noch einige Stimmen neu ausgezählt.

Stimmen noch nicht vollständig ausgezählt

Obwohl die Stimmen noch nicht komplett ausgezählt waren, hatte sich Yildirim am späten Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Istanbul bereits zum Wahlsieger erklärt und den Wählern gedankt. Imamoglu warf ihm daraufhin „Manipulation“ vor und forderte, das Ende der Auszählung abzuwarten.

Am frühen Morgen erklärte er sich dann bei einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz selbst zum Sieger, da er gemäß den vorliegenden Ergebnissen einen uneinholbaren Vorsprung habe.

Sollte sich Imamoglus Sieg bestätigen, hätten die Türken Erdogan und seiner Partei gleich einen doppelten Denkzettel verpasst: Auch in der Hauptstadt Ankara lag der CHP-Kandidat Mansur Yavas mit 50,9 Prozent klar vorn. Mehmet Özhaseki von der AKP erreichte nur 47 Prozent.

 

Türkeis Präsident Recep Erdogan. Foto: Amilcar Orfali/Getty Images.

Doppelter Denkzettel?

Ebenso wie Istanbul wurde Ankara seit 25 Jahren von der AKP beziehungsweise ihrer Vorgängerpartei regiert. Jeder vierte Türke lebt in einer der beiden Metropolen.

„Ankara hat gewonnen, der Verlierer in Ankara ist Özhaseki. Die schmutzige Politik hat verloren, die Demokratie hat gewonnen“, rief Yavas am frühen Morgen vor jubelnden Anhängern. Die AKP kündigte in der Nacht an, dass sie eine erneute Überprüfung der zehntausenden ungültigen Stimmen in Ankara und Istanbul beantragen werde. Zumindest in Ankara dürfte dies aber am Wahlsieg der Opposition nichts ändern.

In einer nächtlichen Rede vom Balkon des AKP-Hauptquartiers in Ankara vermied es Erdogan, sich klar zu den Ergebnissen in den beiden Metropolen zu äußern. Insbesondere erklärte er nicht, dass Yildirim gewonnen habe. Der AKP-Vorsitzende betonte allerdings, dass seine Partei in Istanbul die meisten Bezirke gewonnen habe. Insgesamt werde sie in 56 Prozent der Rathäuser im Land regieren sowie in 16 Großstädten, sagte er.

Auch wenn die AKP im Bündnis mit der ultrarechten MHP landesweit 51,7 Prozent der Stimmen erhielt, ist das Ergebnis in Ankara und Istanbul für sie eine herbe Niederlage. Ankara ist das politische Zentrum des Landes, während die 15-Millionen-Metropole Istanbul ihr kulturelles und wirtschaftliches Herz ist. Zudem begann Erdogan seine Karriere am Bosporus und feierte dort mit der Wahl zum Bürgermeister 1994 seine ersten Erfolge.

Referendum für Erdogan Politik

Erdogan hatte die Kommunalwahlen zu einer Art Referendum über seine Politik gemacht. Obwohl er selbst nicht zur Wahl stand, tourte er über Wochen durchs Land und trat binnen 50 Tagen auf mehr als hundert Kundgebungen auf. Wie in früheren Wahlkämpfen setzte er auf eine polarisierende Rhetorik und erklärte den Urnengang zu einer Frage des „nationalen Überlebens“.

Viele Wähler beschäftigte allerdings zuletzt vor allem die schlechte Wirtschaftslage. Erstmals seit 2009 ist die Türkei in die Rezession gerutscht. Besonders in den Großstädten macht sich der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten seit dem Absturz der Währung im vergangenen Sommer schmerzhaft bemerkbar. Bei seiner Balkonrede versprach Erdogan, die Zeit bis zu den nächsten Wahlen 2023 für wirtschaftliche Reformen zu nutzen.

Die Grünen orten Manipulation

Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) befürchtet bei den Kommunalwahlen in der Türkei Manipulationen durch die regierende AKP. „Eine faire und freie Wahl war das nicht“, erklärte Roth am Montag in Berlin. Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine AKP übten „weitreichende Kontrolle über Medien und eine willfährige Justiz aus“.

Dennoch sprach Roth von einem „ermutigenden Zeichen“ für die Opposition. Die Wähler hätten bewiesen, dass die türkische Politik nicht nur auf Erdogan reduziert sei.

Die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Margit Stumpp (Grüne), die als Beobachterin im südostanatolischen Diyarbakir war, kritisierte im SWR den Ablauf der Wahl. Sie und viele weitere Beobachter hätten die Wahllokale nicht betreten dürfen. Kandidaten der Opposition seien mit Gefängnis bedroht worden, sollten sie die Wahl gewinnen. Soldaten und Polizisten in Militärhochburgen hätten zudem mehrfach abstimmen dürfen – diese Städte seien mehrheitlich an die AKP gegangen.

(afp)



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