Getreide aus der Ukraine: Kein Transport führt am Seeweg vorbei

Der Transport von Feldfrüchten aus der Ukraine gestaltet sich seit Ende des Getreideabkommen zusehends schwierig. Eine wirkliche Alternative zu großen Seeschiffen gibt es nicht. Eine Analyse.
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Größere Mengen Getreide per Lkw zu transportieren, ist sehr ineffektiv im Vergleich mit Massengutfrachtern.Foto: iStock
Von 28. Juli 2023

Vor rund einem Jahr wurde in Istanbul unter Vermittlung der UN und der Türkei ein Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine geschlossen. Dadurch konnten trotz des Krieges gefahrlos Getreide – insbesondere Weizen und Mais – aus der Ukraine über das Schwarze Meer transportiert werden. Nachdem das Abkommen zweimal verlängert worden war, sagte Präsident Putin „Nein“ zu einer erneuten Fortsetzung des Getreidedeals.

Die Ukraine produziert etwa vier Prozent des weltweiten Weizens, Russland zehn Prozent. Bei Sonnenblumen sind beide Staaten etwa gleich auf (je ca. 25 Prozent). Das wichtigste Ziel für das „Schwarzmeerdeal-Getreide“ aus der Ukraine ist China. Ägypten als erstes afrikanisches Land folgt auf Platz 6.

Diese Unterbrechung der Transportkette hat Folgen für zahlreiche Länder – einschließlich der Ukraine.

Immerhin hat das Land während der Laufzeit des Abkommens nach Angaben des Joint Coordination Centre, welches die Umsetzung der Vereinbarung überwacht, 32,9 Millionen Tonnen Getreide auf dem Seeweg ins Ausland exportiert. Die Einnahmen aus dem internationalen Agrarhandel braucht die Ukraine dringend für die militärische Verteidigung und für den Wiederaufbau der zerstörten Städte und der Infrastruktur.

Entsprechend dringlich stellt sich (für Kiew) die Frage nach dem Einsatz alternativer Transportmöglichkeiten. Welche sind denkbar?

Die Effizienz von Massengutfrachtern ist unschlagbar

Bei allen Überlegungen, die zur Lösung dieses Problems angestellt werden, ist festzuhalten: Ein Verkehrsmittel, das die Massengutfrachter, die sogenannten Bulker, eins zu eins ersetzen könnte, gibt es nicht. Die bis zu 300 Meter langen und 50 Meter breiten Schiffe können auf einer Fahrt bis zu 100.000 Tonnen transportieren. Auf dem Landweg bedürfte das einem Äquivalent von bis zu 3.500 großen Lkw oder 1.000 Eisenbahnwaggons – pro Schiffsladung. Das ist, was den Einsatz von Zeit, Personal und Treibstoff anlangt, extrem ineffizient und teuer.

Gemessen wird diese Verkehrsleistung im Güterverkehr in der Einheit Tonnen-Meile beziehungsweise Tonnen-Kilometer. Die Berechnung erfolgt durch die zurückgelegte Strecke, multipliziert mit der beförderten Gütermenge.

Legt man diesen Maßstab zugrunde, wird deutlich, wie haushoch überlegen der Transport von Getreide und anderen Agrargütern per Schiff ist. Wie Kapitän John Konrad auf seinem Blog „gCaptain“ berichtet, verbraucht ein riesiger Massengutfrachter rund eine Gallone (= 3,78 Liter) Treibstoff, um eine Tonne Fracht über etwa 800 Kilometer zu transportieren.

Ein Lkw schafft mit der gleichen Menge Treibstoff knapp 100 Tonnen-Kilometer, ist also, was den Spritverbrauch anbelangt, um ein Vielfaches teurer. Ein Flugzeug, dazu später mehr, kommt auf etwas über zehn Tonnen-Kilometer pro Gallone.

Straße und Schiene: viel zu wenig und viel teurer

Hinzu kommt ein nahezu unlösbares logistisches Problem: Um die etwa 33 Millionen Tonnen, die im Schutz des Getreideabkommens von ukrainischen Häfen über den Seeweg verbracht wurden, auf der Straße zu transportieren, hätte es über eine Million LKW bedurft.

Wenn wir bei dem Beispiel einer zu transportierenden Menge von 100.000 Tonnen bleiben, benötigen wir etwa 3.500 Lkw. Hinzu kommt, dass sich bei Fernfahrten häufig zwei Fahrer abwechseln. Somit bräuchte man mindestens 7.000 Fahrer.

Abgesehen davon, dass geeignetes Personal in der Größenordnung nicht verfügbar ist, wären die Personalkosten immens. Im Vergleich: Die Mannschaft auf einem Bulker besteht aus 20 bis 25 Seeleuten.

Die Alternative zur Straße auf dem Landweg ist die Schiene.

Ein Güterzug kann auf einmal deutlich mehr Fracht befördern als ein Lkw und auch in Sachen Energieverbrauch ist der Zug dem Laster überlegen. Die Effizienz sieht auf der Schiene also deutlich besser aus. Doch hier eröffnet sich ein ganz anderes Problem. Die Eisenbahn-Spurbreite in der Ukraine ist – wie in vielen anderen Teilen der früheren Sowjetunion – zehn Zentimeter breiter als in den meisten europäischen Ländern.

Wenn also, wie aus Kiew berichtet, die Ukraine derzeit den Transport größerer Mengen Getreide über den Schienenweg präferiert, bietet sich bei Erreichen der Grenze beispielsweise zu Polen ein veritabler Flaschenhals.

Denn entweder müsste die Fracht in einen Zug mit passender Spurweite umgeladen werden, was schon viel Zeit in Anspruch nimmt, oder die ukrainischen Waggons müssten huckepack mit schmaleren polnischen Wagen weiterfahren. Dieses Verfahren wäre sehr kompliziert, teuer und noch viel zeitintensiver.

Kombination aus Schiene und Schiff ist wenig effizient

Auch über hybride Lösungen wird nachgedacht. Etwa der Transport der Fracht auf der Schiene durch die Ukraine bis zur Grenze nach Rumänien und von dort aus weiter zu rumänischen Häfen, von wo aus das Getreide wieder auf dem Seeweg in die Welt geht. Auf ukrainischer Seite wurden inzwischen zwei Schienenstränge entsprechend fit gemacht, auf rumänischer Seite indes geht das Projekt nicht voran.

Alexander Kamyshin, CEO der ukrainischen Eisenbahngesellschaft, hat diese mangelnde Kooperation auf Twitter beklagt und meinte, bei entsprechender Erhöhung der Frequenz von Getreidezügen, die die Grenze zu Rumänien überqueren, könnten mindestens 3,5 Millionen Tonnen mehr an Agrargütern auf der Schiene bewegt werden.

Letztlich ist die genannte Kapazität ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie die Nachrichtenagentur „Reuters“ berichtet, geht Kiew davon aus, dass in diesem Jahr in der Ukraine 51 Millionen Tonnen Getreide geerntet werden könnten.

Auch Kroatien hat angeboten, sein Eisenbahnnetz und die Seehäfen an der Adria als alternative Routen für ukrainische Getreide-Exporte zur Verfügung zu stellen. Aber auch auf diesem Wege könnten vergleichsweise nur geringe Mengen transportiert werden.

Auch Flussschifffahrt ist keine adäquate Lösung

Eine weitere potenzielle Lösung, die diskutiert wird, ist, ukrainisches Getreide über die Donau nach Europa zu bringen. Die Ukraine hat direkten Zugang zum größten Fluss Mitteleuropas – und über den Rhein-Main-Donau-Kanal könnten die Flussschiffe den Rhein abwärts bis nach Rotterdam fahren.

Diese Variante hat gegenüber dem Transport auf Straße und Schiene den Vorteil, dass sie etwa so kostengünstig ist wie die Seeschifffahrt. Doch auch auf diesem Wege könnten nicht annähernd die Mengen an Getreide transportiert werden wie auf den Massengutfrachtern, die über das Schwarzmeer fahren.

Ein spezielles Problem, das auf hoher See nicht existiert, sind die ungleichen und wechselvollen Wasserstände auf den Flüssen. So könnte es sein, dass die Donau aufgrund reichlicher Regenfälle genug Wasser führt, während weiter nördlich auf dem Rhein im Sommer Niedrigwasser herrscht. Das würde dann bedeuten, dass die Schiffe dort nur mit halber Ladung fahren können.

Und auch das Umladen des Getreides von den Flussschiffen in die größeren Seeschiffe könnte nach Meinung von Experten erhebliche logistische Probleme mit sich bringen. Anders als beispielsweise Odessa verfügt kein Hafen der Niederlande über die benötigte Infrastruktur zum Laden von Millionen Tonnen Getreide.

Das Flugzeug ist schnell, aber viel zu teuer

Ein weiteres Verkehrsmittel steht theoretisch zwar zur Verfügung, ist für den Transport von Getreide jedoch völlig ungeeignet: das Flugzeug. Die Anzahl von Großraumflugzeugen, die nötig wäre, um Millionen Tonnen an Agrargütern zu transportieren, existiert nicht. Abgesehen davon sind Flugzeuge extrem energieintensiv.

Allein die Spritkosten würden den Wert des Getreides übersteigen. Diesen gravierenden Nachteil kann den unbestrittenen Vorteil des Flugzeugs, die Geschwindigkeit, nicht wettmachen.

Dabei ist die Zeit ein kritischer Faktor beim Transport von Getreide. Zu lange Transportwege oder Zwischenlagerungen bergen das Risiko, dass das Getreide verdirbt.

Rückkehr an den Verhandlungstisch

Möchte die Welt ukrainisches Getreide, bleibt der Transporte über das Schwarze Meer alternativlos. Eine Wiederaufnahme des Getreideabkommen scheint daher als einzige Lösung realistisch und ruft die Anrainerstaaten zurück an den Verhandlungstisch.

Das könnte nicht nur im Interesse der Ukraine und Russlands sein. So hat China bereits einen diplomatischen Vorstoß unternommen, indem der stellvertretende Ständige Vertreter bei den Vereinten Nationen, Geng Shuang, im UN-Sicherheitsrat eine baldige Wiederaufnahme der Ausfuhren von Getreide und Düngemittel aus Russland und der Ukraine gefordert hat.

Da Russland diesmal auf die Wahrung seiner Interessen bei einer Verlängerung des Getreideabkommens pocht, wird der Westen nicht umhinkommen, gewisse Zugeständnisse zu machen.



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