Ökonomen: Bei Gasembargo drohen zehn Jahre Rezession

Ökonomen rechnen mit einem langfristigen Schock für die deutsche Wirtschaft, wenn russische Energieträger ausfallen.
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Hamburger Container-Hafen.Foto: iStock
Von 10. April 2022


Bereits vor Kriegsausbruch konnte die Hälfte der Industrieunternehmen in Deutschland einen Teil ihrer Aufträge nicht erfüllen. Die Auftragsbücher sind voll, können aber wegen fehlender Vorleistungen und Bauteilen nicht abgearbeitet werden. Besonders groß ist der Produktionsstau im Fahrzeug- und Maschinenbau, ergab eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags Anfang 2022.

Zu den schon zuvor drastisch gestiegenen Energiepreisen und die durch politisch gewollten Corona-Maßnahmen bedingten Lieferschwierigkeiten kommen nun möglicherweise zusätzlich kriegs- und sanktionsbedingte Liefer- und Logistikprobleme hinzu. Alle drei Faktoren führen zu gravierenden Folgen für die Wirtschaft. 

DIW: Es droht ein Produktivitätsschock

Das Bundeswirtschaftsministerium, der Industrieverband BDI und die Gewerkschaft IG Metall warnten am 4. April gemeinsam vor einem Gasembargo gegenüber russischem Gas. Ein Lieferstopp könne „in kurzer Zeit unsere politische und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit“ schwächen. Ein Embargo gegen Öl wäre für Deutschland weniger heikel als eines gegen Gas, stellte die „FAZ“ klar. 

Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) spricht in seiner aktuellen Modellrechnung von einem Produktivitätsschock für die Wirtschaft, falls russische Energieträger ausfallen. Ohne russisches Öl und Gas rechnen die Ökonomen des DIW mit einer lang anhaltenden Rezession – die über mehr als zehn Jahre andauern könnte. 

Demnach drohe die Schließung vieler Betriebe und eine deutliche Zunahme der Arbeitslosigkeit. Die Inflation werde weiter ansteigen. Da es ein derartiges Energieembargo noch nie gegeben hat, beruht ihre Rechnung auf einer Reihe von Annahmen, die Unsicherheiten mit sich bringen.

In ihrem Basisszenario erstrecken sich die Verluste beim Bruttoinlandsprodukt über rund zehn Jahre und erreichen ihren Höhepunkt in 18 Monaten – mit einem Minus von drei Prozent. Gleichzeitig würde ein Importstopp zu einem Anstieg der Inflation um bis zu 2,3 Prozentpunkte führen.

Die Autoren nehmen an, dass das Embargo dauerhaft ist. Dieses würde laut ihrer Schätzung die Produktivität im Euroraum anfänglich um 2,2 Prozent reduzieren, nach fünf Jahren immer noch um 0,3 Prozent. 

Technologie wird unbrauchbar

Hinzu kommt laut DIW, dass Teile der technischen Anlagen, Maschinen und der Produktion, der sogenannte Kapitalstock, hinfällig werden. Ohne Erdgas ist Brenntechnik, die auf diesen Rohstoff zugeschnitten ist, unsinnig; ohne Erdöl nutzen erdölverarbeitende Technologien nichts. 

Diese Technologien zu ersetzen – mit Wasserstoff oder anderen Rohstoffen – braucht seine Zeit. Für die Industrie stehen dann bestimmte Möglichkeiten der Produktion nicht mehr zur Verfügung. Daher rechnet das DIW mit einem langwierigen Rückgang des BIP.

Da die Nachfrage größer als das Angebot werden dürfte, wird damit gerechnet, dass die Preise steigen. Die Ökonomen rechnen mit einer zusätzlichen Inflation von über zwei Prozentpunkten. Längerfristig gesehen werde der private Konsum einbrechen und später niedrig bleiben.

Ihr Fazit ist, dass das Embargo, „das als geringere Produktivität und Vernichtung eines Teiles des Kapitalstocks modelliert wird, zu einer lang anhaltenden Rezession führt, die nach sechs Quartalen mit drei Prozent ihren Höhepunkt erreicht“, schreibt das DIW.

Die Schwere der Rezession entspreche etwa jener, die durch die Corona-Pandemie verursacht wurde. Sie könne „dementsprechend mit zielgenauer makroökonomischer Wirtschaftspolitik deutlich begrenzt werden.“

Es würden jedoch auch hohe Kosten dadurch entstehen, den Wegfall der russischen Energieträger zu kompensieren. Allerdings seien darin „auch ohnehin notwendige Investitionen für die Energiewende, die nun vorgezogen werden“, enthalten. „Eine stimulierende Fiskalpolitik, die hier Investitionsanreize setzt, kann daher die kurz- wie langfristigen Kosten mildern.“

Wichtig ist dem DIW, dass die Politik die Wirtschaft auf einen Lieferstopp vorbereitet, um die Schwere des möglichen Schocks abzuschwächen.

Deutsche Reserven an Erdgas 

Zumindest bei Erdgas gäbe es eine unabhängig-machende Lösung: Unter Niedersachsen ruhen 22,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die laut Deutscher Rohstoffagentur auch wirtschaftlich abbaubar sind. Weitere 1,36 Billionen Kubikmeter gelten als derzeit nicht wirtschaftlich förderbar, wären es mit Fracking aber zum Teil. Die Förderung ist jedoch politisch nicht gewollt. 

„Binnen sechs bis zwölf Monaten wäre es möglich, Deutschlands Selbstversorgung mit Erdgas deutlich auszuweiten – auf vermutlich 10 bis 15 Prozent“, erklärte Moh’d Amro, Direktor des Instituts für Bohrtechnik und Fluidbergbau an der TU Bergakademie Freiberg im Interview mit der „WirtschaftsWoche“ am 31. März. Das geologische Risiko hält Amro für gering, er hat jahrelange Erfahrungen als Bohringenieur in Katar. Die früheren Bohrlöcher, die die Förderfirmen Wintershall Dea und Exxon Mobile nutzten, könnten – wenn es gewollt wäre – binnen weniger Wochen reaktiviert werden. 

Zudem gibt es in der Nordsee das Erdgasfeld N05-A. Hier hatte sich Niedersachsen gegen eine Nutzung aufgrund des nahe gelegenen Vogelschutzgebietes Wattenmeer ausgesprochen.



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