Studie: Deutsche arbeiten im OECD-Vergleich weniger – DGB widerspricht

Neuseeländer arbeiten am meisten, gefolgt von Tschechen und Australiern. Deutschland liegt in einem aktuellen Vergleich eher im Mittelfeld. Franzosen, Italiener und Türken liegen dahinter.
Thyssenkrupp Steel will seine Produktionskapazitäten in Duisburg reduzieren. Damit werde auch ein Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sein, teilte der Konzern mit.
Thyssenkrupp Steel will seine Produktionskapazitäten in Duisburg reduzieren. Damit werde auch ein Abbau von Arbeitsplätzen verbunden sein, teilte der Konzern mit.Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Epoch Times18. April 2024

In Deutschland wird weniger gearbeitet als in anderen führenden Industrienationen. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) hervor, über die die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Donnerstagsausgaben) berichten.

Unter den OECD-Staaten haben die Forscher dafür erstmals die geleisteten Arbeitsstunden je Einwohner im Alter zwischen 15 und 64 Jahren verglichen. In der Auswertung landen die Deutschen mit 1.031 geleisteten Arbeitsstunden im Jahr 2022 im hinteren Mittelfeld.

Franzosen (1.030 Arbeitsstunden), Italiener (1.019), Belgier (996) und Türken (870) arbeiten noch weniger als die Bundesbürger. Der Durchschnittswert unter den verglichenen OECD-Ländern liegt bei 1.216 Arbeitsstunden je Einwohner im erwerbsfähigen Alter.

Besonders arbeitswütig sind der IW-Erhebung zufolge die Einwohner Neuseelands, die auf 1.393 Arbeitsstunden kommen. Danach folgen Tschechien (1.324), Australien (1.319), Polen (1.295) und die USA (1.291). Aber auch Niederländer (1.167), Briten (1.156) und Griechen (1.145) arbeiten mehr als die Deutschen.

DGB: Milliarden Überstunden

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) tritt den Studienergebnissen entgegen. „Fakt ist, dass in Deutschland nicht zu wenig gearbeitet wird, das zeigt der Milliarden-Berg an Überstunden, die sich seit Jahren auftürmen, übrigens zur Hälfte unbezahlt“, sagte DGB-Vorständin Anja Piel den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Gleichzeitig verwies Piel darauf, dass mehr als vier Millionen Arbeitnehmer auch noch einen Zweit- oder sogar Dritt-Job hätten. Das Arbeitsvolumen der Beschäftigten steige zudem seit Jahren an.

„Was tatsächlich ein zentrales Problem ist: Viele Vollzeitbeschäftigte arbeiten deutlich mehr als gesund ist, während viele – insbesondere Frauen – in der Teilzeit- und Minijobfalle festhängen“, sagte Piel weiter.

Der DGB fordert die Bundesregierung auf, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Konkret brauche es spürbare Entlastung für die Beschäftigten und eine ausreichende Unterstützung bei Kinderbetreuung und Pflege. „Damit werden wir dann auch innovativer und produktiver“, erklärte die Gewerkschafterin.

Auch der Bundesvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, fordert die Ampel in Berlin auf, mehr dafür zu tun, Erwerbspotenziale in Deutschland zu heben. „Es gibt konkrete Gründe dafür, dass nicht so viele Menschen in Deutschland in Vollzeit arbeiten, wie sie eigentlich wollen oder können“, sagte Werneke den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Er verwies auf zahlreiche Minijobs, die hohe Teilzeitquote, insbesondere bei Frauen und das Ehegattensplitting.

DIHK: Fachkräfte fehlen

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) reagierte besorgt auf die neuen Zahlen. „Quer durch die Branchen suchen Betriebe dringend Fachkräfte. Eine Ursache ist, dass in Deutschland im europäischen Vergleich weniger Stunden pro Kopf gearbeitet werden“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks den Funke-Zeitungen.

Forderungen nach reduzierten Arbeitszeiten wies die DIHK zurück. Wichtig sei, alle Fachkräftepotenziale zu heben, insbesondere bei den Menschen, die selbst mehr arbeiten möchten.

„Eine pauschale Debatte über reduzierte Arbeitszeiten geht daher in die falsche Richtung. Was im Einzelfall zur Lebenssituation passt, kann aus Sicht der Wirtschaft nicht insgesamt das Ziel sein“, so Dercks weiter. Gesamtwirtschaftlich brauche man stattdessen Anreize, das Arbeitszeitvolumen auszuweiten.

Bei der Berechnung der geleisteten Arbeitsstunden je Einwohner hat das IW Köln eigenen Angaben zufolge sowohl die Erwerbstätigenquote als auch die durchschnittliche Pro-Kopf-Arbeitszeit berücksichtigt.

In Deutschland ist demnach zwar der Anteil von Arbeitnehmern an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter mit 77 Prozent besonders hoch. Jedoch ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit mit 1.341 Stunden niedriger als in allen anderen OECD-Staaten, heißt es in der Auswertung.

Hohe Teilzeitquote

Studienautor Holger Schäfer sieht vor allem in der hohen Teilzeitquote in Deutschland einen Grund dafür. „Leider wird die kurze Arbeitszeit nicht durch die hohe Erwerbsbeteiligung kompensiert. Bezogen auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird in Deutschland daher weniger als in den meisten anderen OECD-Ländern gearbeitet“, sagte Schäfer, Experte für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.

Das IW Köln attestiert Deutschland daher auch eine „unterdurchschnittliche Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials“. Studienautor Schäfer hält es somit auch für möglich, demografische Effekte wie die baldige Rente der Babyboomer-Jahrgänge zu kompensieren.

„Würde in Deutschland gleich viel gearbeitet wie in Neuseeland, könnte das Arbeitsvolumen um rund 30 Prozent höher liegen“, heißt es in der Auswertung. Stellschrauben, um das zu erreichen, lägen eher bei einer längeren Arbeitszeit und weniger bei der ohnehin schon hohen Erwerbsbeteiligung. (dts/red)



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