Komponist: Rückbesinnung auf klassische Musik

Wer sich auf das Erbe der westlichen Musikkomposition besinnen möchte, hat es in der Musikwelt nicht einfach, meint der Neotraditionalist Michael Kurek.
Titelbild
Komponist Michael Kurek im Jahr 2005.Foto: Denise Truscello
Von 16. März 2022

Die moderne Kultur ist von einer Krankheit befallen. Eines der Anzeichen dafür ist der offensichtliche Verlust der großen Tradition der großartigen abendländischen Musikkomposition. Wo finden wir heute noch Komponisten vom Kaliber eines Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms oder Wagner? Wo finden wir heute Opernkomponisten, die mit Verdi oder Puccini vergleichbar sind?

Zum größten Teil ist die akademische Kultur für diesen Bruch mit der Tradition verantwortlich, denn sie verwarf unser großes kompositorisches Erbe systematisch und ideologisch zugunsten der atonalen Moderne – sie lehnt meist die harmonische Schönheit ab. Nur wenige mögen oder schätzen posttonale Musik außer den Akademikern selbst.

Und doch ist nicht alles verloren. Es gibt immer noch zeitgenössische Komponisten, die sich der großen Tradition verschrieben haben. Der amerikanische Komponist Michael Kurek ist einer von ihnen.

Kurek selbst wurde von der „American Academy of Arts and Letters“ mit dem prestigeträchtigen „Academy Award in Music“ für sein Lebenswerk ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung der Akademie. Sein 2017 erschienenes Album „The Sea Knows“ erreichte Platz 1 auf der Liste der Charts der Traditionellen Klassischen Musik (Traditional Classical Music Charts) und er war Mitglied des Nominierungsausschusses für Klassische Musik (Classical Nominations Committee) für die Grammy Awards.

Sein Buch „The Sound of Beauty“ erschien im September 2019. Er ist emeritierter Professor für Komposition an der Vanderbilt University [in Nashville, Tennessee], wo er 14 Jahre lang den Lehrstuhl für Komposition leitete.

In einem Exklusivinterview mit der Epoch Times sprach Dr. Kurek über die Herausforderungen der traditionellen Musik.

Im Frühjahr 2020 verließen Sie eine Forschungsuniversität, die unter den 20 besten rangiert und gingen in den Vorruhestand. Sie hatten 1988 Ihre Lehrtätigkeit aufgenommen, welche Veränderungen konnten Sie seitdem im Musikunterricht beobachten?

Eine der grundlegendsten Veränderungen – abgesehen von solchen Modernitäten wie Unisex-Toiletten, Anrecht auf gute Noten und überempfindliche Reaktionen auf Kritik – ist die Veränderung im Lehrplan. Als ich anfing, setzten wir für alle Musikstudenten fünf Lehrveranstaltungen in Musikgeschichte voraus, jede behandelte jeweils die Musik einer historischen Stilepoche der westlichen klassischen Musik.

Das diente in erster Linie dazu, die Studenten mit möglichst vielen Musikstücken aus jeder Epoche vertraut zu machen, ihnen den historischen Kontext und auch das Wissen zu vermitteln, wie die verschiedenen Musikstile aufgebaut waren. In den Tests wurden Ausschnitte aus vielen Kompositionen abgespielt, die sie erkennen und benennen mussten.

Vor einigen Jahren wurde dieser Lehrplan geändert. Jetzt beginnen die Studenten mit der Lehrveranstaltung namens „Musik als Weltkultur“, in der sie alle möglichen nicht-westlichen Musiktraditionen kennenlernen. Damit sollen sie von allen eurozentrischen Vorurteilen befreit werden, die sie vielleicht haben – oder sie sollen gegen Vorurteile geimpft werden, die sie einfangen könnten, wenn sie im darauffolgenden Semester westliche Meisterwerke hören.

Dann haben sie nur ein Semester, nicht fünf, um die gesamte westliche Musikgeschichte zu behandeln! Natürlich fallen viele Dinge damit weg oder erhalten vielleicht nur ein paar Minuten an Unterrichtszeit. Die Studenten dürfen sich die nächsten beiden musikgeschichtlichen Veranstaltungen aussuchen, jeweils mit einer kräftigen Dosis Soziologie, wie zum Beispiel „Gott, Sex und Politik in der Alten Musik“ oder „Musik und der Aufbau der nationalen Identität“.

Schließlich besuchen sie eine ganze Lehrveranstaltung über Modernismus und Postmodernismus im Gegensatz zu der einen Veranstaltung, die die vorherigen sechs Jahrhunderte behandelt.

Es gibt noch weitere Wahlfächer, die sich an dieser Agenda orientieren: „Musik, Identität und Vielfalt“, „Musik, Gender und Sexualität“, „Frauen in der Musik“, „Frauen und Rockmusik“, „Künstler, Gesellschaft und Demokratie“ (behandelt werden dabei „Perspektiven der Minderheiten und kultureller Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft“) und „Hip-Hop, Punk und die Demokratisierung der amerikanischen Popmusik“.

Viele der Dozenten für Orchestermusik stimmten gegen diese Lehrplanänderungen. Denn sie versuchen, die Studenten dazu auszubilden, den Kanon der abendländischen Musik in einem Sinfonieorchester spielen zu können, und zwar als Beruf.

 Was die Studenten angeht, so sagten mir viele unter vier Augen, sie fühlten sich, als würden sie inhaltlich zu kurz kommen und einer Art ideologischer Indoktrination ausgesetzt sein.

Lassen Sie uns über Ihre eigene Arbeit als Komponist an der Universität sprechen und wie Sie als Neotraditionalist überlebt haben.

Ähnlich wie die Fakultäten für bildende Künste, die keine traditionellen figurativen Malerei- und Bildhauertechniken mehr lehren, wollen die meisten Fakultäten für Musikkompositionen keine traditionellen erzählerischen und tonalen Musiktechniken mehr unterrichten – und wissen in vielen Fällen nicht einmal, wie sie sie lehren sollen.

Im Fach Musiktheorie werden allen Musikstudenten zwar immer noch (auf einem Anfängerniveau) zumindest teilweise die traditionellen tonalen Elemente von Melodie, Kontrapunkt, Harmonie und Form vermittelt. Diese tonalen Techniken werden jedoch im Kompositionsstudio von den meisten Dozenten im Grunde ignoriert.

Ich hatte das Glück, eine Festanstellung zu bekommen, als mein Kompositionsstil noch nicht so traditionell war wie heute, aber ich musste immer noch doppelt so viel Leistung erbringen als normalerweise nötig, um sie zu bekommen. Mit diesen Leistungen konnte die Festanstellung nicht einfach verweigert werden – ohne eindeutig meine akademische Freiheit zu verletzen, in jedem Stil zu komponieren, den ich wollte. Also mussten sie mich anstellen.

Warum setzen Sinfonieorchester und Opernhäuser weiterhin hässliche postmoderne Musik auf den Spielplan, obwohl die große Mehrheit des Publikums und sogar die Musiker im Orchester diese stark ablehnen?

Die meisten Zuschussgeber, auf die Orchester und Opernhäuser angewiesen sind, verlangen von ihnen zu zeigen, dass sie nicht nur „Lagerstätten und Museen der Vergangenheit“ sind, sondern auch „aktuell“. Das ist der Grund, warum die einzigen neuen Stücke, die sie normalerweise spielen, fast immer „Uraufführungen“ genannt werden.

Ein Vorstandsmitglied eines großen Opernhauses schrieb mir 2019, wie frustriert er über dieses System in Bezug auf moderne Opern sei: „drei Stunden Hässlichkeit und atonalen Gesangs ohne eine einzige Melodie“.

Zudem meinte er, der Kartenverkauf für diese Opern laufe oft bis zu 70 Prozent schlechter als der für die traditionellen Opern in der gleichen Saison. Obwohl dies so kostspielig ist, dass es die Opern an den Rand des Ruins treibt, führen sie sie weiter auf, um nicht als „Museum“ bezeichnet zu werden. Die Opernhäuser sind in einem Teufelskreis gefangen – oder, wie er es ausdrückte, „sie scheinen sich nach dem Tod zu sehnen.“

Wie hoch sind die tatsächlichen Plattenverkäufe für zeitgenössische klassische Musik?

Laut „Statista media“ betrug der Umsatz für Plattenverkäufe der klassischen Musik im Jahr 2018 ein Prozent des gesamten Tonträgerumsatzes, – so viel wie der Umsatz im Reggae-Genre! Und es kommt noch schlimmer: Die meisten dieser „klassischen“ Verkäufe stammen von Crossover-Künstlern wie Josh Groban, Susan Boyle, Jackie Evancho und Celtic Woman.

Wenn es um Verkäufe von wirklich klassischer Musik geht – von etablierter klassischer Musik, zum Beispiel Beethoven, Brahms, Bach, Tschaikowski und Wagner –, dann beträgt der Anteil der modernistischen Klassik des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart wahrscheinlich nur einen winzigen Teil im Kuchendiagramm aller Musikverkäufe. Ich weiß, dass der durchschnittliche Verkauf von CDs mit modernistischer Musik, ohne die Exemplare zu zählen, die vom Komponisten, den Künstlern und deren Freunden und Verwandten gekauft werden, unter 50 Stück liegt.

Wie kommt es, dass ein so winziges, praktisch unbekanntes Subgenre der Musik sich vor Studenten und anderen so darstellt, als sei es das populärste Erbe der westlichen klassischen Musik?

Es erinnert mich an eine Sekte, die ihren 36 Mitgliedern erzählt, sie seien die Ersten in der Schlange zum Himmel. Natürlich mache ich mich in solch elitärer Gesellschaft nicht sehr beliebt, wenn ich ein Album auf Platz 1 der „Traditional Classical Music Charts“ habe und rund 200.000 Streams (allein auf Spotify) von diesem Album, ohne jegliche Werbung.

Das ist immer noch eine winzige Zahl, verglichen mit populären Musik-Streams, die bei einem Hit-Album in die Milliarden gehen können. Aber es ist jedenfalls genug, um zu zeigen: Wenn man tatsächlich vollwertige klassische Musik komponiert, die den Menschen gefällt, kann diese Musik ein Publikum von mehr als 50 Personen finden.

Was halten Sie von dem begehrten Pulitzerpreis für Musik? Und was passierte mit den über 70 Musikstücken, die den Pulitzerpreis erhalten haben?

Es ist erstaunlich, dass der Pulitzerpreis für Musik einen solch vermeintlichen Stellenwert einnimmt. Selbst dann, wenn von 73 Preisen, die für Musikkomposition vergeben wurden, nur ein einziger Gewinner tatsächlich ins Standardrepertoire aufgenommen wurde: Aaron Coplands „Appalachian Spring“, der Gewinner von 1945. Der Rest wird praktisch nie aufgeführt oder gesendet und gerät im Grunde genommen in Vergessenheit – die meisten schon innerhalb eines Jahres nach dem Gewinn des Preises.

Was muss geschehen, damit schöne neue Werke zu einem neuen Kanon wirklich großer klassischer Musik hinzugefügt werden können?

Eine verlorene Fähigkeit taucht nicht einfach wieder auf, wenn man den Willen hat, sie zu haben oder die Notwendigkeit dazu verkündet. Begabte Komponisten müssen zuerst erkennen, dass es eine Notwendigkeit gibt und sich dann hartnäckig die Fähigkeiten aneignen – aus dem Studium der Musiktheorie und der Orchestrierung und besonders der großen Partituren.

Sie müssen jahrelang üben, um sie zu beherrschen, sei es privat oder innerhalb einer Bildungseinrichtung, die sich dieser Aufgabe neu annimmt. Ich kenne keine Musikschule, die diese Vision für ihr Kompositionsprogramm zur Sprache gebracht hat.

Komponisten, deren Musik traditionelles Handwerk demonstriert, müssen mit Künstlerstipendien ausgestattet werden, um Aufnahmen ihrer Werke zu finanzieren und zu fördern. Wie sonst kann die Öffentlichkeit erkennen, dass der Zug wieder auf dem richtigen Gleis steht?

Ich bin zum Beispiel gerade dabei, eine Aufnahme meiner neuen Sinfonie mit einem Studentenorchester der Universität zu machen, weil ich es mir nicht leisten kann, ein professionelles Orchester für die Aufnahme zu engagieren. Sowohl das „London Symphony Orchestra“ als auch das „Royal Scottish National Orchestra“ hatten mit meiner Plattenfirma vereinbart, die Sinfonie aufzunehmen, aber es konnte keine Finanzierung gefunden werden, um die Aufnahmegebühr für die Musiker zu bezahlen!

Das soll kein plumper Spendenaufruf sein, aber es ist die treffendste, realistischste Veranschaulichung, die mir einfällt. Wie viel mehr Einfluss und Wirkung hätte das Album mit dem „London Symphony Orchestra“ haben können?

Können Sie kurz zusammenfassen: Warum ist eine Wiederbelebung der traditionellen klassischen Komposition so wichtig?

Wir brauchen letztendlich eine Renaissance der Schönheit in den Künsten als kulturellen Ausdruck unserer höheren Natur, der objektiven Wahrheit und der menschlichen Güte.

 

Michael Kurek ist Komponist. Er war mehrere Jahre lang Vorsitzender der Abteilung für Musikkomposition an der Blair School of Music der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee. Seit 2020 widmet er sich als emeritierter Professor ganz dem Komponieren und Schreiben. Wenn Sie mehr über seine Arbeit erfahren möchten, können Sie unter https://MichaelKurek.com drei Sätze seiner neuen Sinfonie in einer virtuellen Nachbildung hören.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: The Return of Traditional Classical Music (deutsche Bearbeitung von as)



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