Fritz Vahrenholt: USA rudert bei Energiewende zurück – Deutschland dem Untergang geweiht?

In einem Gastkommentar spricht der ehemalige Hamburger Umweltsenator Prof. Fritz Vahrenholt unter anderem über die Entwicklung der gesicherten Leistung in Deutschland und der Welt sowie die Auswirkungen der Abschaltung zuverlässiger Kraftwerke auf die Versorgungssicherheit in Deutschland.
Kohlekraftwerke tragen maßgeblich zur Versorgungssicherheit in Deutschland – noch.
Noch kommen weiße Wolken aus Wasserdampf kommen aus den Kühltürmen von Kohlekraftwerken in Deutschland.Foto: iStock
Von 10. April 2024

Im März 2024 ist die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) gegenüber dem Februar in etwa gleich geblieben. Der Wert beträgt 0,95 Grad Celsius.

Das Wetterphänomen El Niño ist zwar auf dem Rückzug, aber es dauert in der Regel zwei Monate, bis sich der dadurch bedingte weltweite Rückgang der Temperaturen einstellt. Aktuell beträgt der Temperaturanstieg seit 1979 im Durchschnitt pro Jahrzehnt 0,15 Grad Celsius.

Die Temperaturen im März 2024 überstiegen das langfristige Mittel um +0,95 °C. Der langfristige Trend liegt bei +0,15 °C pro Jahrzehnt.

Die Temperaturen im März 2024 überstiegen das langfristige Mittel um +0,95 °C. Der langfristige Trend liegt bei +0,15 °C pro Jahrzehnt. Foto: Dr. Roy SpencerUniversity of Alabama, Huntsville

Die gesicherte Stromversorgung in Deutschland gerät in Gefahr

Der Stromverbrauch in Deutschland geht seit 2022 kontinuierlich zurück. Wesentlicher Grund ist der Minderverbrauch der Industrie. Gestiegene Strompreise führten zum Rückgang der Industrieproduktion, mitunter auch zu Produktionsverlagerungen.

Die bereits eintretende Deindustrialisierung bestärkt die Bundesregierung darin, den Ausstieg aus gesicherten Kraftwerkskapazitäten weiter fortzusetzen. Am 31. März 2024 legte RWE in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium fünf Braunkohleblöcke (Niederaußem und Neurath) still, im Lausitzer Revier wurden die Blöcke E und F des Kraftwerks Jänschwalde für immer abgestellt.

Insgesamt wurden 2.100 Megawatt (MW) Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen. Bis Ende des Jahres werden weitere 400 MW und zusätzliche 1.300 MW von Steinkohlekraftwerken abgeschaltet: Heyden bei Minden, Fenne im Saarland, Marl und Mehrum im Landkreis Peine.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger jubelte: Die jetzige Abschaltung sei „ein großer Erfolg für Klimagerechtigkeit und geschieht im Wissen um die historische und globale Verantwortung für die Erreichung unserer Klimaziele“.

Bezahlen wird die Stilllegungen der RWE-Kraftwerke indes der Steuerzahler. Bis 2030 erhält RWE 2,6 Milliarden Euro für die Verringerung der gesicherten Stromerzeugung. Die Begründung lautet: Mit den Kraftwerken hätte RWE viel Geld verdienen können. Mit der gleichen Begründung soll die LEAG aus der Lausitz 1,75 Milliarden € vom Steuerzahler erhalten. Damit geht nach dem Ausstieg aus der Kernenergie der bundesweite Ausstieg aus gesicherter Leistung munter weiter.

Erneuerbare Energie haben kaum einen Anteil an der Versorgungssicherheit.

Kraftwerke in Deutschland und ihre gesicherte Leistung (¹Angaben nicht verfügbar, ²Gesamtleistung einschließlich Netz-, Kapazitäts- und Versorgungsreserve, netztechnische Betriebsmittel sowie vorläufige Stilllegungen). Foto: ts/Epoch Times nach Ulreich, Schiffer (2023); Daten: Kraftwerksliste/Bundesnetzagentur (Stand 17. November 2023)

Wie weit kann die gesicherte Leistung heruntergefahren werden?

Die Höchstlast in den letzten Jahren betrug 81.000 MW. Zu der in 2025 nur noch vorhandenen gesicherten Leistung von 83.500 MW muss man den Import hinzuzählen. McKinsey hat in einer Studie vom letzten Jahr festgestellt, dass man mit etwa zehn Gigawatt gesicherter Leistung aus dem Ausland rechnen kann.

Zwar ist die Leitungskapazität ins Ausland größer. Aber ob uns die Nachbarn aus der Patsche helfen, wenn sie den Strom in einer windstillen Großwetterlage selbst bitter benötigen, ist fraglich, führt McKinsey aus. Zudem geht man davon aus, dass durch den Ausbau der Wärmepumpen und der Elektromobilität die gesicherte Leistung sehr schnell überschritten wird und nur durch Maßnahmen der Nachfragedrosselung beherrscht werden kann.

Selbst McKinsey, bislang weitestgehend Unterstützer der Energiewende, warnt in diesem Zusammenhang:

Die Kombination aus sinkender gesicherter Kapazität und durch die Elektrifizierung steigender Spitzenlast kann zu Versorgungslücken führen.“

Katherina Reiche, Vorsitzende der Geschäftsführung des größten deutschen Verteilnetzbetreibers, der innogy-Tochter innogy Westenergie GmbH, warnt sogar ausdrücklich vor Stromausfällen, falls Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigt:

Im Jahresverlauf könne es in dunklen, windstillen Phasen bis zu hundertmal zu Phasen der Unterversorgung kommen, die bis zu 21 Stunden dauern könnten. Dies sei für ein Industrieland wie Deutschland nicht hinnehmbar, so Reiche. Weiter sagte sie:

Es kann sein, dass wir den Kohleausstieg etwas verschieben müssen.“

Versorgungssicherheit vs. Launen der Natur

Gerade aktuelle Naturereignisse zeigen uns schnell die Grenzen dieser „auf Naht“ geplanten Stromversorgung auf: Die Stromproduktion in Süddeutschland in der letzten Woche ist ein gutes Beispiel.

So rechnete der Netzbetreiber in Baden-Württemberg am Karsamstag mit 3.500 MW Photovoltaikstrom. Eine überraschend starke Wolke Saharastaub dimmte den Solarstrom jedoch auf 1.800 MW herunter, sodass die Lücke kurzfristig durch das Anwerfen von konventionellen Kraftwerken ersetzt werden musste. Die Strompreise schossen bis auf 40 Eurocent pro Kilowattstunde hoch – mit Spitzenwerten von 0,75 €/kWh.

Zusammen mit Bayern fehlten 3.000 MW Solarstrom, was ungefähr der Leistung von sechs Kohle- oder Gaskraftwerksblöcken entspricht. Da nicht alles kurzfristig beschafft werden konnte, mussten auch Stromkunden heruntergefahren werden. Über die Höhe der Abschaltung von Industriebetrieben schweigt der Netzbetreiber sich aus.

Dass die Natur, die uns ja keine Rechnung schickt, es nicht immer gut meint mit der Solarerzeugung, zeigte schon Mitte März ein Hagelschaden an einem 350 MW großen Solarfeld im US-Bundesstaat Texas. Der Hagelschaden hatte einen signifikanten Teil der Solaranlagen zerstört, berichtete „Fox News“. Diese Verletzlichkeit der Naturenergien gegenüber den Naturkräften muss eine Regierung berücksichtigen, die sich zu 100 Prozent auf diese Technologien verlassen möchte.

Großflächige Zerstörung nach einem Hagelsturm in einem Solarpark nahe Houston, Texas (USA). Foto: Bildschirmfoto/YouTube/Fox 26 Houston

Was Deutschland abschaltet, baut die Welt 20-fach neu

Während hierzulande der Ausstieg aus der Kohle vollzogen wird, sind weltweit folgende Kohlekraftwerkskapazitäten innerhalb eines Jahres hinzugekommen:

  • China 47.000 MW
  • Indonesien 5.900 MW
  • Indien 5.500 MW
  • Japan 2.450 MW
  • Südkorea 1.040 MW
  • Vietnam 2.600 MW

Gemeinsam mit vielen weiteren neuen Kohlekraftwerken kommen insgesamt 69.545 MW Leistung zusammen.

Zieht man von diesen neu gebauten Kohlekraftwerkskapazitäten die in Deutschland reduzierten 3.800 MW ab, die RWE und andere in 2024 und 2025 stilllegen, dann sieht man sehr schnell, dass wir mit der Abschaltung in Deutschland eben nicht wie behauptet die Welt retten. Wir gefährden den Standort Deutschland, ohne einen signifikanten Beitrag zur Reduktion des weltweiten CO₂-Ausstoßes zu leisten.

Biden-Regierung nähert sich der Realität

Auch die US-amerikanische Regierung hatte ähnliche Ziele wie Deutschland: 80 Prozent der Stromerzeugung sollte 2030 aus erneuerbaren Energien stammen, fünf Jahre später 100 Prozent. Dabei stammten noch 2021 rund 79 Prozent des Stroms aus nicht erneuerbaren Energien wie Kernenergie, Gas und Kohle.

Anders als in Deutschland gibt es in den USA eine bemerkenswerte Kehrtwende. Die Kernenergie wird wieder entdeckt, weil man festgestellt hat, dass die Ziele für die Erneuerbaren unerreichbar, unbezahlbar, vor allen Dingen aber unpopulär sind.

Der erste spektakuläre Schritt ist die Reaktivierung des 2022 stillgelegten Kernkraftwerks Palisades in Michigan. Es war nach 50 Jahren außer Betrieb genommen worden. Die demokratische Gouverneurin Gretchen Widmer ließ nun neue Töne verbreiten: Anstatt das Kraftwerk zurückzubauen, soll es 2025 nach entsprechender Sicherheitsüberholung wieder erneut ans Netz. Es wäre das erste Kernkraftwerk in den USA, das wiedereröffnet würde.

Präsident Biden unterstützt die Entscheidung mit einer Subvention von 1,5 Milliarden US-Dollar. Mitte der 30er-Jahre soll das Kraftwerk dann durch zwei neue Kernkraftwerke der nächsten Generation, sogenannte SMRs (Small Modular Reactors = kleine modulare Reaktoren), ersetzt werden.

Diese energiepolitische Wende reicht bis in die Administration: Der kernenergiekritisch eingestellte Leiter der nationalen Kernenergiebehörde NRC, Jeff Baran, wurde von Biden entlassen, um den neuen Kernenergiekurs durchzusetzen. Aber die Gründe sind aufsehenerregend. Nach einer Einschätzung von Energiespezialisten ist die zunehmende Anforderung an gesicherte Stromleistung der wahre Treiber für die ideologische Umkehr.

Die begonnene Revolution der Künstlichen Intelligenz sowie die fortschreitende Digitalisierung erfordert „ultraverlässliche“ Stromerzeugung. Die Tech-Giganten haben erkannt, dass Kernenergie die beste Lösung ist, um die Anforderungen der Rechenzentren und ihrer Datenbanken an Netzstabilität und gesicherter Leistung zu garantieren.

Schon heute verbrauchen Rechenzentren etwa 460 Terawattstunden Strom weltweit. Durch die Ausweitung der Künstlichen Intelligenz wird dieser Verbrauch in 2030 auf mindestens 1.137 TWh ansteigen, dem doppelten Stromverbrauch Deutschlands. – In einem weniger optimistischen Szenario steigt der Stromverbrauch auf knapp 8.000 TWh. In jedem Fall darf weder Hagel noch Saharastaub die Versorgung gefährden.

Über den Autor:

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.

Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“, 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net

Fritz Vahrenholt: Habecks Strompreisbrücke ins Nirgendwo

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Foto: privat

Dieser Artikel erschien im Original auf klimanachrichten.de/ unter dem Titel: „Fritz Vahrenholt: Das politische Spiel mit der Versorgungssicherheit“ (redaktionelle und grafische Bearbeitung ts/Epoch Times)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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