EU-Gipfel zur atomaren Zukunft – Deutschland sitzt nicht mit am Tisch
Bei der Frage zur Zukunft der Atomenergie geht ein Riss durch Europa. Während in Deutschland im April 2023 der einst von CDU und CSU (mit)beschlossene Atomausstieg umgesetzt wurde, gehen andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen anderen Weg.
Am Donnerstag sprechen in Brüssel diverse Staats- und Regierungschefs über die aus ihrer Sicht gegebene Relevanz der Atomkraft. Wichtige Fragen und Antworten zum ersten internationalen Atomenergie-Gipfel.
Warum gibt es dieses Gipfeltreffen?
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und die derzeitige EU-Ratspräsidentschaft Belgien laden zu dem Treffen. Doch „es geht nicht darum, einfach die Atomenergie zu feiern“, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi am Mittwoch.
Stattdessen gehe es darum, Themen im Kontext der Beibehaltung oder des Ausbaus von Atomkraft zu besprechen – etwa die Frage, wie AKW-Projekte leichter finanziert werden könnten, erklärte Grossi.
Es sei eine Veranstaltung, die ausdrücke, dass die Kernenergie angesichts des steigenden Energiebedarfs „ein Teil des Puzzles“ ist, sagte Belgiens Premierminister Alexander De Croo jüngst.
Wer nimmt an dem Treffen teil?
Deutschland sitzt nicht mit am Tisch. Neben De Croo werden mehr als 30 weitere Staats- und Regierungschefs erwartet, die an der Kernkraft festhalten wollen.
Unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron, sein finnischer Kollege Petteri Orpo, aus Tschechien Petr Fiala und aus Ungarn Viktor Orban. Erwartet werden auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie EU-Ratspräsident Charles Michel.
Wie wird das Gipfeltreffen in Deutschland eingeschätzt?
Das Bundesumweltministerium gibt sich betont gelassen: „Dass es unter den EU-Mitgliedstaaten bezüglich der Atomkraftnutzung unterschiedliche Sichtweisen gibt, ist bekannt und wird gegenseitig respektiert“, sagte ein Sprecher. Deutschland habe mit seinem Ausstieg den Kreis der atomkritischen EU-Mitgliedstaaten gestärkt.
Wie wird in Europa die Kernkraft genutzt?
Aktuell werden in 12 der 27 Mitgliedstaaten Atommeiler betrieben, in der Slowakei und in Frankreich befinden sich zwei neue Kernkraftwerke in Bau. Als Reaktion auf die geänderten Rahmenbedingungen infolge des Ukrainekriegs hat Belgien den beschlossenen Ausstieg auf 2035 verschoben, Spanien hält am Ausstieg fest.
Die mit Abstand meisten Meiler gibt es in Frankreich. Auch Polen beabsichtigt ein Kernenergieprogramm neu zu starten, Tschechien plant ebenfalls den Neubau von Meilern. Wie viele, ist noch unklar.
Warum hat Frankreich in Europa eine Sonderrolle?
56 der 100 Atomkraftwerke in Europa sind in Frankreich. Grundsätzlich wird der Bau von 14 oder möglicherweise noch mehr neuer Anlagen in Erwägung gezogen. Außerdem soll die Laufzeit bestehender Kraftwerke verlängert werden, wenn die Sicherheit dies zulässt.
Jedoch zeigt sich hier auch, wie schwierig der Neubau ist: Mitte 2024 soll in Flamanville in der Normandie ein neuer Meiler ans Netz gehen – mehr als 16 Jahre nach Baubeginn und mit geschätzten Kosten in Höhe von 13,2 Milliarden Euro viermal so teuer wie vorgesehen.
Als Atommacht setzt Frankreich aber nicht nur aus Gründen der Energieversorgung auf die Kernkraft: Erst kürzlich hat Frankreichs Verteidigungsministerium angekündigt, in zwei Reaktoren des AKW Civaux in Zentralfrankreich Material, das Lithium enthält, anreichern zu wollen. Im Anschluss solle daraus das seltene Gas Tritium gewonnen werden, das für Kernfusion und auch Abschreckungswaffen gebraucht werde.
Wie ist die Lage in den USA und weltweit?
Derzeit sind laut IAEA weltweit 415 Atomreaktoren in Betrieb. Die USA sind nach Angaben der Lobbyorganisation WNA der weltweit größte Produzent von Kernenergie, gefolgt von China und Frankreich.
In der amerikanischen Bevölkerung ist die Unterstützung für Atomstrom gewachsen, wohl auch wegen steigender Öl- und Gaspreise. Laut Umfragen spricht sich eine Mehrheit für die Nutzung von Kernenergie aus. Nach Angaben der US-Energieinformationsbehörde EIA waren landesweit (August 2023) 94 Reaktoren im Einsatz.
China und Indien treiben derzeit den Ausbau von Kernkraftwerken am aktivsten voran.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Trotz des vollzogenen Atomausstiegs gibt es Rufe nach einem Wiedereinstieg. CDU und CSU machen sich dafür ebenso stark wie FDP und AfD. Dagegen betonen SPD und Grüne, dass die Atomkraft keine Zukunft hat und vielmehr der Ausbau der erneuerbaren Energien auch aus Kostengründen vorangetrieben werden müsse.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte im vergangenen Jahr, wer neue Atomkraftwerke fordere, verkenne die langen Bauzeiten, die hohen Kosten und eine Fertigstellung „irgendwie Ende der 30er-Jahre mit Strompreisen, die beim Doppelten bis Dreifachen dessen liegen, was wir bezahlen müssen mit den erneuerbaren Energien, die wir dann längst flächendeckend ausgebaut haben“.
Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es zudem, dass der Atomausstieg keine negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland hatte. Das Umweltministerium betonte: „Der Atomausstieg macht unser Land sicherer, die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar.“
Welche Erwartungen gibt es an die Atomkraft?
Die Internationale Energieagentur (IEA) misst der Kernkraft beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle zu. Bei der Weltklimakonferenz Ende vergangenen Jahres hatten zudem rund 20 Staaten angekündigt, zum Wohle des Klimas die Energieerzeugung aus Atomkraft hochschrauben zu wollen.
Bis zum Jahr 2050 sollten die Kapazitäten verdreifacht werden, hieß es in einer Erklärung, die unter anderem von Frankreich und den USA unterzeichnet wurde. Auch Kanada, Japan, Großbritannien und andere europäische Länder schlossen sich dem Pakt an. Dafür müsste die aktuelle Kapazität von gut 370 Gigawatt um etwa 740 GW ausgebaut werden.
Die IEA hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Gesamtleistung aller im Bau befindlichen und geplanten Reaktoren dazu bei Weitem nicht ausreicht. (dpa/red)
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