Schlächter, Schneeleopard, Kanonenfuttergeneral: Der neue Oberbefehlshaber der Ukraine hat viele Beinamen

Olexsandr Syrskyj, der neue Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs, will mehr Kraft in den Einsatz unbemannter Waffensysteme und in die elektronische Kriegsführung stecken. Präsident Selenskyj hatte „eine realistische Strategie für das Jahr 2024“ verlangt.
Rettungskräfte arbeiten am Schauplatz eines durch einen russischen Raketenangriff beschädigten Gebäudes in Charkiw.
Der erfolgreiche Kampf um die Region Charkiw im Nordosten der Ukraine brachte dem neuen Oberbefehlshaber Olexsandr Syrskyj im Sommer 2022 einigen Ruhm ein. (Archivfoto)Foto: Andrii Marienko/AP/dpa
Von 10. Februar 2024

Mit Walerij Saluschnyj (50) als ukrainischem Oberkommandeur hatte sich der Kampf um die Ostgebiete der Ukraine in den vergangenen knapp zwei Jahren zu einem zermürbenden Stellungskrieg mit hunderttausenden von Toten entwickelt – nun soll unter Generaloberst Olexsandr Syrskyj (58) alles besser werden.

Nach Informationen des Nachrichtensenders NTV will Syrskyj „den Einsatz unbemannter Waffensysteme und die elektronische Krieg[s]führung ausbauen“. Das habe der neue Oberbefehlshaber auf seinem Telegramkanal verkündet. Es handele sich um einen „Baustein für einen Sieg in dem Befreiungskampf“.

Insgesamt, so Syrskyj laut NTV, müssten die „Mittel und Methoden der Kriegsführung“ verändert und ständig verbessert werden. Dazu gehöre auch, die „Truppen an der Front mit den gelieferten ausländischen Rüstungsgütern“ „passgenau“ zu versorgen. Am wichtigsten seien aber „das Leben und die Gesundheit der Soldaten“. Es gelte deshalb ein Gleichgewicht zu finden, mit dem die „Truppen zwischen Kampfeinsätzen und Ruhe- und Ausbildungsphasen“ rotieren könnten.

Wie die „Tagesschau“ meldete, hatte Syrskyjs Vorgänger Saluschnyj nach einem „wichtigen und ernsthaften Gespräch“ mit Staatschef Selenskyj bereits am 8. Februar erklärt, dass unter Syrskyj die „Taktik und Strategie an der Front“ eine Änderung erfahren solle.

„Die Zeit für eine Erneuerung ist jetzt“

Selenskyj selbst habe über seine Kanäle in den sozialen Medien bestätigt, dass er mit Saluschnyj über Erneuerungspläne diskutiert habe, auch personeller Natur. „Die Zeit für eine Erneuerung ist jetzt“, so der Präsident. Obwohl Saluschnyjs Soldaten bewiesen hätten, „dass sie in der Lage seien, die Kontrolle über den Himmel zurückzugewinnen“, seien die „Ziele auf dem Boden im vergangenen Jahr“ nicht erreicht worden. In der Tat hatte die „Großoffensive“ zur Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete nicht zum gewünschten Erfolg geführt.

Nun, so Selenskyj, seien „eine realistische Strategie für das Jahr 2024“ und neue „Ansätze zur Mobilisierung und Rekrutierung von Soldaten“ erforderlich, zitiert die „Tagesschau“ den ukrainischen Präsidenten. Dieser habe Saluschnyj dennoch für seine Arbeit gedankt. Auf X postete Selenskyj unterdessen Fotos von der jüngsten Ehrung Saluschnyjs und anderer Soldaten als „Helden der Ukraine“.

Auch der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow habe via Facebook seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass „Neue Ansätze, neue Strategien“ im Kampf gegen die russischen Streitkräfte „nötig“ seien. Die „Schlachten der Jahre 2022, 2023 und 2024 seien ‚unterschiedliche Realitäten‘“, habe Umjerow zu bedenken gegeben.

Offener Streit zwischen Selenskyj und Saluschnyj

Über Art und Ausmaß einer erfolgreichen Strategie hatte es nach Informationen der „Tagesschau“ zuletzt unterschiedliche Positionen zwischen Selenskyj und Saluschnyj gegeben. Nachdem der Militärführer in einem Gastbeitrag für das britische Blatt „The Economist“ von einer „Pattsituation“ an der Front geschrieben und „große Waffenlieferungen und ein[en] Technologiesprung“ verlangt habe, um wieder in die „Offensive“ zu gehen, habe ihm der Präsident öffentlich widersprochen. Unterschiedlicher Meinung seien die beiden auch „in der Frage einer weiteren Mobilisierung von Soldaten“ gewesen. Nach Informationen des „Münchener Merkur“ hatte der Offizier mehr Soldaten gefordert und Selenskyj „über den US-Sender CNN indirekt ‚Unfähigkeit‘ bei diesem Schritt“ unterstellt.

Selenskyj habe deshalb bereits Ende Januar 2024 versucht, sich von seinem Oberbefehlshaber zu trennen. Doch der habe einen Rücktritt abgelehnt. Auf „Druck der USA und Großbritanniens sowie hochrangiger Militärs“ habe Selenskyj seine Personalaustauschpläne zunächst aufgeben müssen, schreibt die „Tagesschau“ unter Berufung auf „The New York Times“ (Bezahlschranke). Nun also doch die Trennung.

Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj (r), ist von seinem Posten entbunden worden.

Ein Bild aus besseren Tagen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) hat seinen Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj von seinem Posten entbunden. Für ihn rückt Olexsandr Syrskyj an die Spitzenposition der Streitkräfte. Foto: Uncredited/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Selenskyjs Stern scheint zu sinken

Nach Einschätzung von ARD-Korrespondent Vassili Golod geht es Selenskyj nicht nur um den militärischen Erfolg, sondern auch um seine eigene Reputation im Volk. Denn während seine eigenen Umfragewerte zuletzt gelitten hätten, habe Saluschnyj nach wie vor ein „sehr, sehr großes Vertrauen“ unter den Menschen genossen.

Der neue Kommandeur Syrskyj sei beim Volk und unter den Soldaten dagegen „umstritten“, besitze aber immerhin „einen kurzen und guten Draht“ zum Präsidenten. „Das heißt, mit dieser Entscheidung knüpft Selenskyj seine politische Zukunft zu hundert Prozent noch stärker an die Resultate an der Front, an die militärischen Erfolge“, sagte Golod. Dabei gefährde der Präsident „in gewisser Weise“ aber auch die „nationale Einheit der Ukraine“: Das beliebte Duo Selenskyj/Saluschnyj, das bislang für das hohe Vertrauen gesorgt habe, existiere nun nicht mehr.

Moskau gibt sich unbeeindruckt

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow reagierte laut NTV gelassen auf den Austausch des ukrainischen Militärchefs. „Wir glauben nicht, dass dies ein Faktor ist, der den Verlauf der militärischen Spezialoperation ändern wird“ habe Peskow während „seiner täglichen Pressekonferenz“ am 9. Februar erklärt.

Im Einklang mit Staatschef Wladimir Putin habe er versichert, dass Russland seine Offensive weiter fortsetzen wolle, „bis die Ziele erreicht sind“.

Syrskyj: „Schneeleopard“ oder „Kanonenfuttergeneral“?

Olexsandr Syrskyjs Expertise als Offizier hatte nach Angaben von NTV eine große Rolle bei der umjubelten Verteidigung der Landeshauptstadt Kiew im Frühjahr 2022 und bei der Rückeroberung der Region um Charkiw unweit der russischen Grenze im Sommer 2022 gespielt. Weniger Renommee habe ihm Anfang 2023 der Kampf um die bereits zerstörte Stadt Bachmut eingebracht. Dabei seien auf beiden Seiten Tausende Soldaten gefallen. Das habe Syrskyj auch „das Image eines ‚Kanonenfuttergenerals‘“ eingebracht. Das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ schreibt: „Manche nennen Syrskyj den ‚Schlächter‘, andere ‚General 200‘ in Anspielung auf das sowjetische Codewort ‚Cargo 200‘, was für den Transport von gefallenen Soldaten steht.“

Bekannt sei der Generaloberst auch dafür, seinen Soldaten „bei taktischen Fragen maximale Entscheidungsfreiheit“ zu gewähren und häufig selbst an die Front zu fahren. Seine Kenntnisse habe der gebürtige Russe in den 1980er-Jahren „an der Armee-Hochschule in Moskau“ erworben. Seinen Wohnsitz habe er schon damals auf dem Territorium der Ukraine gehabt, das seinerzeit noch zur Sowjetunion gehört hatte.

In den 2010er-Jahren habe Syrskyj jene ukrainischen Truppen befehligt, die die prorussischen „Separatisten“ in den Regionen Donezk und Luhansk bekämpft hatten. Dabei sei er auch zu seinem „Kampfnamen ‚Schneeleopard‘“ gekommen. 2019 sei Syrskyj dann zum „Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte“ befördert worden. Nachdem er die russischen Angriffe auf Kiew abgewehrt habe, sei er im „April 2022 zum ‚Held der Ukraine‘ ernannt“ worden – fast zwei Jahre vor Saluschnyj.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Saluschnyj am 8. Februar 2024 durch Syrskyj ersetzt. Saluschnyj hatte den Posten des Armeeführers nach Angaben der „Tagesschau“ „wenige Monate vor dem russischen Einmarsch“ übernommen. Auch nach seinem Austausch habe ihm Selenskyj angeboten, „weiter an der Militärführung“ beteiligt zu bleiben.

 

 

 



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