Bundeswehr trotz „Zeitenwende“ und Sondervermögens noch in beklagenswertem Zustand

Bezüglich der „Zeitenwende“ galt Boris Pistorius lange als noch konsequenter als Bundeskanzler Olaf Scholz. Union und Führungskader der Bundeswehr selbst zeigen sich dennoch unzufrieden. Vor allem fühlen sie sich von der Bevölkerung im Stich gelassen.
Titelbild
Bundeswehrsoldat (Archiv).Foto: Über dts Nachrichtenagentur
Von 26. Dezember 2023

Mit großen Vorschusslorbeeren war Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius nach der Entlassung seiner Amtsvorgängerin Christine Lambrecht im Januar 2023 in sein Amt gestartet. Umfragen weisen ihn auch als populärsten Politiker des Landes aus, was an seiner Entschlossenheit zur „Zeitenwende“ liegen dürfte, die auch in der Union gut ankommt. Dennoch mehren sich zunehmend Stimmen, die sich kritisch über den Zustand der Bundeswehr knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt äußern.

Pistorius übernahm Bundeswehr in prekärem Zustand

Im „Focus“ melden sich einige davon zu Wort, und die Gründe für ihre Kritik sind höchst unterschiedlicher Natur. Oberst a. D. Ralph Thiele, der auch der Politisch-Militärischen Gesellschaft vorsteht, vermisst den „großen Wurf in praktisch allen Feldern“. Zwar habe sich die politische Führung der Truppe durch den neuen Minister verbessert.

Er zeichne sich durch „klare und verlässliche Worte und Taten aus“. Die Bundeswehr habe durch ihn in der Öffentlichkeit ebenso wie international an Ansehen gewonnen. Allerdings habe Deutschland auch mit Pistorius noch keine „Zeitenwende“ vollzogen. Was Waffensysteme und Munition anbelangt, stehe die Truppe – Sondervermögen hin oder her – noch schlechter da als vor Beginn der russischen Militäroperation:

Zu Beginn des Angriffs war sie blank. Heute ist sie blanker.“

Dafür sei allerdings nicht in erster Linie Pistorius verantwortlich. Die Bundeswehr habe sich bereits zuvor in einem unzureichenden Zustand befunden. Die Verteidigungsfähigkeit sei weiter rückläufig. Würde Deutschland oder ein NATO-Land angegriffen, reichte die Ausrüstung nicht lange aus:

Früher waren das drei Tage. Heute sind es eher Stunden.“

Deutlicher Rückstand der Bundeswehr bei modernen Technologien

Ein einfacher Ausweg sei dabei nicht in Sicht, äußert Thiele. Mit Blick auf Geburtenraten und etablierte Verfahren der Personalgewinnung sei die angestrebte Personalplanung unrealistisch. Zu der Frage, ob die auch von Pistorius ins Spiel gebrachte Wiedereinführung der Wehrpflicht daran etwas ändern werde, äußerte er sich nicht explizit.

Bereits im Vorfeld ihrer Abschaffung hatte es ein zunehmendes Problem mit der Wehrgerechtigkeit gegeben: Tatsächlich wurde nur ein Bruchteil der auf dem Papier Wehrpflichtigen überhaupt noch eingezogen.

Thiele sieht aber auch Probleme bezüglich des Umgangs der Bundeswehr mit neuen Technologien. Mit Blick auf KI, Drohnen, Cyberfähigkeiten oder Satelliten sei die Truppe „blank oder die Fähigkeiten kommen Dekaden zu spät“. Weit hinter dem gewünschten Zustand blieben auch die Organisation im Ministerium, das Ausrüstungs- und das Beschaffungswesen zurück.

Immerhin, so Thiele, spreche ein „exzellentes Teamwork mit dem Kanzler und dem Generalinspekteur“ dafür, dass Pistorius der Situation begegnen könne. „Das gab es selten in der Geschichte der Bundeswehr.“

Masala klagt: Gesellschaft glaubt nicht an „imperiales Russland“

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Hellmich, sieht hingegen deutliche Fortschritte. Er verweist auf Maßnahmen zur Beschleunigung der Materialbeschaffung, eine neue Struktur im Bundesverteidigungsministerium oder veränderte verteidigungspolitische Richtlinien.

„Moderate Reformen“ im Beschaffungsprozess und mehr ambitionierte Anschaffungen bescheinigt auch Carlo Masala dem Minister. Der Professor an der Universität der Bundeswehr bescheinigt Pistorius auch eine „klare Sprache“ und einen „Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen“.

Dennoch beklagt Masala, dass es „keine Zeitenwende gegeben“ habe. Deren Voraussetzung sei das „öffentliche Bewusstsein, dass wir es mit einem imperialen Russland zu tun haben, das in der Ukraine möglicherweise nicht das Ende seiner Ambitionen sieht“.

Es fehle „am Mindset, am Bewusstsein, dass unsere demokratische Staatsform bedroht ist und mit militärischen und nicht-militärischen Mitteln verteidigt werden muss“. Um die „Zeitenwende“ tatsächlich umsetzen zu können, reiche Pistorius nicht aus. Es müsse „auch die Gesellschaft mitspielen“.



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