Augenzeugenberichte: Die Dunkelziffer der Infizierten in China liegt im Verborgenen

Verschleierte Zahlen, verschleppte Diagnosen. Betroffene Patienten, überforderte Ärzte und verzweifelte Sozialarbeiter berichten über die Zustände in China.
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Dieses Foto, das am 30. Januar 2020 aufgenommen wurde, zeigt einen Arzt, der sich ein Lungen-CT-Bild eines Patienten in einem Krankenhaus in Wuhan ansieht.Foto: STR/AFP über Getty Images
Von 5. Februar 2020

Zu Hunderten stehen sie in den Warteschlangen vor den Krankenhäusern. Andere leiden still zu Hause. Ärztliche Behandlung: Fehlanzeige. Soziale Absicherung oder eine Krankenversicherung, die Behandlungskosten übernimmt – davon können die Chinesen nur träumen. In China ticken die Uhren in der Gesundheitsvorsorge anders. Dort müssen die Menschen für medizinische Behandlungen selbst zahlen oder unbehandelt leiden.

Anders als bei anderen Erkrankungen zahlt allerdings die Regierung die Behandlungskosten für die Fälle, in denen sich ein Coronaverdacht bestätigt hat. Der Andrang in den Krankenhäusern ist groß. Stundenlanges Warten zerrt an den Kräften der Menschen, die sich auf das Coronavirus testen lassen wollen. Ihre Angst, dass sie ihre Familie, ihre Ehepartner, Kinder oder andere Verwandte anstecken könnten, ist immens.

Das chinesische Gesundheitsministerium hat am 19. Januar 2020 die untersten Behörden darüber informiert, dass die Tests zur Erkennung des Coronavirus verteilt wurden. Auf Provinz- und Stadtebene sollten die Tests demnach verstärkt eingesetzt werden. Ein Stadtkrankenhaus der am schlimmsten vom Virus betroffenen Provinz Hubei erhielt die Tests erstmalig am 22. Januar geliefert. Es waren „viel zu wenige Tests, das reicht nicht mal für zehn Prozent des Bedarfs“, berichtete ein Krankenhausmitarbeiter.

Über 1,3 Milliarden Menschen leben in China. Im ganzen Land gibt es drei Unternehmen, welche die Coronavirustests offiziell herstellen dürfen und dafür zertifiziert sind. Am 23. Januar hat sich das chinesische Magazin „Portrait“ über die Produktion erkundigt. Die Shanghai Huirui Biotechnology Co. Limited berichtete, dass das Unternehmen „Vollgas“ gäbe und die Test-Herstellung rund um die Uhr läuft. Bis zum 23. Januar hatte die Firma 50.000 bis 60.000 Tests auf den Markt gebracht. Die Firma „Geneodx“ hatte bis zum 16. Januar 75.000 Test geliefert. Von der Produktion des dritten zertifizierten Unternehmens, der Firma Shanghai BioGerm Medical Biotechnology Co. Limited liegen keinerlei Angaben vor.

Anzahl der Infizierten von der Regierung über Diagnose-Sets gesteuert

Anders als in Deutschland können die Tests auf den Coronavirus in China nicht ohne Weiteres durchgeführt werden. Ein Insider sagte der chinesischsprachigen Epoch Times am 24. Januar, dass das chinesische Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) die Zahl der bestätigten Fälle manipuliert habe, indem sie die Zahl der den Krankenhäusern zur Verfügung stehenden Diagnose-Sets kontrollierte.

Der Insider, der bei einer Organisation arbeitet, die für die Ausgabe solcher Diagnose-Sets lizenziert ist, sagte, dass nur bestimmte „qualifizierte Krankenhäuser“ diese erhalten könnten. Die verfügbare Anzahl der Sets betrage weniger als zehn Prozent des Notwendigen. Er sagt:

Das erklärt, warum China plötzlich mehr als hundert neu bestätigte Fälle in ein paar Tagen meldete. Sie manipulieren die Bilanz. Die tatsächliche Zahl der Patienten ist weitaus höher.“

Zhongyuan Huadian Tech, ein Unternehmen aus Wuhan, schickte am 22. Januar einen offenen Brief an die Regierung von Wuhan, in dem es hieß, das Tongji-Krankenhaus weigere sich, seinen Mitarbeiter Zhang Xin und seinen Vater zu behandeln. Das Unternehmen zitierte die Antwort des Krankenhauses: „Wir haben kein Diagnose-Set, und wir nehmen keine Patienten auf, die nicht durch eine Diagnose bestätigt sind.“

Am 22. Januar in Ostchina, über 800 Kilometer von der Provinz Hubei entfernt, trat der erste bestätigte Fall in der Provinz Jiangsu auf. Der 37-Jährige war bereits am 10. Januar in Quarantäne genommen und eine Probe ins Labor geschickt worden. Anstatt ein Ergebnis bekannt zu geben, würde die Probe zur Prüfung nach Peking geschickt. Erst am 22. Januar wurde das positive Ergebnis mitgeteilt.

Eine Patientin Anfang 20 litt am 21. Januar unter Fieber, berichtete das chinesische Magazin „Porträt“. Sie ging zu einem auf Lungenkrankheiten spezialisierten Krankenhaus in Wuhan. Für verschiedene Untersuchungen, Bluttest, Computertomografie und einen Coronavirus-Vortest betrugen die Kosten über 200 Euro. Diese muss die Patientin selbst übernehmen.

Der Arzt sagte, dass die Patientin sich „sehr wahrscheinlich“ am Coronavirus angesteckt habe. Ein Test konnte jedoch nicht durchgeführt werden: Die Diagnose-Sets waren nicht vorrätig. Ein Test würde nur veranlasst werden, wenn sie stationär im Krankenhaus behandelt würde oder ein schwerer Verdachtsfall sei. Die Patientin wurde nach Hause geschickt und darauf hingewiesen, dass sie sich in den nächsten Tagen erneut im Krankenhaus vorstellen könnte. Zur Linderung der Symptome wurden ihr Medikamente verschrieben.

Noch immer gibt es unzählige Menschen, die sich auf den Coronavirus testen lassen wollen. Erfolglos warten sie stundenlang im Krankenhaus. Menschen, die zu Hause sterben und nicht auf das Coronavirus getestet wurden, zählen weder als Infizierte noch als am Coronavirus verstorbene.

Ärzte werden im Stich gelassen

Inzwischen sind auch immer mehr Ärzte durch das Virus infiziert. Doch die Position eines Arztes bedeutet nicht, dass diesem die vollumfängliche Behandlung eines am Coronavirus Erkrankten zukommt, wie folgender Fall zeigt:

Am 23. Januar sprach der Arzt Wei mit der Chinesischen Epoch Times. Er berichtete, dass die Coronafälle in den großen Krankenhäusern der Stadt behandelt würden. Dort seien spezielle „Fieberabteilung“ eingerichtet worden. Wenn man in solcher Abteilung behandelt werden will, muss man sich jedoch zunächst im kommunalen Krankenhaus behandeln lassen. Erst wenn dieses einen Verdachtsfall bestätigt, darf man das städtische Krankenhaus aufsuchen. Dort wird der Fall erneut geprüft. Da die Stationen komplett überfüllt sind, werden die Patienten häufig nur nach Hause geschickt.

Anfangs wurde auch den Ärzten nicht gesagt, wie gefährlich das Virus ist und wie es sich verbreitet. So haben die Ärzte die Patienten ohne Schutzbekleidung – ohne Mund-Nasen-Schutz und ohne Handschuhe behandelt, zwei Monate lang. Inzwischen sind zehn Prozent der Ärzte seines Krankenhauses erkrankt. Von den 50 Ärzten sind fünf betroffen. Auch Wei gehört dazu. Er klagte über eine Lungenentzündung und Schmerzen in der Brust und wurde schlichtweg nach Hause geschickt.

Ähnliches wurde aus dem Wuhan Xiehe Krankenhaus berichtet. Eine Mitarbeiterin hatte sich an die Chinesische Epoch Times gewandt. Die Krankenschwester kritisierte, dass das Personal sein Leben aufs Spiel setzen würde. Erkrankte Mitarbeiter müssen sich selbst zu Hause isolieren. Außerdem darf keiner vom Pflegepersonal seinen Arbeitsvertrag kündigen oder die Provinz verlassen.

Erkranktes Personal laufe unter der Kategorie „Verdachtsfälle“. Sobald man die Krankheit feststellen würde, müsste die Stadt die Kosten übernehmen. Und das versuche die Regierung zu vermeiden. In ihrem Brief an die chinesische Epoch Times heißt es:

Man kann nur durch eigene Abwehrkräfte überleben. Das Schicksal liegt in den Händen des Himmels.“

Hilferuf einer Wohnviertelleiterin

Ye Wei ist Leiterin des Wohnviertel Fangyingtai im Bezirk Shuiguohu in Wuhan. Sie kümmert sich um die sozialen Belange des Wohnviertels, berichtete die chinesische Epoch Times. Nachdem die Lungenseuche ausgebrochen war, musste sie 24 Stunden verfügbar sein und sich um die Krankenfälle kümmern, die zu Hause unter Quarantäne standen. Ohne Schutz stand sie den Schwerkranken täglich zur Seite. Sie musste diese mit Lebensmitteln verpflegen.

Eine ältere Dame war am Vorabend gestorben und drei ihrer Angehörigen hätten noch immer hohes Fieber. Deswegen hatte sie auch um Unterstützung dieses „großen Sozialfalls“ gebeten. „Aber von oben will keiner sich darum kümmern. Die Verantwortung wurde wieder nach unten geschoben. Ich bin äußerst enttäuscht“, sagte sie.

Ye und ihre Kollegen stehen an vorderster Front. Teilweise getrauen sich die Sozialarbeiter  nicht mehr nach Hause. Sie haben Angst, dass sie den Virus an ihre Familie übertragen könnten. Die Sozialarbeiterin fordert die Vorgesetzten auf, Verstärkung in ihr Wohnviertel zu schicken, „um diese Fälle zu behandeln und die Sozialarbeiter zu trösten.“ Es ist nicht bekannt, um wie viele Einwohner sich Ye mit ihrem Team kümmern muss. Jetzt ist sie selbst infiziert.

Selbstmord-Augenzeuge berichtet

Über einen besonders dramatischen Fall berichtete ebenfalls die chinesische Epoch Times. Einem infizierten Familienvater schwanden die Kräfte. Eine Behandlung im Krankenhaus war nicht möglich. Dort gab es kein freies Bett. Um seine Familie von dem hochansteckenden Virus zu verschonen, hatte sich der Mann eine Wohnung angemietet. Aber der Weg zum Arzt war weit. Und ein Bus fuhr nicht.

Mit seinen Kräften schwand auch die Hoffnung. Unter Tränen erzählte er in seinen letzten Minuten, dass er nicht einmal etwas zu essen habe. Es wäre besser zu sterben. Mit diesen Worten sprang er am 1. Februar 2020 um 17.30 Uhr von einer Autobrücke im Zentrum Wuhan in den Tod, berichtete ein Augenzeuge.

Screenshot Augenzeugenbericht

Späte Reue der Kommunistischen Partei

Der Chef der Kommunistischen Partei in Wuhan hat inzwischen Versäumnisse bei der ersten Reaktion auf den Coronavirus-Ausbruch in China eingeräumt. Er empfinde „Schuld, Reue“ und mache sich selbst Vorwürfe, sagte Ma Guoqiang im staatlichen Fernsehsender CCTV. Hätte es zu Beginn des Virus-Ausbruchs „strengere Kontrollmaßnahmen“ gegeben, wäre die Epidemie möglicherweise glimpflicher verlaufen, fügte Ma hinzu.

Angesichts der rasanten Ausbreitung des Coronavirus hatte die Kritik an der Regierung in Wuhan zuletzt zugenommen. Nutzer von Online-Netzwerken warfen den Behörden vor, Informationen zu dem Virus viel zu lange zurückgehalten zu haben.

Auf der Pressekonferenz sagte Ma weiter, die Zentralregierung habe dem CDC Hubei (Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention) die Diagnose der Krankheit erst am 16. Januar erlaubt. Zuvor mussten die Proben der Patienten nach Peking geschickt werden.

Wuhans Bürgermeister Zhou Xianwang äußerte sich bereits am 24. Januar im chinesischen Staatsfernsehen ähnlich. Er habe keine Erlaubnis der Kommunistischen Partei bekommen, Informationen über den Virus Publik zu machen. Die nationalen Vorschriften hätten alles verlangsamt.

(mit Material von afp)



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