Rückführungspaket soll mehr Abschiebungen ermöglichen – laut Entwurf 12.600 statt 12.000

Die Bundesregierung hat eine Offensive zur Abschiebung abgelehnter ausreisepflichtiger Asylbewerber angekündigt. Das Rückführungspaket soll das Vorgehen erleichtern. Kritiker warnen vor zu hohen Erwartungen.
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Innenministerin Nancy Faeser im September 2023 in Berlin.Foto: Maja Hitij/Getty Images
Von 29. Oktober 2023

Das Rückführungspaket, das Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte des Monats angekündigt hat, soll eine Trendwende bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Asylbewerber markieren. Am Mittwoch, 25. Oktober, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Einigung des Ampelkabinetts auf ein „Rückführungsverbesserungsgesetz“ verkündet.

Das „Bündel restriktiver Maßnahmen“, das darin enthalten sei, werde „schnellere und mehr Rückführungen“ bewirken. Wer kein Bleiberecht habe, müsse das Land verlassen, so die Ministerin.

Zwei von drei geplanten Abschiebungen scheitern

Bereits im ersten Halbjahr des Jahres war die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland um mehr als ein Viertel gestiegen. Dies geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. Die „Zeit“ hatte berichtet. In Zahlen ausgedrückt handelte es sich um 7.861 Menschen, davon 1.664 Frauen und 1.375 Minderjährige.

In der Praxis sollen jedoch zwei von drei geplanten Abschiebungen scheitern. So konnten im Vorjahr „insgesamt 23.337 Abschiebungsmaßnahmen nicht vollstreckt“ werden. In fast 7.000 Fällen scheiterte eine Übergabe an die Bundespolizei an der fehlenden Greifbarkeit. In 520 Fällen seien Widerstand durch die Betroffenen oder eine Weigerung von Piloten, Fluggesellschaften oder der Bundespolizei der Grund gewesen. In den meisten gelungenen Fällen erfolgte eine Rückführung in Herkunftsländer wie Georgien, Nordmazedonien, Moldawien und Serbien.

Insgesamt wurden Angaben der Bundesregierung zufolge in Deutschland im Vorjahr 12.945 Abschiebungen vollzogen. Dazu kamen im ersten Halbjahr 2.186 Fälle, in denen Personen nach dem Versuch, irregulär über die Grenze zu gelangen, direkt zurückgeschickt worden seien. In Österreich war die Rede von etwa 15.000 sogenannten Pushbacks durch deutsche Grenzschützer über das gesamte Jahr 2022.

Zusätzlich sollen 4.892 Menschen aufgrund von Bundesförderprogrammen in ihre Heimatländer zurückgekehrt sein. Weitere 2.309 Personen sollen dazu Gelder von Ländern und Kommunen in Anspruch genommen haben.

Relativ wenige Abschiebungen gemessen an der Zahl der Ausreisepflichtigen

Verglichen mit der Zahl der ausreisepflichtigen Personen insgesamt bleibt die Zahl der Abschiebungen jedoch gering. Ende Juni soll es sich dem Bundesinnenministerium zufolge um 279.098 Betroffene gehandelt haben. Von diesen sollen 224.768 Menschen einen Duldungsbescheid besitzen.

Insgesamt ist die Zahl in Deutschland lebender ausreisepflichtiger Personen erstmals seit Jahren rückläufig. Um abgelehnte Asylbewerber handelt es sich in etwa zwei Drittel der Fälle. Dem Ausländerzentralregister zufolge lebten Ende August 2023 noch 155.448 Menschen trotz eines abgelehnten Asylantrages in Deutschland. Zum Ende des Vorjahres waren es 167.848.

In den übrigen Fällen entstand die Ausreisepflicht durch andere Gründe – etwa das Ablaufen eines Visums oder einer Aufenthaltserlaubnis. Auch diese Zahlen hatte die Bundesregierung der Linksfraktion auf eine Anfrage hin genannt.

Zahl irregulärer Einreisen nähert sich Niveau von 2016

Unterdessen waren der Bundespolizei zufolge allein bis Ende September in diesem Jahr 92.119 Personen irregulär nach Deutschland eingereist. Im gesamten Jahr 2022 waren es 91.986 Personen. Allein im September 2023 waren mit 21.366 Flüchtlingen etwa doppelt so viele wie im Juli des Jahres (10.714) über die Grenze gekommen. Sowohl der Jahreswert als auch jener für den Monat September stellen Zahlen dar, die sich auf bisherige Höchstwerte des Jahres 2016 zubewegen.

Um, wie Kanzler Scholz angekündigt hatte, „endlich im großen Stil abschieben“ zu können, soll nun das Rückführungspaket greifen. Dieses enthält mehrere Bestimmungen, die vor allem das Aufgreifen, das Festhalten und die Identitätsfeststellung Ausreisepflichtiger erleichtern sollen.

Die Verlängerung der maximalen Dauer des sogenannten Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage soll die Vorbereitung der Abschiebung erleichtern. Verstöße gegen Einreise- oder Aufenthaltsverbote sollen künftig als Haftgründe ausreichen.

Stärkere Eingriffsrechte in die Privatsphäre

Das Rückführungspaket soll zudem die Betretungsrechte innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften erweitern – bis dato waren diese auf bestimmte Räumlichkeiten beschränkt. Die Durchsuchung von Wohnungen nach Dokumenten und Datenträgern soll helfen, Identitäten festzustellen. Ein Großteil der Duldungen erfolgt derzeit, weil sich diese entweder nicht feststellen lassen oder mutmaßliche Herkunftsländer diese nicht bestätigen wollen.

Ein weiteres Element des Gesetzespakets ist der Wegfall der Ankündigungspflicht von Abschiebungen in mehreren Konstellationen. Dazu kommen erleichterte Voraussetzungen zur Aufenthaltsbeendigung bei Schleusern und Mitgliedern krimineller Vereinigungen.

In solchen Fällen ist das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung nicht mehr zwingend erforderlich. Im Regelfall soll die erleichterte Abschiebung für Personen gelten, die zu einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurden.

Vulnerable Gruppen von verschärften Regelungen ausgenommen

Ob es wie angekündigt zu einem deutlichen Anstieg der Abschiebungen kommen wird, bleibt dennoch ungewiss. Ein Grund dafür ist die Liste der Ausnahmebestimmungen, über welche die „Welt“ berichtet. Solche gelten für Menschen aus besonders vulnerablen Gruppen wie Familien mit Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen oder Schwangeren.

Genannt werden auch Behinderte, psychisch Erkrankte, Opfer von Folter, Menschenhandel oder physischer Gewalt – aber auch Personen, die „aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität geflohen sind“. Diese Umstände könnten eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen bewirken.

Außerdem wird es de facto schwierig werden, Personen abzuschieben, deren Identität sich nicht feststellen lässt – erst recht, wenn es keine Bereitschaft des mutmaßlichen Herkunftslandes zur Rücknahme gibt. In vielen Fällen fehlt es bereits am grundsätzlichen Rücknahmeabkommen.

Referentenentwurf rechnet mit fünf Prozent mehr Ausweisungen

Ein Duldungsbescheid bescheinigt dem Betroffenen, dass er zwar ausreisepflichtig wäre, aber derzeit nicht abgeschoben werden könne. Er bleibe weiter zur Ausreise aufgefordert – und die Flugkosten oder weitere Hilfen dafür könnte er beantragen. Allerdings bleibe diese freiwillig. Bisher machten nur wenige von der Option Gebrauch.

Die Linksfraktion erklärte jüngst, dass die Zahl der potenziell Abschiebungsfähigen, bei denen kein Hindernis vorliege, bei maximal 20.000 Personen liege. Nur so viele ausreisepflichtige Asylsuchende verfügten über keinen Duldungsbescheid.

Noch vorsichtiger ist man im Bundesinnenministerium selbst. Im Referentenentwurf heißt es im Abschnitt zur Veränderung des jährlichen Erfüllungsaufwands der Länder bezüglich der Prüfung der Ausweisung:

„Im Mittel wurden in den Jahren 2021 und 2022 pro Jahr rund 12.000 Abschiebungen vollzogen (vgl. Bundestagsdrucksache 20/1225 und 20/3614). Wie viele Abschiebungen aufgrund der Rechtsänderungen zusätzlich vollzogen werden, ist schwer abschätzbar. Es wird angenommen, dass durch die Verschärfung der Ausreispflicht die Anzahl der Abschiebungen um rund 600 (fünf Prozent) steigen wird.“

GdP: Für „Abschiebungen im großen Stil“ fehlt das Personal

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat zudem darauf aufmerksam gemacht, dass „Abschiebungen im großen Stil“ auch eine angemessene Personalstärke bei den Sicherheitsbehörden voraussetzten. Jochen Kopelke, der Bundesvorsitzende der GdP, erklärte: „Wir steuern bei der bloßen Ausgestaltung der Gesetzgebung auf eine unfassbare Belastung für die Polizei zu.“

Für die Umsetzung des Rückführungspakets fehlten mehr als 300 Polizisten. „Sollte es mehr Abschiebungen geben, brauchen wir mindestens diese Zahl an zusätzlichen Kräften“, so Kopelke.

Die höchste Zahl an Abschiebungen aus Deutschland gab es 1994, als 53.043 Aufenthalte beendet wurden. Bis 2000 blieb die jährliche Zahl in einer Größenordnung von etwa 35.000. Anschließend sank sie auf unter 10.000 in den späten 2000er-Jahren.

Leicht über 10.000 liegt sie seither – mit Ausnahme der Jahre der Flüchtlingskrise. So wurden 2015 insgesamt 21.000 und im Jahr darauf 25.000 Abschiebungen vollstreckt. Seit 2023 gibt es zudem das Chancen-Aufenthaltsrecht, das Ausreisepflichtigen unter bestimmten Umständen den Weg zur Integration in den Arbeitsmarkt ermöglicht.



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