Zwischen Ängsten und Realismus: So steht es um die Willkommenskultur in Deutschland

Einer aktuellen Bertelsmann-Studie zur „Willkommenskultur in Krisenzeiten“ zufolge schwanken die Haltungen der Bevölkerung zur Migration zwischen Ängsten und Realismus. Bezüglich der Fluchtmigration sehen mehr Befragte eine „Belastungsgrenze“ erreicht.
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Einer aktuellen Bertelsmann-Studie zufolge ist die Willkommenskultur gegenüber Arbeitsmigranten in Deutschland intakt. Anders ist die Entwicklung bei der Fluchtmigration. Symbolbild.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 6. März 2024

Es gibt in Deutschland trotz tiefgreifender Krisen nach wie vor eine intakte Willkommenskultur für Zuwanderer. Dies ist das Fazit der Bertelsmann-Stiftung zu den Ergebnissen ihrer jüngst vorgelegten Studie zu diesem Thema. Allerdings ist die Haltung der Bevölkerung gegenüber der Fluchtmigration deutlich reservierter geworden. 60 Prozent der Befragten sehen Deutschland bezüglich der Aufnahmekapazitäten Geflüchteter „an der Belastungsgrenze“. Das ist eine signifikante Zunahme gegenüber lediglich 36 Prozent, die dies im Corona-Jahr 2021 so sahen.

Willkommenskultur bleibt Mehrheit ein Anliegen – nur nicht gegenüber jeder Migration

Das Meinungsforschungsinstitut Verian hat für die Studie „Willkommenskultur in Krisenzeiten“ zwischen dem 18. und 25. Oktober 2023 Erhebungen durchgeführt. Dafür hat man deutschlandweit insgesamt 2.005 Menschen ab 14 Jahren repräsentativ befragt. Die Ergebnisse bestätigen in der Tendenz, was auch andere im Vorjahr vorgestellte Studien erkennen ließen.

Bezüglich der Arbeits- und Bildungsmigration haben stabile 78 Prozent den Eindruck, es gebe diesen gegenüber ungebrochen eine intakte Willkommenskultur vonseiten der Kommunen. In der Bevölkerung vor Ort nehmen 73 Prozent der Befragten eine positive Einstellung gegenüber dieser Form von Zuwanderung wahr.

Demgegenüber hat sich die Wahrnehmung von Fluchtmigration nach Einschätzung der Studienteilnehmer deutlich zum Negativen entwickelt. Waren 2017 noch 73 Prozent der Auffassung, die Kommunen hießen Asylsuchende willkommen, trifft dies mittlerweile nur noch auf 67 Prozent zu.

Was die Wahrnehmung in der Bevölkerung vor Ort selbst anbelangt, sind nur noch 53 Prozent der Auffassung, diese sei positiv. Sechs Jahre zuvor waren es noch 59 Prozent. Demgegenüber hat sich die Einschätzung, Asylsuchende seien in der Bevölkerung unwillkommen, von 34 auf 41 Prozent erhöht.

Nur noch 35 Prozent für offene Flüchtlingspolitik

Deutliche Unterschiede gibt es diesbezüglich zwischen West- und Ostdeutschland: Während in den alten Bundesländern 56 Prozent eine intakte Willkommenskultur auch für Asylsuchende erkennen wollen, sind es im Osten nur 37 Prozent. Eine gegenteilige Wahrnehmung bringen im Westen 39 und im Osten 49 Prozent zum Ausdruck.

Vor allem die Einschätzung, wonach Deutschland nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen könne, weil es eine „Belastungsgrenze“ erreicht habe, ist im Osten stark gestiegen. Im Jahr 2017 waren mit 51 Prozent sogar weniger Ostdeutsche als Westdeutsche (55 Prozent) dieser Auffassung gewesen. Mittlerweile sind es – nach einem Rückgang der Anteile in der Zeit der Corona-Krise – 58 Prozent im Westen und 72 Prozent in den neuen Bundesländern.

Mit 87 Prozent ist unter den Befragten ein sehr weitreichender Konsens darüber zu beobachten, dass der Staat Hindernisse zur Arbeitsaufnahme für Geflüchtete aus dem Weg räumen sollte. Zudem befürworten 75 Prozent eine Verteilung in der EU angekommener Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten. Dabei sollten Größe und Wirtschaftskraft die entscheidenden Kriterien sein.

Dass Deutschland aus humanitären Gründen mehr Asylsuchende aufnehmen sollte, äußern nur 35 Prozent. Zudem sagen 27 Prozent, es bedürfe keiner Integrationsbemühungen, da Flüchtlinge nur „Gäste auf Zeit“ seien.

Ambivalenz zwischen Willkommenskultur und Problemwahrnehmung

In Summe ist die Haltung der Befragten zur Zuwanderung insgesamt ambivalent. Man ist sich einerseits der demografischen Lage, der Überalterung und des Fachkräftemangels bewusst, und auf eine ethnisch und kulturell homogene Gesellschaft legen nur wenige Befragte wert. Andererseits sehen die Befragten auch, dass nicht jede Form von Zuwanderung in gleicher Weise reibungslos abläuft.

Tendenziell sind die positiven Einschätzungen rückläufig und die negativen überwiegen. Dass Zuwanderung für die Ansiedlung internationaler Unternehmen wichtig sei, sagen 63 Prozent der Befragten (2017: 71). Zuwanderung hemme die Überalterung, sagen 62 Prozent (2017: 63). Weitere 61 Prozent sagen, Zuwanderung mache „das Leben in Deutschland interessanter“ (2017: 69).

Relativ illusionslos geben sich die Befragten mit Blick auf den Fachkräftemangel. Dass Zuwanderung diesen ausgleichen werde, denken nur 47 Prozent (2017: 52). Noch weniger erwartet man sich bezüglich der Rentenkasse. Hier gehen nur 38 Prozent gegenüber 45 im Jahr 2017 davon aus, dass Zuwanderung diese entlasten werde.

Wahrnehmung von Problemen höher – Schüler sehen Situation entspannter

Demgegenüber sehen 78 Prozent der Befragten durch die Zuwanderung bedingte Mehrbelastungen für den Sozialstaat (2017: 64). Von verstärkter Wohnungsnot in den Ballungsräumen gehen 74 Prozent aus (2017: 47 Prozent). Mehr Konflikte zwischen Einwanderern und Einheimischen befürchten 73 Prozent (2017: 64). Weitere 71 Prozent sorgen sich wegen möglicher Probleme in den Schulen (2017: 64 Prozent).

Bei formal höher Gebildeten ist die Problemwahrnehmung in Bezug auf die Zuwanderung deutlich geringer ausgeprägt als bei Absolventen von Volks- oder Hauptschulen. Dabei dürfte eine Rolle spielen, dass vor allem die Fluchtzuwanderung und ihre Folgen im Lebensumfeld in unterschiedlichem Maß wahrnehmbar sind.

Allerdings ist es überraschend, dass unter Schülern selbst lediglich 34 Prozent besondere Probleme im schulischen Umfeld wahrnehmen, die durch Zuwanderung bedingt wären. Generell gehen jüngere Befragte mit dem Phänomen von Migration insgesamt entspannter um.

Jüngere Befragte sehen zu geringe Wertschätzung der Leistungen von Einwanderern

Befragte bis 29 Jahre sind zudem deutlich häufiger als der Durchschnitt aller Befragten der Auffassung, dass die Leistungen von Einwanderern insgesamt zu wenig Wertschätzung erfahren. Insgesamt 64 Prozent der jüngeren Befragten äußern, dass diese eher gering oder gar nicht vorhanden sei.

Insgesamt halten sich die diesbezüglichen Einschätzungen hingegen die Waage (47 Prozent: Wertschätzung vorhanden; 46 Prozent: nicht vorhanden). Ein ähnliches Bild hatte sich schon 2012 im Nachgang der Sarrazin-Debatte gezeigt. In den Jahren 2019 und 2021 äußerte von allen Befragten eine knappe Mehrheit, dass Leistungen von Einwanderern zu wenig gewürdigt würden.

Als das wesentlichste Hindernis für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern nennen 81 Prozent mangelnde Sprachkenntnisse. Dass dieser Anteil seit 2011 (93 Prozent) deutlich gesunken ist, deutet darauf hin, dass in vielen Unternehmen bei Bedarf auf Englisch kommuniziert wird.

Verhältnis von Erwerbs- zu Asylmigration in Deutschland deutlich im Ungleichgewicht

Eine mangelnde Chancengleichheit von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt nehmen 58 Prozent wahr. Auch hier ist die Tendenz rückläufig. Von allen Befragten sehen 55 Prozent eine Diskriminierung von Zuwanderern aufgrund ihrer Herkunft als Hemmnis. Dieser Anteil liegt etwas unter jenem im Jahr 2011 (56 Prozent). In den Jahren dazwischen waren die Anteile höher.

Insgesamt hatte die Erwerbsmigration 2022 mit 71.046 Personen einen Höchststand erreicht. Dabei waren Einwanderer vor allem aus Indien und vom Westbalkan nach Deutschland gekommen. Die Gesamtzahl der Asylanträge betrug zum Vergleich im Vorjahr laut Statistischem Bundesamt 351.915. In Deutschland dominiert entsprechend jene Form der Zuwanderung, die in der Bevölkerung als die stärker problembehaftete wahrgenommen wird.



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