„Ich versteh’s nicht“: Baerbock lehnt Verhandlungsvorschlag des Papstes strikt ab

Papst Franziskus I. hat der Ukraine empfohlen, den Mut zum „Hissen der weißen Fahne“ aufzubringen, bevor die Lage im Kriegsgebiet „noch schlimmer“ werde. Damit zog sich der Pontifex maximus den Unmut der ukrainischen Unterstützer zu. Auch Außenministerin Annalena Baerbock kann Franziskus nicht folgen.
Außenministerin Annalena Baerbock reist für zwei Tage nach Israel.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lehnt den Wunsch des Papstes ab, nach dem die Ukraine den Verhandlungsweg mit Russland beschreiten sollte.Foto: Fabian Sommer/dpa
Von 11. März 2024

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich gegen den Appell von Papst Franziskus an die Ukraine gestellt, sich für den Verhandlungsweg mit Russland zu öffnen. Am Sonntagabend, 10. März 2024, sagte Baerbock in der ARD-Talksendung „Caren Miosga“:

Ich versteh’s nicht. Also, ich verstehe es wirklich nicht in diesen Zeiten. Manchmal wünsch’ ich mir, man würde mit denjenigen vielleicht zusammen einmal in die Ukraine fahren.“

Baerbock verwies auf ihre eigenen Erfahrungen aus ihren bislang sechs Besuchen in der Ukraine. Sie habe gesehen, „wie ein Kindergarten angegriffen“ worden sei und habe mit Frauen gesprochen, die sich nicht sicher fühlten. Auch mit verschleppten Kindern aus der Ostukraine habe sie sich ausgetauscht. Das Internationale Ko­mi­tee des Roten Kreuzes, unterschiedliche NGOs und Länder, darunter Südafrika, hätten sich um die Befreiung der Kinder bemüht. „Und da frage ich mich: Wo ist da der Papst? Der Papst muss davon wissen.“ (Video auf „DasErste.de“)

„Mut haben, an der Seite der Kinder der Ukraine zu stehen“

Wenn der Papst sage, dass man Mut haben müsse, um zu sprechen, sei es „wahrer Mut“, den die verschleppten Kinder der Ukraine aufbrächten, „das zu überleben“. „Und wir müssen jetzt den Mut haben, an der Seite dieser Kinder, der Menschen der Ukraine zu stehen, alles für die Ukraine zu tun, dass sie sich verteidigen können“, forderte Baerbock. Die russischen Soldaten würden die ukrainischen Dörfer belagern, nachts die Frauen vergewaltigen, tagsüber die Kinder verschleppen und Wasserleitungen zerstören.

Bei ihrem jüngsten Besuch vor zwei Wochen habe sie bemerkt, „wie sehr sich dieser Krieg noch mal verändert“ habe, „weil er maximal auf Einschüchterung, auf Zermürbung der Bevölkerung ausgerichtet“ sei. Putins Ziel sei es, zu erreichen, dass andere die Ukraine nicht weiter unterstützten. „Wir werden genau das Gegenteil tun“, versicherte Baerbock der Ukraine die weitere bedingungslose Hilfe der Bundesregierung.

Offen für Taurus-Ringtausch mit Großbritannien

Obwohl sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mehrfach gegen die Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an Kiew ausgesprochen hatte, um Deutschland nicht zur Kriegspartei zu machen, ist das Thema für Baerbock weiterhin nicht vom Tisch. Ein entsprechender „Ringtausch“ mit Großbritannien sei für sie „eine Option“, um der Ukraine mehr Raketen zu verschaffen.

Zuvor hatte die Außenministerin gesagt, die Bundesregierung tue seit zwei Jahren „auf allen Kanälen“ alles dafür, „dass dieser Krieg zu Ende“ gehe. Weil die Bundesregierung aber von russischer Seite „jedes Mal vorgeführt“ worden sei oder „falsche Dinge behauptet“ worden seien, habe man die Gespräche mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow eingestellt. Dieser würde lügen und sei „ohnehin nicht mehr im engsten Führungskreis von Putin“. Deswegen werde jetzt je nach Anlass „über andere Kanäle“ gesprochen.

Warten auf den ersten Schritt der anderen Seite

Baerbock betonte allerdings auch, zu Verhandlungen bereit zu sein. Es liege an Russland, dass es nicht dazu komme:

Und wenn es eine minimale Chance gibt, dass es Signale gibt, wo das russische Regime, Putin, sagt, okay, wir sind jetzt bereit zu reden, dann wär‘ die ganze Welt da und würde reden. Nur leider sehen wir jeden Tag das Gegenteil.“

Der russische Präsident hatte beispielsweise während seines Interviews mit dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson im Februar 2024 Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Die Kommunikationskanäle zwischen Moskau und Washington seien offen, er selbst sei jederzeit zu Gesprächen bereit. „Der Krieg könnte innerhalb weniger Wochen vorbei sein“, sagte der Kreml-Chef. Voraussetzung sei allerdings, dass die USA die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen würden. Die EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Nabila Massrali hatten das Angebot als Lüge bezeichnet.

Wie am Wochenende bekannt wurde, hatte Papst Franziskus I. dem italienischsprachigen Schweizer Fernsehsender RSI nach Angaben von „Vaticannews“ bereits Anfang Februar 2024 ein Interview gegeben, in dem er sich erstmals ausdrücklich für den Verhandlungsweg starkmachte, was die Kriege im Gazastreifen und in der Ukraine betreffe. Das bereits in Teilen veröffentlichte Interview solle am Mittwoch, 20. März, komplett in der RSI-Kultursendung „Cliché“ ausgestrahlt werden.

„Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu treiben“

„Aus praktischen Gründen“, habe der Papst laut „Vaticannews“ zu Protokoll gegeben, möge der Krieg zwar „gerecht“ erscheinen. „Aber hinter einem Krieg steht die Rüstungsindustrie, und das bedeutet Geld […].“ In der Ukraine würden „Stimmen lauter werden, den Mut für ein Hissen der weißen Fahne aufzubringen“, zitiert „Vaticannews“ das Oberhaupt der katholischen Kirche (Kurzvideo auf X). Es sei „eine Interpretationsweise“, darin „eine Legitimierung des Stärkeren“ zu sehen.

Er selbst vertrete eine andere Meinung: „Verhandlungen sind nie eine Kapitulation. Es ist der Mut, das Land nicht in den Selbstmord zu treiben“, so der Papst. Und weiter:

Ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln. Und heute kann man mit Hilfe der internationalen Mächte verhandeln. Das Wort ,verhandeln‘ ist ein mutiges Wort. Wenn du siehst, dass du besiegt wirst, dass die Dinge nicht gut laufen, hab den Mut, zu verhandeln. Du schämst dich, aber wenn du so weitermachst, wie viele Tote wird es dann geben? Verhandele rechtzeitig, suche ein Land, das vermittelt.“

„Schämt euch nicht, zu verhandeln“

Was den Krieg in der Ukraine anbelange, gebe es „viele, die vermitteln“ wollten – etwa die Türkei. „Schämt euch nicht, zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“, habe der 87-Jährige gemahnt. Aus seiner Sicht sei Krieg „Wahnsinn“, schon wegen der vielen größtenteils jungen Opfer, die eine Lücke in den Folgegenerationen hinterlassen würden.

Jene ukrainischen Kinder, mit denen er sich bei Audienzen getroffen habe, wüssten nicht mehr, wie man lächele. Sie schienen von daher „keine Zukunft“ zu haben: „Lasst uns über diese Dinge nachdenken, bitte. Krieg ist immer eine Niederlage, eine menschliche Niederlage, keine geografische“, zitiert „Vaticannews“ den Papst.

Nach Angaben der „Welt“ bemühte sich Matteo Bruni, der Sprecher des Pontifex maximus, die Worte seines Chefs nicht als Aufforderung zur „Kapitulation“ zu verstehen. Der Papst habe „vor allem zu einem Waffenstillstand aufrufen und den Mut zu Verhandlungen wiederbeleben“ wollen, so Bruni laut „Tagesschau“.

Ukrainische Regierung zeigt sich schwer enttäuscht

Beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj scheint das TV-Interview aber keine derartigen Ambitionen geweckt zu haben. Nach Angaben der „Welt“ habe Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft jedem Geistlichen gedankt, der bei den Streitkräften sei, um ihnen zu helfen. Von Beginn des Krieges an seien „alle Ukrainer“ aufgestanden, „um sich zu verteidigen“, ganz gleich ob Christen, Muslime oder Juden. „Das ist es, was die Kirche ist: bei den Menschen“, so Selenskyj, nicht aber „zweieinhalbtausend Kilometer entfernt, irgendwo, um virtuell zu vermitteln zwischen jemandem, der leben will, und jemandem, der dich vernichten will“.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte auf seinem X-Kanal klargestellt, dass er den „Stärksten“ für denjenigen hält, „der sich im Kampf zwischen Gut und Böse auf die Seite des Guten stellt und nicht versucht, sie auszugleichen, indem er es ‚Verhandlungen‘ nennt“. Der Vatikan solle seine „historischen Fehler“ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts „nicht […] wiederholen“, mahnte Kuleba. Vielmehr solle der Vatikan „die Ukraine und ihr Volk konsequent im gerechten Kampf um ihr eigenes Leben […] unterstützen“:

Unsere Flagge ist blau und gelb. Darunter leben, sterben und gewinnen wir. Wir werden keine anderen Flaggen hissen.“

Kuleba dankte dem Papst aber auch für seine „ständigen Gebete für den Frieden“ und lud ihn zu einem „apostolischen Besuch“ in die Ukraine ein, um die Millionen Katholiken und andere Ukrainer zu unterstützen.

Anton Gerashchenko, der Ex-Vizeinnenminister der Ukraine, schrieb auf seinem X-Kanal, es erscheine ihm „seltsam“, dass der Papst nicht zur Verteidigung der Ukraine dränge und „Russland nicht als Aggressor“ verurteile. Er wollte wissen, ob alle Kardinäle des Papstes dessen Position teilten und ob der Papst auch 1940 gegenüber Großbritannien vorgeschlagen hätte, die Waffen niederzulegen, um „mit Hitler zu verhandeln“.

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski hatte via X ähnlich wie Baerbock mit Unverständnis auf die Worte Franziskus’ reagiert: „Wie wäre es als Ausgleich damit, Putin zu ermutigen, den Mut zu haben, seine Armee aus der Ukraine abzuziehen? Der Frieden würde sofort eintreten, ohne dass Verhandlungen erforderlich wären.“

Göring-Eckardt und Strack-Zimmermann lehnen Papst-Vorschlag ab

Voller Unverständnis reagierten nach Informationen der „Welt“ auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

„Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine“, habe Göring-Eckardt getadelt.

Strack-Zimmermann habe vom Papst verlangt, die „verbale mörderische Hetze“ zu verurteilen, derer sich aus ihrer Sicht der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill I. in Moskau gegenüber Ukrainern bediene: „Ich schäme mich als Katholikin, dass er das unterlässt.“

Nach Informationen der „Tagesschau“ hatte sich die Türkei zuletzt erneut als Vermittler angeboten. Man sei bereit, ein Gipfeltreffen zwischen der Ukraine und Russland anzuberaumen. Die Ukraine, so die „Tagesschau“, gerate angesichts der schwindenden Munitionsbestände infolge der „Verzögerung weiterer Militärhilfe aus den USA“ „zunehmend in die Defensive“.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion