Noch mehr Streit um noch mehr Kredite? SPD will Schuldenbremse „massiv“ aufweichen

Die Fraktionsspitze der SPD will die im Grundgesetz vorgeschriebene Staatsschuldenbremse offenbar „massiv“ aufweichen – gegen den Willen des Finanzministers. Der Weg dahin soll auf der SPD-Fraktionsklausur in Berlin bereitet werden.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich.
Archivbild: Dr. Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, hat eine schwierige Aufgabe vor sich.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 11. Januar 2024

Die SPD will die Haushaltspolitik des Bundes offenbar nicht mehr vom Grundgesetz oder einem störrischen FDP-Finanzminister bestimmen lassen. Wie unter anderem die „Bild“ berichtete, plant die Fraktionsspitze, die im Grundgesetz vorgeschriebene Staatsschuldenbremse „massiv“ aufzuweichen.

Sollte das im Parlament gelingen, wäre die Ampelregierung zumindest einen Großteil ihrer finanziellen Sorgen los: Wenn mehr Milliarden als vorhanden gebraucht werden, könnte die Regierung einfach neue Schuldverschreibungen emittieren oder Bankkredite aufnehmen. Details darüber, wie eine entsprechend reformierte Selbstbeschränkung aussehen könnte, sollen noch erarbeitet werden.

Das grundsätzliche Ziel, die Bundeskassen mit noch mehr geliehenem Geld aufpeppen zu dürfen, damit es für die ehrgeizigen Transformations- und Innovationswünsche der Ampelkoalitionäre reicht, war bereits im Dezember auf dem SPD-Bundesparteitag beschlossen worden. Für die Feinheiten des Vorstoßes ist nun die Fraktion am Zug.

Zwei Tage SPD-Fraktionsklausur in Berlin

Die soll nun offenbar während ihrer zweitägigen Klausurtagung am 11. und 12. Januar 2024 in Berlin Nägel mit Köpfen machen und ein Konzept verfassen, berichtet die „Bild“. Als Grundlage für den „haushaltspolitischen Zukunftsdeal“ der Kanzlerpartei soll das aktuelle fünfseitige Positionspapier „Eckpunkte einer gerechten Haushaltspolitik. Für alle Generationen“ dienen. Eine Kernaussage daraus lautet:

Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß. Die derzeit starren Regeln sind ein Wohlstandsrisiko für jetzige und kommende Generationen, indem sie nicht genügend Spielräume für starke Zukunftsinvestitionen ermöglichen.“

SPD sieht Gründe für noch mehr Schulden

Die bislang vorhandenen Spielräume sieht die Fraktionsspitze offenbar stark durch mehrere Krisen eingeschränkt: Der Ukraine-Krieg sei für die „gestiegene Energiepreise“ und die Kosten für die ukrainischen Schutzsuchenden verantwortlich. Auch der „barbarische Überfall der Hamas auf Israel“ belaste den Etat.

„Hinzu kommt die Notwendigkeit der digitalen und industriellen Transformation, der verstärkte Einsatz für den Klimaschutz, die dringend notwendige Stärkung und Modernisierung unseres Bildungssystems, der Ausbau einer zukunftsgerichteten Infrastruktur und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben zum Wohle der Beschäftigten in einer sich zeitgleich wandelnden Welt“, heißt es im Positionspapier (PDF-Datei).

Generationengerechtigkeit?

Das unter anderem von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) häufig vorgebrachte Argument, nachdem ein immer weiter steigender Schuldenberg auch zulasten künftiger Generationen gehen werde, versucht das Positionspapier unter Verweis auf die „vielen Erkenntnisse und Empfehlungen deutscher und internationaler Ökonom:innen“ Paroli zu bieten: „Für eine Volkswirtschaft kann der Verzicht auf kreditfinanzierte Zukunftsinvestitionen langfristig verheerend sein“, warnen die Sozialdemokraten.

Schulden seien „per se“ weder gut noch schlecht. Es komme darauf an, dass die Politik das Geld „volkswirtschaftlich sinnvoll“ einsetze. Von Investitionen würden ja nicht nur die aktuellen Wähler, sondern über kurz oder lang auch ihre Nachkommen profitieren, meint die SPD-Bundestagsfraktion. Deshalb könnten entsprechende Pläne „sehr wohl zu einem erheblichen Anteil auch sinnvoll über Kredite finanziert werden“. Der „Sozialstaat“ dürfe jedenfalls nicht darunter leiden, wenn „Investitionsnotwendigkeiten“ mehr Geld erforderlich machten als gedacht.

Auf der Klausurtagung soll der „geschäftsführende Fraktionsvorstand“ eine „Steuerungsgruppe“ einsetzen, die dann die „Eckpunkte“ für einen Vorstoß im Bundestag erarbeiten soll. Dabei seien die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, der Status quo des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts, die juristischen Umstände im Ausland und die Meinung von Experten „u.a. aus Wissenschaft, Gewerkschaften und Wirtschaft“ zu berücksichtigen, so das Positionspapier.

Neuer Ampelärger programmiert?

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte bislang sämtlichen Überredungsversuchen, die Schuldenbremse zu entschärfen, eisern widerstanden. Denn ihr Bestand war genau wie das Bekenntnis, keine Steuererhöhungen zuzulassen, eins der ganz großen Wahlversprechen des liberalen Parteichefs. Zuletzt hatte Lindner die Begründung „Hochwasserkatastrophe“ nicht als ausreichend für einen Kurswechsel anerkannt.

„Die Frage ist, ob sich der Vorstoß der SPD zu einem handfesten Streit ausweitet – oder ein parteipolitisches Scharmützel bleibt, das vom Kanzler eingefangen wird“, fasst „t-online“ die konfliktträchtige Situation zusammen. So ein neues „Scharmützel“ unter den Parteien wäre gerade jetzt Wasser auf die Mühlen der Regierungskritiker, von denen sich seit Montag, 8. Januar 2024, bereits Tausende den bundesweiten Protestaktionen der Landwirte angeschlossen hatten. Nach Angaben von „t-online“ gab es bis zum Mittag des 10. Januar 2024 keine Reaktionen von Lindner oder seinem Kanzler Olaf Scholz (SPD) – auch nicht auf der sozialen Plattform „X“.

Milliardenlöcher seit Karlsruhe-Beschluss

Der Streit um einen verfassungskonformen Haushalt hatte seit dem 15. November 2023 nahezu die gesamte innenpolitische Berichterstattung berührt. Denn an diesem Tag hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Entscheidung getroffen, die das „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz“ 2021 (NHG) für nichtig und verfassungswidrig erklärte. Das riss Milliardenlöcher in die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des Bundes.

Die Ampelregierung musste sich daraufhin erneut Gedanken über ihre Haushaltsplanungen für die Jahre 2023 und 2024 machen. Doch kaum stand fest, dass besonders ab 2024 gespart werden solle, wurden vor allem aus den Reihen der SPD und der Grünen Stimmen laut, die die peinliche Situation mit einer Reform der Schuldenbremse abwenden wollten.

GG-Änderung benötigt deutliche Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat

Um den Schuldenbremsen-Artikel 109 im Grundgesetz zu ändern oder abzuschaffen, wäre gemäß Artikel 79 GG jeweils eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat einzuholen. Die Stimmen der Ampelfraktionen allein würden dafür nicht ausreichen. Weil die Abgeordneten der drei Ampelparteien nur über 417 der 736 Sitze verfügen, würden mindestens 73 Stimmen fehlen.

Vonseiten der AfD-Fraktion ist keine Unterstützung für eine Grundgesetzänderung zu erwarten. Auch CSU-Chef Markus Söder und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz pochen bislang auf die Einhaltung der Schuldenbremse ab 2024. Die momentan 44 fraktionslosen Abgeordneten könnten ebenfalls nichts ändern.



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