Wehrpflicht in Deutschland – ja oder nein?

Spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Krieges ist die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland neu entbrannt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist dafür und sucht schon nach einem zeitgemäßen Modell. Die FDP ist generell dagegen. Und Sie? Eine Epoch-Times-Umfrage.
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Das Symbolbild zeigt einen getarnten „Marder“ mit Besatzung während des „Tags der offenen Tür“ 2019 in der Kaserne Augustdorf.Foto: iStock
Von 22. Februar 2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will sich bis zum 1. April 2024 einen Überblick verschafft haben, welches Wehrpflichtmodell für die Bundeswehr infrage kommen könnte – wenn überhaupt. Das berichtet das Nachrichtenportal „Table.Media“ unter Verweis auf Informationen von der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).

Deutsche „Regierungskreise“ hätten dort „am Rande“ offenbart, dass das schwedische Modell in besonderem Maße geprüft werde, so „Table.Media“. Es besteht nach Informationen des Bundestags aus einer „Kombination aus Pflicht- und Freiwilligendienst“.


 

Das schwedische Rekrutierungsmodell

Das schwedische Parlament hatte die Wehrpflicht im März 2017 infolge einer „neuen Sicherheitslage“ reaktiviert, um stets genügend Personal für die Landesverteidigung in petto zu haben. Nach Angaben von „Table.Media“ soll Stockholm im Kriegsfall schnell 116.000 Soldaten aktivieren können. Daraus ergebe sich ein zusätzlicher Bedarf an 46.000 Soldaten, der nicht über Berufssoldaten oder Freiwillige abgedeckt werden könne.

Demografiebedingt kämen aber jedes Jahr grundsätzlich 100.000 junge Frauen und Männer in das Mindestalter von 18 Jahren. Das Ziel der schwedischen Regierung sei derzeit, die 8.000 Erfolgversprechendsten unter ihnen in die militärische Grundausbildung zu schicken. „Zukünftig sollen es etwa 10.000 junge Rekrutinnen und Rekruten sein – doch selbst das wären nicht einmal zehn Prozent eines Jahrgangs“, erklärt die „Tagesschau“.

Alle mustern, nur wenige auswählen

Folgerichtig habe die schwedische Regierung zur Wiedereinführung der Wehrpflicht seit 2018 ein Auswahlverfahren eingeführt. Alle 100.000 potenziellen Rekrutinnen und Rekruten seien seitdem verpflichtet, sich prüfen zu lassen. Dazu müssten die 18-Jährigen laut „Table.Media“ zunächst einen Fragebogen ausfüllen, der „40 Fragen zur Gesundheit, zum körperlichen Zustand, zur Schule, zur Persönlichkeit und zu eventuellen Straftaten“ enthalte und auch die persönliche Einstellung zu einem Dienst an der Waffe abfrage.

Auf der Grundlage der Befragung würden aus dem Gesamtpool danach 30.000 junge Erwachsene zu einer zweitägigen Musterung einbestellt. Am Ende filtere der künftige Dienstherr noch einmal die geeignetsten 8.000 zur Grundausbildung heraus. Diese dauert nach Informationen des Bundestags (PDF-Datei) grundsätzlich zwölf Monate. Je nach „Art des Einsatzes“ könnten es auch „neun bis elf Monate“ sein, schrieb die „Tagesschau“. Der „Tagesschau“ zufolge „sind die Rekrutinnen und Rekruten“ nach ihrer Grundausbildung auch dazu „verpflichtet, ihre Einheit zu unterstützen, wenn die Regierung eine erhöhte Bereitschaft oder Mobilmachung beschließt“.

Mehr Soldaten, weniger Anschlussverpflichtungen

„Die ersten Ergebnisse nach fünf Jahren Wehrpflicht sind, dass die Grundausbildungszahlen deutlich gestiegen sind. Das ist keine Überraschung, aber gleichzeitig sinkt der Anteil der Grundausgebildeten, die sich nach der Grundausbildung weiter verpflichten“, resümiert „Table Media“-Autor Jonas Hård af Segerstad, der Verteidigungsattaché der schwedischen Botschaft in Berlin. Ein „Allheilmittel, das alle Sorgen aus der Welt schafft“, sei der Ansatz somit nicht. Es komme immer darauf an, „welche Probleme eine Reaktivierung lösen“ solle.

Wie die „Tagesschau“ berichtete, stellt die Wehrpflicht („Värnplikt“) nur eine Säule der schwedischen „Gesamtverteidigung“ dar, zu der nicht nur Schweden, sondern auch Ausländer im Alter zwischen 16 und 70 Jahren herangezogen werden könnten. Die beiden anderen Säulen seien die „Zivildienstpflicht“ („Civilplikt“) und die „allgemeine Dienstpflicht“ („Allmän tjänsteplikt“).

Lindner: Wehrpflicht als „Gespensterdiskussion“ abzulehnen

Ob es in Deutschland wirklich wieder zu einer Wehrpflicht kommen wird – ob nun nach dem schwedischen oder einem anderen Modell – ist offen. Während Boris Pistorius ihre Aussetzung im Jahr 2011 laut „Tagesschau“ als „Fehler“ bezeichnet hatte, will die FDP aber nichts davon wissen: „Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion“, stellte FDP-Parteichef Christian Lindner noch einmal Ende Januar 2024 klar. Es gehe aus seiner Sicht darum, „die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken“. Die jüngere Generation zu einem Dienst zu verpflichten, verbiete sich, denn diese habe bereits während der Coronakrise „so viel verloren“. Außerdem würde eine Wehrdienstpflicht für die Wirtschaft „großen Schaden“ bedeuten – wegen des „Fachkräftemangels“.

Lindners Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, zeigte sich Ende Januar 2024 – anders als noch vor Jahresfrist – offener: „Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden“, so die Liberale gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. „Ein einfaches Ja oder Nein“ aber sei „zu kurz gesprungen“. Immerhin bedeute eine Wiedereinführung einen „erheblichen Aufwand“.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion, Jan Korte, hat Wehrpflichtideen generell widersprochen: Es sei 2011 „kein Fehler gewesen, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt“, die Wehrpflicht auszusetzen. Ganz anders sieht das Patrick Sensburg, der Präsident des Reservistenverbands: Die derzeitige Mannstärke zuzüglich etwa 100.000 Reservisten genüge nicht, um die BRD im Ernstfall verteidigen zu können, sagte Sensburg im „Welt“-Interview. Deshalb benötige man wieder eine Wehrpflicht.

Bundeswehr beschäftigt mehr als 260.000 Bürger

Nach Angaben von „Table.Media“ hat die Bundeswehr „ein gravierendes Personalproblem“. Um die Truppenstärke konstant bei 181.000 Militärs zu halten, würden „rund 20.000 neue Kräfte pro Jahr“ gebraucht. 2031 sollen es wieder mehr als 200.000 sein.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatte die Bundeswehr im Jahr 1983 die größte Mannstärke ihrer Geschichte seit 1959: Knapp 486.000 Männer trugen zu einer der größten Krisenzeiten des Kalten Krieges eine Uniform als Arbeitskleidung. Erst nach der Wende 1989/90 wurde der Personalbestand sukzessive abgebaut. Mit Stand 31. Dezember 2023 sicherten „über 260.000 Menschen – 181.514 in Uniform und 81.524 in Zivil – die personelle Einsatzbereitschaft“. Die Truppe stellt ihre Personalsituation jeden Monat aktuell ins Netz.

Ein wenig attraktiver Arbeitgeber?

Deutschland müsse sich heute „als Bundeswehr, als Gesellschaft“ mit „einer abstrakten, irgendwann vielleicht konkreten Gefahr einer militärischen Bedrohung durch Russland“ auseinandersetzen, meinte Pistorius erst jüngst in einem Interview mit „Table.Media“, das er am Rand der MSC gegeben hatte.

Doch der Bundeswehr mangelt es in den Augen der Bürger offenbar an Attraktivität, um die Lücken zu füllen, wie eine „Befragung des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)“ vom Juli 2023 ergeben habe: „Gerade einmal vier Prozent der Befragten betrachten eine Arbeit bei der Bundeswehr als sehr attraktiv“, stellte das ZMSBw laut „Table.Media“  fest. Zudem hätten „zwei Drittel der Befragten unter fünfzig“ angegeben, „die Streitkräfte als Arbeitgeber als eher nicht attraktiv oder überhaupt nicht attraktiv wahrzunehmen“.

Unter 30-Jährige weniger begeistert

In der Generation U30 käme die Rolle des Soldaten „für gerade einmal zwölf Prozent“ infrage. Etwa doppelt so viele aus dieser Gruppe könnten sich aber einen Ziviljob bei der Armee vorstellen. Und „während jeder fünfte junge Mann sich vorstellen könnte, als Soldat zu arbeiten“, seien es bei den Frauen „gerade einmal sechs Prozent“. Noch 2020 hätten die Werte besser ausgesehen. Damals hätten 28 Prozent der Männer unter 30 und 13 Prozent der gleichaltrigen Frauen gesagt, dass Soldat eine Berufsoption für sie sein könne.

Einer Wiedereinführung der Wehrpflicht im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht stünden aktuell 52 Prozent der Deutschen positiv gegenüber – zwei Prozentpunkte mehr als noch 2022. 62 Prozent glaubten, dass eine Wehrpflicht der Bundeswehr bei der Personalgewinnung helfen könnte; 58 Prozent sähen darin einen Vorteil für die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung. „Sowohl Männer als auch Frauen bis 29“ stünden einem Ende der Aussetzung allerdings „weniger positiv gegenüber als Menschen ab 30“.



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