Ökostrom, der keiner ist

Deutsche Stromanbieter bieten ihren Kunden oftmals Ökostrom an, den sie physisch gar nicht liefern können. Das geht mit digitalen Ökostrom-Zertifikaten. So kauft der Verbraucher (auf dem Papier) Ökostrom aus Island. Eine Stromleitung von Island nach Europa gibt es nicht.
Doppelabrechnung durch digitale Herkunftsnachweise für Ökostrom
Ein Erdwärmekraftwerk in Nesjavellir, Island.Foto: iStock
Von 8. Dezember 2022

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Auf dem europäischen Strommarkt gibt es verschiedene Regelungen zur Kennzeichnung des produzierten Stroms aus erneuerbaren Energien. In Deutschland ist dafür das Umweltbundesamt zuständig, es betreibt ein Herkunftsnachweisregister.

Die Behörde stellt digitale Zertifikate aus, die die „grüne“ Herkunft des Stroms bestätigen; Zertifikate für eine Megawattstunde produzierten Strom aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse. Diese erhält der Stromerzeuger.

Der Stromanbieter hat nun die Möglichkeit, diese Herkunftsnachweise zu verkaufen – und das europaweit. Das Problem dabei ist: Der Verkauf des physischen Stroms ist komplett von der „Stromeigenschaft“, also wie dieser hergestellt wurde, entkoppelt. Das berichtet die IT-Plattform „Golem“.

Ökostrom, der keiner ist

So kann beispielsweise ein Stromanbieter im Ausland, der ausschließlich Wasserkraftwerke betreibt, für diese Kraftwerke Herkunftsnachweise an den deutschen Stromanbieter verkaufen.

Mit Erwerb dieser digitalen Zertifikate darf der deutsche Stromanbieter seinen Kunden nun mitteilen, dass er ausschließlich Ökostrom verkaufe. Rein physikalisch kann er jedoch weiterhin nur den derzeitigen deutschen Strommix aus Kohle, Atom, Gas und Erneuerbare anbieten.

Im Umkehrschluss muss der Anbieter im Ausland, der nur Wasserkraft betreibt, seinen Kunden gegenüber einen entsprechenden Teil an nicht erneuerbarem Strom auf der Stromrechnung ausweisen. Diese Kunden müssten demnach eigentlich davon ausgehen, dass sie nicht mehr mit Strom aus 100 Prozent Wasserkraft versorgt werden. Doch rein physikalisch erhalten sie natürlich weiterhin Strom aus Wasserkraft – und können damit werben.

Der Ökostrom wird somit doppelt angerechnet. Einmal von den Unternehmen, die ihn direkt beziehen und ein zweites Mal von denen, die die Herkunftsnachweise einkaufen.

Nachdem die Megawattstunde Ökostrom verbraucht wurde, wird das Zertifikat entwertet. Somit wollen die Behörden eine Doppelvermarktung von Strom aus erneuerbaren Quellen vermeiden.

Island verkauft Europa virtuellen Ökostrom

Dieser Handel mit den Herkunftsnachweisen wird beispielsweise von Island praktiziert. Das Land ist Teil der Europäischen Handelszone (EEA) und nimmt aktiv am Zertifikatehandel teil. Das bedeutet, dass isländische Stromerzeuger ihren Ökostrom virtuell ins Ausland verkaufen können. Dabei hat das Land ein völlig autarkes Stromnetz. Eine Verbindung mit dem europäischen Festland gibt es nicht.

Manche Stromkunden in Island haben somit durch die verkauften Herkunftsnachweise auf ihrer Stromrechnung Kohle- und Atomstrom. Auf der gesamten Insel gibt es jedoch kein einziges Kohle- oder Atomkraftwerk. Auch Stromimporte finden nicht statt.

Nahezu die gesamte Elektrizität in Island wird aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt. 73 Prozent der Elektrizität produzieren Wasserkraftwerke und 26,8 Prozent stammt aus geothermischer Energie. Das macht zusammen über 99 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Island aus. Von den so produzierten 19 Terawattstunden elektrische Energie werden für 14 Terawattstunden Herkunftszertifikate exportiert. Viel ist das nicht. Zum Vergleich: Deutschland produziert über 500 Terawattstunden.

Die verhältnismäßig geringe Menge reicht jedoch aus, dass Stromanbieter in anderen Ländern ihren Strom virtuell etwas begrünen können.

Legale Kundentäuschung

Die Kunden, die sich für einen Ökostrom-Tarif entscheiden, bekommen durch dieses Verfahrens trotzdem nicht mehr Ökostrom aus ihrer Steckdose als ihr Nachbar mit einem normalen Stromtarif.

Ob durch dieses zusätzlich bezahlte Geld wirklich mehr Ökostrom-Kraftwerke, vor allem in der Region, gefördert werden, ist fragwürdig.

Neben Island gibt es noch weitere Länder in der EEA mit einem hohen Ökostromanteil in ihrer Energieproduktion: Norwegen (2021: 99,42 Prozent), Österreich (2020: 79,27 Prozent), Dänemark (2020: 78,21 Prozent) oder Luxemburg (2020: 71,53 Prozent).



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