Gewalt in Syrien eskaliert wieder

Nach Angaben der Syrien-Untersuchungskommission der Vereinten Nationen hat sich die Lage in dem bürgerkriegsgebeutelten Land nach 13 Jahren zuletzt wieder verschärft. Seit Oktober 2023 hat die Anzahl der Menschen, die aus Syrien nach Europa geflüchtet sind, deutlich zugenommen. An Abschiebungen im großen Stil ist nach Einschätzung des Bundesaußenministeriums nach wie vor nicht zu denken.
Syrer blicken auf eine verlassene medizinische Einrichtung, die nach Angaben der freiwilligen Rettungsorganisation White Helmets am späten Montagabend von iranischen Raketen getroffen wurde.
Archivbild: Syrer blicken auf eine zerstörte medizinische Einrichtung.Foto: Omar Albam/AP/dpa
Von 14. März 2024

Während die Kämpfe um die Ostgebiete der Ukraine und im Gazastreifen weitergehen, hat sich in den vergangenen Monaten offenbar auch die Lage im Bürgerkriegsland Syrien wieder verschärft.

„Seit Oktober ist es in Syrien zur größten Eskalation der Kämpfe seit vier Jahren gekommen“, erklärte nach Angaben der „Tagesschau“ Paulo Pinheiro, der Chef der Syrien-Untersuchungskommission, die beim UN-Menschenrechtsrat in Genf eingerichtet worden war. Das kriegs- und erdbebengebeutelte Land brauche „dringend einen Waffenstillstand“. Das gelte auch für Israel und die Hamas. „Das syrische Volk“ könne „keine weitere Verschärfung dieses verheerenden, anhaltenden Kriegs erdulden“, so Pinheiro.

Seine Kommissionskollegin Hanny Megally habe Verständnis für die rund 120.000 Menschen gezeigt, die sich Anfang Oktober 2023 für die Flucht nach Europa entschieden hätten. Dabei handele es sich keineswegs überraschend um „den höchsten Wert in sieben Jahren“, so Megally.

Seit Januar 2023 gut 118.000 Asylanträge von Syrern in Deutschland gestellt

Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatten im gesamten Jahr 2023 genau 104.561 Menschen aus Syrien einen Asylantrag gestellt, fast alle zum ersten Mal. Allein in den Monaten Oktober bis Dezember 2023 waren nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) hierzulande knapp 29.000 Anträge von Menschen syrischer Staatsangehörigkeit gestellt worden.

Laut Statistischem Bundesamt kamen in den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 weitere 14.024 Syrer dazu. Die Gruppe entsprach damit fast einem Drittel aller Asylbewerber in den Monaten Januar und Februar. Die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe kam auch 2024 bislang aus der Türkei (7.649). Im selben Zeitraum hatten auch 6.679 Menschen aus Afghanistan Schutz in der Deutschland beantragt.

Nach dem jüngsten Lagebericht des Bundesaußenministeriums (PDF-Datei) aus dem Jahr 2023 könne „eine sichere Rückkehr Geflüchteter […] derzeit für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden“. Die Deutsche Botschaft in Damaskus war laut „Tagesschau“ im Verlauf des Kriegs geschlossen worden.

Abschiebungen kaum möglich

Appelle zur Abschiebung von Syrern laufen nach Informationen der „Tagesschau“ somit weiter ins Leere. Zuletzt habe die Innenministerkonferenz das Bundesinnenministerium (BMI) Ende Dezember 2023 aufgefordert, nachzuprüfen, ob und wie man schwerkriminelle Syrer in ihre Heimat abschieben könnte.

Im gesamten Jahr 2023 sei es lediglich gelungen, 829 Syrer abzuschieben, allerdings „ausschließlich in Drittstaaten und nicht nach Syrien selbst“. Das BAMF habe aber die freiwillige Rückkehr von 66 Syrern in ihr Heimatland bezahlt.

Türkei wichtigstes Aufnahmeland – nach Syrien selbst

Insgesamt, so die „Tagesschau“, seien in den 13 Jahren des Syrienkrieges etwa 800.000 Syrer nach Deutschland geflohen. Weitere rund 9,2 Millionen syrische Flüchtlinge hätten Schutz innerhalb Syriens oder in anderen Ländern gefunden.

Ende 2022 hatte es nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe rund 6,8 Millionen syrische Binnenflüchtlinge gegeben. Das mit Abstand größte Aufnahmeland mit noch immer drei Millionen Menschen (Stand Februar 2024) ist die benachbarte Türkei. In Spitzenzeiten hatte die Türkei sogar an die vier Millionen Menschen einen Platz zum Leben geboten. Doch auch dort scheint die Hilfsbereitschaft zu schwinden.

Angriff auf Militärakademie ließ Lage erneut eskalieren

Wie kam es nun aber zur jüngsten Eskalation? Anfang Oktober 2023, kurz vor dem erneuten Aufflammen des Israel/Hamas-Konflikts am 7. des Monats, hatten mutmaßliche Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad nach Informationen der „Zeit“ eine Militärakademie im westsyrischen Homs während einer Abschlussfeier mit Drohnen angegriffen. Nach Angaben des syrischen „Staatsfernsehens“ seien dabei „Dutzende Menschen“ ums Leben gekommen. Die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ („Syrian Observatory for Human Rights“, SOHR) in Großbritannien habe von „mindestens 100“ Toten und „mindestens 125“ Verletzten gesprochen, so die „Zeit“. Unter den Getöteten seien nach SOHR-Angaben sowohl Militärangehörige als auch Zivilisten gewesen. Auch Kinder seien verletzt worden.

Daraufhin sei in der Provinz Aleppo das Dorf Kafr Nuran beschossen worden, wie die „Zeit“ weiter berichtete. Den Angriff habe mutmaßlich das syrische Militär durchgeführt, ein offizielles Bekenntnis dazu sei aber nicht abgegeben worden. Jedenfalls war es laut SOHR zu fünf weiteren Toten gekommen, die alle miteinander verwandt gewesen seien. Kafr Nuran liegt im Nordwesten Syriens. Der Ort werde von Rebellen kontrolliert.

Im Nordwesten Syriens halten sich der „Zeit“ zufolge auch viele Angehörige der Rebellenmiliz HTS auf. Die Gruppe unterhalte gute Beziehungen zur „Terrororganisation Al-Kaida“. Laut „Zeit“ bezieht sich die SOHR regelmäßig auf Aussagen von zumeist verdeckt operierenden, anonymen Aktivisten verschiedener Seiten in Syrien.

Seit Oktober 2023 über 500 Opfer und 120.000 Geflüchtete

Nach Angaben der „Tagesschau“ bildeten beide Angriffe lediglich den Auftakt für weitere Bombardierungen des Rebellengebiets im Nordwesten Syriens. „Mindestens 2.300 Ziele“ seien seitdem von syrischen und russischen Militärs anvisiert worden, habe die UN-Syrien-Kommission gemeldet. Innerhalb der vergangenen fünf Monate seien dabei über 500 Zivilisten gestorben oder verletzt worden.

Informationen der Hilfsorganisation „Malteser International“ zufolge hatten allein in den ersten zehn Jahren des syrischen Bürgerkriegs über „eine halbe Million Menschen“ ihr Leben verloren. Nach Angaben des „unabhängigen Nahost-Thinktanks Mena-Watch“ kamen 2023 weitere 4.360 Tote dazu.

Nach Angaben der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) seien in die komplexen Kämpfe immer wieder Israel, die Türkei und in Syrien stationierte US-Streitkräfte einerseits und andererseits proiranische Milizen, syrische Kurden, Angehörige der Terrorgruppe IS und „Stammesmilizen“ verwickelt gewesen. Dabei sei es vermutlich auch zu Kriegsverbrechen gegen die syrische Zivilbevölkerung gekommen, so die FAZ.

Erdbeben im Winter 2023 hat die Lage verschärft

Im Grenzgebiet zwischen Nordsyrien und der Türkei hätten die Menschen zudem noch immer mit den Folgen des Erdbebens vom 6. Februar 2023 zu kämpfen.

Die Hilfsorganisation „Aktion Deutschland Hilft“ beklagte, dass die Not in Syrien durch das Erdbeben und die Kämpfe heute „so groß wie nie“ sei. 3,2 Millionen Menschen seien allein in Syrien „von der Krise betroffen“. Das „Welternährungsprogramm“ der UN (WFP) habe im Januar 2024 aber nur noch 135.000 Syrer versorgen können, weil es „sein größtes Hilfsprogramm im Bereich der allgemeinen Ernährungshilfe“ habe einstellen müssen.

Deutsche spenden kaum noch

Trotzdem sei die Spendenbereitschaft unter den Deutschen gesunken: Während die „Aktion Deutschland Hilft“ eigenen Angaben zufolge vor zehn Jahren noch 2,5 Millionen Euro „für die Hilfe in Syrien und den Nachbarländern“ habe einsammeln können, sei es 2023 nicht einmal mehr eine halbe Million gewesen. „Doch auch die Menschen in Syrien und Geflüchtete, die nach Jahren der Vertreibung in ihr Land zurückkehren möchten, brauchen eine Perspektive“, mahnte Maria Rüther, die Hauptgeschäftsführerin der „Aktion Deutschland Hilft“.

Der Syrien-Konflikt hatte Anfang 2011 begonnen. Nach Angaben von „Malteser International“ forderten damals viele Assad-Gegner, „inspiriert von den Protesten des Arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten“, auch für ihr Land „politische Reformen, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit“. Im März sei der Aufstand aber auf Anweisung der Regierung in der Stadt Daraa gewaltsam niedergeschlagen worden. Die Lage sei immer mehr eskaliert: Regierungsgegner, islamische Milizen und das syrische Militär liefern sich bis heute blutige Kämpfe.

Das Zentrum der Auseinandersetzungen habe sich heute allerdings vorwiegend in den Nordwesten des Landes rund um Idlib verlagert, so die Bundeszentrale für politische Bildung.



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