AfD fällt nach Massendemos auf 21,5 Prozent: Wendepunkt oder Rückkehr der „Schweigespirale“?

Eine aktuelle Umfrage von INSA zur Bundestagswahl sieht Verluste für die AfD. Die Massendemonstrationen gegen die Partei tragen offenbar dazu bei. Wie die Zahlen zu interpretieren sind, ist allerdings ungewiss.
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Großdemonstration in München am 21. Januar 2024 gegen die AfD.Foto: Johannes Simon/Getty Images
Von 23. Januar 2024

Am Dienstag, 23. Januar, veröffentlichte „Bild“ eine aktuelle Sonntagsfrage zur Bundestagswahl. Dieser zufolge verliert die AfD 1,5 Prozentpunkte, bleibt jedoch mit 21,5 Prozent klar zweitstärkste Kraft. Dass die Partei damit ihr höchstes Umfrageminus seit zwei Jahren einfährt, hängt offenkundig mit den Massendemonstrationen zusammen, die sich seit mehreren Wochen gegen sie richten. Allerdings bleibt dennoch offen, wie die Zahlen zu interpretieren sind.

Weder Union noch Ampel profitieren von AfD-Verlusten

Gegenüber „Bild“ ordnet INSA-Chef Hermann Binkert die Zahlen ein. Er führt aus, dass die unter dem Motto „Wir sind mehr“ stehenden Demonstrationen ebenfalls nur von 37 Prozent der Befragten unterstützt werden. Damit stehen nicht einmal jene 57 Prozent der Wählerschaft, die sich grundsätzlich nicht vorstellen können, die AfD zu wählen, hinter den Kundgebungen.

Auch die Ampelparteien profitieren nicht vom Minus der AfD. Die SPD verliert demnach weiter und käme nur noch auf 13,5 Prozent (minus 0,5 Prozent). Die Grünen würden um 0,5 Prozentpunkte auf 12,5 zulegen. Dies könnte das Ergebnis einer Verschiebung innerhalb der Ampelwählerschaft sein, aber auch ein Hinweis darauf, dass einige zuvor zur AfD tendierende Wähler nun zur Wahlenthaltung tendieren.

Die FDP bliebe mit 5,0 Prozent an der Kippe zum Parlaments-Aus. Die Ampel insgesamt käme damit weiterhin nur auf 31 Prozent. Das wäre ein halber Prozentpunkt mehr als CDU und CSU, die bei 30,5 Prozent stagnieren – und damit ebenso wenig von den AfD-Verlusten profitieren.

BSW nicht ausgewiesen – jedoch potenzieller Profiteur jüngster Entwicklungen

Die Linkspartei büßt INSA zufolge einen weiteren Prozentpunkt ein und käme nur noch auf drei Prozent. Die Freien Wähler lägen, wären am nächsten Sonntag Bundestagswahlen, bei 2,5 Prozent. Demgegenüber kämen alle Sonstigen auf 11,5 Prozent bei einem Plus von 3,5 Prozentpunkten. Es ist davon auszugehen, dass dabei vor allem das BSW von Sahra Wagenknecht eine Rolle spielt.

Sie könnte zu den möglichen Gewinnern gehören, sollten die Proteste gegen die AfD dazu führen, dass sich deren potenzielle Wähler in ihrer Entscheidung unsicher werden. Mit dem BSW und der WerteUnion treten derzeit zwei politische Alternativen in den Wettbewerb.

Sie richten sich an Wähler, denen die AfD inhaltlich zu radikal ist und die diese nie in der Regierung sehen wollen, aber dennoch deutlichen Protest gegen die etablierten Kräfte zum Ausdruck bringen möchten.

„Schweigespirale“ könnte künftige Umfragewerte der AfD beeinflussen

Im „Focus“ sprach Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen jüngst von einem „Signalereignis für den Parteienwettbewerb“. Demzufolge würden die Demonstrationen teilweise zu einer „Verhärtung mit Trotz-Wählern“ führen.

Allerdings könnten sie auch eine „neue Nachdenklichkeit“ bewirken, die AfD-Sympathisanten wieder in die Wahlenthaltung treibe. Er rechne auch mit „bekehrten bürgerlichen Wählern“, die „wieder mittig tendieren“. Die aktuelle INSA-Umfrage deutet auf diese Option nicht hin.

Es ist allerdings auch denkbar, dass der öffentliche Meinungsdruck durch die Massendemonstrationen auch einen anderen Effekt auslöst. Diesen hatte einst „Allensbach“-Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann als „Schweigespirale“ beschrieben. Im Ergebnis habe dieser zur Folge, dass Befragte bei Meinungsumfragen nicht bereit sind, sich offen zu einer als „unpopulär“ wahrgenommenen Meinung oder Wahlabsicht zu bekennen.

Dies würde bedeuten, dass die Werte, die für die AfD in Umfragen ausgewiesen werden, künftig tendenziell deutlich unter den tatsächlich bei Wahlen erzielten liegen könnten. Einen gegenteiligen Effekt konnte man zuletzt häufig bei den Grünen beobachten. Sie erzielten in Umfragen häufig einen höheren Wert als bei den Wahlen selbst, auch weil es als populär galt, sie zu unterstützen. Meinungsforscher suchen nach Wegen, den „Schweigespirale“-Faktor indirekt zu umgehen. Nicht immer sind diese erfolgreich.



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