Deutsche Gasspeicher über 97 Prozent gefüllt – Wie lange reicht das?

Nur ein einziges europäisches Land hat derzeit ausreichend Gasvorräte für ein Jahr – aber es ist nicht Deutschland. Ohne Nachschub sind die deutschen Gasspeicher im Februar leer, spätestens im April.
Technische Anlagen des Untergrundgasspeichers Bad Lauchstaedt der VNG Gasspeicher GmbH
Technische Anlagen des Untergrundgasspeichers Bad Lauchstaedt der VNG Gasspeicher GmbH am 20. April 2022 in der Nähe von Halle, Deutschland.Foto: Stringer/Getty Images
Von 29. Oktober 2022

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Die deutschen Gasspeicher sind zu über 95 Prozent gefüllt, verkündeten Medien vor einigen Wochen. Etwas weniger stolz musste man kurz zuvor jedoch eingestehen, dass das mit deutschen Steuergeldern finanzierte Gas in deutschen Speichern nicht unbedingt für die Bundesrepublik reserviert ist.

Selbst Länder mit Füllständen von 99 Prozent und mehr, wie Belgien, Portugal und Großbritannien (je 100 Prozent), Dänemark (99,7 Prozent) und Frankreich (99,5 Prozent), sind alles andere als sicher. Denn die Füllstände (Stand 24.10.) sind irrelevant, wenn die Gasspeicher zu klein sind und den Jahresverbrauch nicht decken können.

Am 24. Oktober lag der deutsche Füllstand laut Gas Infrastructure Europe (GIE) bei 97,18 Prozent. In Deutschland umfassen die tatsächlichen Vorräte damit aktuell etwas über 26 Prozent des Jahresbedarfs. Das reicht – wenn alles Gas in Deutschland bleibt – im Winter etwa zwei Monate. In Belgien und Portugal reichen die Vorräte kaum für zwei Wochen, in Großbritannien nur wenige Tage.

Europaweit fassen die Speicher nur knapp 30 Prozent des Jahresverbrauchs, sodass ohne andauernde Gaslieferungen über kurz oder lang die Heizungen kalt und die Betriebe geschlossen bleiben.

Volle Gasspeicher … reichen zwei Monate

Seit Mitte Juni verbrauchten die deutschen Haushalte und Gewerbe laut Bundesnetzagentur wöchentlich rund 200 GWh Gas. Mit nur 196 GWh (Kalenderwoche 36) konnte man damit im Vergleich zu den Vorjahren Einsparungen von über 36 Prozent ausweisen. Geht man von diesem sommerlichen Verbrauch aus, könnte man denken, Deutschland sei für Jahre versorgt. Denn in Deutschland stehen Gasspeicher mit einer Kapazität von 238,3 TWh, beziehungsweise knapp 240.000 GWh, zur Verfügung.

Mitte September (KW 37) schoss der Verbrauch jedoch in die Höhe. Über 310 GWh flossen zu den Haushalten und Betrieben. Bis KW 39 hatte sich dieser Wert auf 618 GWh nochmals verdoppelt. Petrus machte der deutschen Regierung einen Strich durch die Rechnung. Es wurde kühler und die Heizungen aufgedreht. In den kommenden Wochen ist mit einer weiteren Verdopplung bis KW 45 und einer Verdreifachung des wöchentlichen Verbrauchs bis KW 48 zu rechnen. Das erklärt, warum von Oktober bis April etwa 75 Prozent des Jahresverbrauchs abgefragt werden. Der Verbrauch der Industrie folgt einer ähnlichen Jahreskurve.

Wöchentlicher Gasverbrauch deutscher Haushalte und Gewerbe

Wöchentlicher deutscher Gasverbrauch Haushalte und Gewerbe. Foto: Bildschirmfoto/Bundesnetzagentur

Insgesamt beläuft sich der deutsche Jahresgasverbrauch von Haushalten und Industrie laut GIE auf 905 TWh – Anfang September wurden ebenda noch 995 TWh ausgewiesen. Doch selbst mit der niedrigeren Zahl errechnet sich ein Winterverbrauch von etwa 680 TWh, die notfalls aus den (deutschen) Gasspeichern geliefert werden müssen.

Geht man ferner davon aus, dass die Gasspeicher zu Beginn des Winterhalbjahres vollständig gefüllt sind und die Ausspeisung, also der Verbrauch, über sechs Monate konstant ist, sind die Speicher nach zwei Monaten und drei Tagen leer.

Versorgungssicherheit in Lettland am höchsten

Aufgrund der verhältnismäßig kleineren Gasspeicher geht Belgien trotz 100-Prozent-Füllstand nach nur 15 Wintertagen das Gas aus. Großbritannien schafft knapp eine Woche Winter (6,7 Tage). Die Schweden müssten noch eher frieren: Ihre Gesamtspeicherkapazität von 94 GWh reicht im Jahresschnitt für zwei Tage und 15 Stunden. Im Winter entsprechend weniger. Im Rahmen der „europäischen Solidarität“ ist damit zu rechnen, dass die deutschen Gasspeicher, die größten Europas, diese Länder anschließend mitversorgen.

Österreich, das derzeit Vorräte von 90 GWh besitzt, steht auf dem Papier gut da. Der Gasspeicher Haidach bei Salzburg, der 16,5 GWh Gas aufnehmen kann, ist allerdings dem deutschen Netz zuzuordnen. Damit hat Österreich rechnerisch nur noch 76 Prozent seines Jahresbedarfs vorrätig und ist knapp für den kommenden Winter gewappnet.

Im europäischen Vergleich verfügt lediglich Lettland – trotz nur zu 56 Prozent gefüllter Speicher – über ausreichend Gas, um mindestens ein Jahr ohne Im- und Exporte auszukommen.

Füllstände (oben) der nationalen Gasspeicher und ihr Anteil am Jahresverbrauch (unten). Stand 24.10.2022.

Füllstände (oberer Wert) der nationalen Gasspeicher und ihr Anteil am Jahresverbrauch (unten). Farbabstufung nach Deckungsanteil des Jahresbedarfs. Stand 24.10.2022. Zum Vergrößern klicken. Foto: ts/Epoch Times, Daten: Gas Infrastructure Europe (GIE)

Füllstände der nationalen Gasspeicher und ihr Anteil am Jahresverbrauch. Stand 24.10.2022.

Füllstände der nationalen Gasspeicher und ihr Anteil am Jahresverbrauch. Stand 24.10.2022. Foto: ts/Epoch Times, Daten: Gas Infrastructure Europe (GIE)

Keine Containerschiffe an neuen LNG-Terminals

Die Bundesnetzagentur schreibt im Dokument „Neuberechnung: Wie lange reichen die Speicher?“ vom 20. Oktober 2022:

„Die staatlichen Anstrengungen zur Stärkung der Vorsorge in der Energiekrise haben sich gelohnt. Insbesondere durch die staatliche Regulierung der Speicherbefüllung sind die Speicher sehr gut und schneller als erwartet gefüllt. Es konnten Gaslieferungen aus anderen Ländern gesteigert werden […]. Auch der Ausbau der LNG-Terminal [sic!] kommt voran. Wir sind noch nicht am Ziel, aber schon ein ordentliches Stück gegangen. Es braucht weiterhin einen sparsamen Umgang mit Gas, damit wir über den gesamten Winter kommen und für den nächsten eine gute Ausgangsbasis haben.“

Letzteres stimmt nur bedingt optimistisch, zumal der (Aus-)Bau von LNG-Terminals noch kein Gas liefert. Gefragt nach der Zahl der Tanker, die ab Januar anlanden sollen, erklärte Dr. Franziska Brantner (B90/Grüne), Parlamentarische Staatssekretärin für Wirtschaft und Klimaschutz, im Bundestag am 28. September (53:00):

„Wir haben die Terminals mit auf den Weg gebracht. Hier gilt – wie bei dem anderen Punkt übrigens auch –, dass die Beschaffung der Containerschiffe in der Hand unserer Unternehmen liegt und die Lieferungen nach Deutschland dann auch möglich sein werden. Sie wissen, dass wir dafür natürlich sehr auf unsere Partner angewiesen sind. Wir sind dankbar dafür, dass unsere internationalen Partner in dieser schwierigen Situation hier mit uns zusammenarbeiten.“

Abgesehen davon, dass Containerschiffe außer im eigenen Treibstofftank kein Flüssiggas transportieren, bleibt offen, wie viele Tankschiffe die Terminals anlaufen oder ob überhaupt.

Gasmangellage ab Ende Februar „realistisch“

Angesichts dessen zieht die Bundesnetzagentur ein überraschend optimistisches Fazit. Dort heißt es: „Schaut man sich die aktuelle Situation im Oktober 2022 an, steht Deutschland nur eine geringfügig kleinere Menge an Gas zur Verfügungen [sic!] als in den Vorjahren. […] In den nächsten Monaten ist allerdings davon auszugehen, dass sowohl die Importe sinken als auch die Exporte steigen werden.“

Unabhängig davon sei mit Ausspeicherung ab Ende Oktober zu rechnen, die je nach Temperaturen bis Anfang März beziehungsweise Mitte April anhält. In einem „realistischen Szenario“ – von insgesamt vieren – „dürften die Speicher Mitte April annähernd entleert sein, was Folgeprobleme für den kommenden Winter aufwirft“. Mit einer Kälteperiode im Februar, wie 2012, drohe die Gasmangellage bereits ab Ende Februar, „weil die Speicher dann annähernd leer wären“.

Dennoch schlussfolgert die Bundesnetzagentur: „Es wurden vier realistische Szenarien berechnet. Nur in einem kommt es im Februar zu einer Gasmangellage. […] Wenn wir in Deutschland unser Sparziel von mindestens 20 Prozent weiterhin einhalten, drei LNG-Terminals spätestens zum Jahresbeginn einspeisen und der erwartete, winterbedingte Rückgang der Importe sowie der Anstieg der aktuell besonders niedrig ausfallenden Exporte eher moderat ausfällt, dann kommen wir ohne eine nationale Gasmangellage durch den Winter.“

„Die Reduktion des Gasverbrauchs bleibt daher wichtig, um eine weiterhin mögliche Gasmangellage in den Szenarien für einen kalten Winter zu vermeiden.“

„Kommt es jedoch zu einem stärkeren Absinken der Importe oder auch zu einem verstärkten Anstieg der Exporte, was beispielsweise durch einen strengeren Winter in den europäischen Nachbarländern begründet sein kann, so droht auch in Deutschland eine Gasmangellage zum Ende des Winters 2022/2023.“

„Nord Stream 0,5“

Zu diesem Ergebnis kommt auch Stefan Spiegelsperger. Als ehemaliger Gebirgsjäger der Bundeswehr, gelernter Energieanlagenelektroniker und ehrenamtlicher THW-Helfer beschäftigt er sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Thema Strom und wie man ohne Strom überleben kann. Bei historisch niedrigem Export kämen wir bis April, so Spiegelsperger. Im besten Fall könne man die Heizungen dann bereits abstellen. Bei mittlerem Export, beispielsweise wenn die Nachbarländer auch frieren, hätte man bereits ab Mitte Februar ein „großes Problem“. Da bräuchten wir täglich etwa doppelt so viel Gas, wie wir bekommen. „Und wenn man so rechnet wie die Bundesnetzagentur, da fehlen ab Januar fast drei Viertel des [täglichen] Gases.“

Spiegelsperger hat jedoch auch eine pragmatische Lösung parat, die man mit etwas Fantasie auch zwischen den Zeilen der Bundesnetzagentur herauslesen kann:

Im Vergleich zu den Berechnungen von Anfang August habe sich der Zeitpunkt einer Gasmangellage ohne Lieferungen durch Nord Stream von Ende November auf Ende Februar verschoben, so die Bundesnetzagentur. Die Pipelines sind jedoch nicht komplett zerstört, bemerkt Spiegelsperger. Sowohl Nord Stream 1 als auch Nord Stream 2 bestehen jeweils aus zwei Röhren, von denen insgesamt nur drei durch Explosionen zerstört wurden.

Über die verbleibende Leitung könnten theoretisch 27 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland fließen. Das entspricht 270 TWh und damit knapp dem Jahresverbrauch der deutschen Haushalte von 310 TWh. Allerdings ändert das nichts an der Herkunft des Gases – und es würde durch Nord Stream 2 fließen müssen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 68, vom 29. Oktober 2022.



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