Wird der Weimarer „Maskenrichter“ seinen Beamtenstatus verlieren?

2021 hatte ein Beschluss des Amtsrichters Christian Dettmar für Furore gesorgt: Er hob sämtliche Corona-Maßnahmen an zwei Schulen auf. Ab dem 15. Juni muss er sich der Anklage wegen Rechtsbeugung stellen. Das „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“ hat den Fall analysiert.
Eine FFP2-Maske hängt an einem Haken.
Im April 2021 untersagte ein Familienrichter aus Weimar die Maskenpflicht an zwei Schulen. Postwendend wurde der Beschluss gekippt – und der Richter angeklagt.Foto: Daniel Karmann/dpa
Von 19. April 2023

Nach der kurzfristigen Absage des ursprünglichen Prozessauftakttermins gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar steht nun ein neues Datum fest: Dettmar soll sich ab dem 15. Juni 2023 vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Erfurt wegen des Verdachts auf Rechtsbeugung verantworten.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt glaubt, dass Dettmar sich mit seinem Beschluss vom 8. April 2021 (9 F 148/21) strafbar gemacht habe. Er hatte die Corona-Maßnahmen an zwei Schulen aufgehoben.

Die entsprechende Anklageschrift zum Ermittlungsverfahren (Az. 542 Js 11498/21) stützte sich dabei auf die Paragraphen 339 und 52 StGB. Eine Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren steht im Raum. Im Fall einer Verurteilung würde dies auch das Ende des Beamtendienstverhältnisses bedeuten.

KRiStA-Analyse: Welche Chancen hat Dettmar?

Das „Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte“ (KRiStA), ein nicht eingetragener Verein, setzte sich erst vor Kurzem analytisch mit der Anklageschrift auseinander.

Die Autoren Matthias Guericke, Thomas Barisic und Jürg Vollenweider gelangten zu dem Fazit, „dass der Rechtsbeugungsvorwurf der Staatsanwaltschaft gegen Richter Dettmar einer eingehenden rechtlichen Prüfung nicht standhalten“ könne.

Zuständigkeit gegeben

Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, Dettmar habe den Fall unzulässigerweise an sein Familiengericht gezogen, anstatt ihn an ein Verwaltungsgericht abzugeben, entgegnen die KRiStA-Autoren, dass es einem Familiengericht sehr wohl erlaubt oder sogar verpflichtend geboten sein kann, ein Amtsverfahren zu initiieren. Genau das hatte Dettmar getan. Dennoch hällt die Staatsanwaltschaft „unbeirrt“ an ihrem Standpunkt fest.

Wenn die Staatsanwaltschaft denselben Maßstab stets anwenden würde, dann hätte sie auch „ein Verfahren wegen Rechtsbeugung gegen die Richter des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts […] einleiten müssen“, argumentieren die KRiStA-Autoren. Denn diese hätten in ihrem Beschluss vom 16. Juni 2021 (6 AV 1.21) entschieden, dass in Fällen, in denen ein Kindeswohlverfahren angeregt wird, durchaus die Familiengerichte zuständig sind – selbst wenn es um Corona-Schutzmaßnahmen und damit um hoheitliche Befugnisse gehe, die normalerweise vor ein Verwaltungsgericht gehörten: „Die Verweisung eines solchen Verfahrens an ein Verwaltungsgericht ist ausnahmsweise wegen eines groben Verfahrensverstoßes nicht bindend“, hieß es in einer Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Juni 2021.

Persönliche Motive? Fragwürdige Interpretation

Auch eine begründete Befangenheit, also ein persönliches Motiv für die Vorbereitung und Initiation des Amtsverfahrens, für die Auswahl der (maßnahmenkritischen) Sachverständigen und für seinen anschließenden Beschluss, kann das Netzwerk bei Dettmar nicht rechtskräftig erkennen.

Jedenfalls handele es sich lediglich um eine „nicht hinterfragte Annahme der Staatsanwaltschaft“, dass es dem beschuldigten Richter „gar nicht um die Sache selbst und die beiden Kinder gegangen sei“, sondern nur um sein Bestreben, seine eigene coronakritische Überzeugung „einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen“.

Beschluss für alle Schüler – ein Fehler aus Versehen?

Einen „Fehler“ Dettmars sehen die KRiStA-Autoren in der Tatsache, dass der Richter seinen Beschluss nicht nur auf die beiden Kinder einer besorgten Mutter beschränkt, sondern für alle ihre Mitschüler ausgedehnt hatte. Denn Dettmar sei streng genommen nur für Familien zuständig gewesen, deren Nachnamen mit den Buchstaben B, E, F, H, I, J, L, Q, R, S, T, U, V oder X beginnen. Doch dies ist aus Sicht der KRiStA keineswegs als Vorsatz zu werten, sondern höchstens als Versehen. Die Autoren bezweifeln, dass damit ein „elementarer Rechtsverstoß“ festgestellt werden könnte, der „den Vorwurf der Rechtsbeugung tragen könnte“.

Eine „Reihe weiterer, kleinerer Vorwürfe“ aus der Anklageschrift unterstreichen nach Auffassung des KRiStA-Teams, „dass der Staatsanwaltschaft in ihrer Fehlersuche die Tatbestandsvoraussetzungen des § 339 StGB außer Sicht geraten und auch ihre Kenntnisse im FamFG am Ende doch lückenhaft sind“.

Lückenhaft sei zudem die Anklage, die vor allem „inhaltlichen Fragen strikt aus dem Weg“ gehe. Dabei seien es doch „von Anfang an die inhaltlichen Fragen [gewesen], die den Beschluss vom 08.04.2021 in den Augen der Politik, der Presse und auch der Strafverfolgungsbehörden zum „Skandal‘ “ gemacht hätten. Das KRiStA-Team konkretisiert:

Der ‚Skandal‘, auf den sofort mit Rufen nach dem Strafrecht reagiert wurde, bestand in Wahrheit nicht darin, dass ein Familienrichter die Arbeit von Verwaltungsrichtern an sich gezogen haben sollte, sondern was er entschieden hatte: Dass er in einem gerichtlichen Beschluss erklärte, dass die vom Bildungsministerium angeordneten Corona-Maßnahmen in den Schulen kindeswohlgefährdend seien und dass er dies nicht nur erklärte, sondern auch noch korrigierend eingreifen wollte.“

„Dieses Strafverfahren ist ein politisches Verfahren“

Das Netzwerk kommt zu einem vernichtenden Fazit: „Dieses Strafverfahren ist ein politisches Verfahren“. Es sei vor dem Hintergrund der „Hochzeit der Corona-Krise, die von Beginn an von einer extremen Diskursverengung und der Ausgrenzung von Kritikern der Corona-Politik aus dem gesellschaftlichen Diskurs geprägt war“, zu betrachten. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 17. Mai 2022 sei somit „selbst ein Dokument dieser Zeit“.

Im April 2023 aber sei man längst weiter, was die Bewertung der Corona-Maßnahmen angehe, meinen die KRiStA-Autoren. So stehe mittlerweile fest, dass

  • ein Zusammenhang zwischen Inzidenzzahlen und der Maßnahmenstärke nicht erkennbar sei,
  • Schulschließungen und Maskenpflichten unnötig waren.

Für den Ausgang des Verfahrens gegen Familienrichter Dettmar sei nun die entscheidende Frage, ob die 2. Strafkammer des Landgerichts Erfurt bereit sei, „einen unvoreingenommenen Blick auf den Sachverhalt und die Person des Angeklagten zu werfen“.

Strafverteidiger sieht Verstoß gegen BVerfG-Rechtsprechung

Dettmars Strafverteidiger Gerhard Strate hatte bereits am 25. Januar 2023 das Landgericht Erfurt und das Dienstgericht am Landgericht Meiningen darauf hingewiesen, dass ihr Vorgehen zum Nachteil seines Mandanten „sich durchweg auf Dokumente“ stützen würde, die „weitgehend bei der Auswertung der […] sichergestellten Speichermedien gewonnen wurden“.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des OLG Jena dürften diese Dokumente aber erst dann als Beweismittel herangezogen werden, „wenn die darauf gesicherte[n] Dateien durch das zuständige Gericht […] nach Anhörung des Betroffenen beschlagnahmt worden“ seien, meint Strate. Das allerdings sei „zu keinem Zeitpunkt geschehen“.

Strate leitete deswegen ein Beschwerdeverfahren gegen die Thüringer Staatsanwaltschaft vor dem OLG Jena in die Wege. Sollte er Erfolg damit haben, könnte das möglicherweise Auswirkungen auf das Verfahren am Landgericht haben.

Vorgeschichte: Richter kippte Corona-Maßnahmen – des Kindeswohls wegen

Der damals 58-jährige Angeklagte hatte auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), des Paragraphen 157 FamFG und der Artikel 1, 2, 6 und 100 des Grundgesetzes per einstweiliger Anordnung entschieden, dass mehrere „COVID-19-Schutzmaßnahmen“, die das Land Thüringen verhängt hatte, an zwei Weimarer Schulen unverzüglich aufzuheben seien.

Dettmar untersagte unter Verweis auf das Kindeswohl die Pflichten zum Maskentragen, zur Einhaltung von Mindestabständen und zur Teilnahme an SARS-CoV-2-Schnelltests für alle Schüler an den beiden Bildungseinrichtungen. Außerdem ordnete er Präsenzunterricht an. Er stützte sich unter anderem auf drei Sätze aus dem BGB:

  • „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.“ (BGB, Paragraph 1666, Absatz 1)
  • „In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.“ (BGB, Paragraph 1666, Absatz 4).
  • „Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.“ (BGB, Paragraph 1697, Absatz 1)

Noch bevor das Oberlandesgericht Jena Dettmars Beschluss am 14. Mai 2021 wegen angeblicher Nichtzuständigkeit des Familiengerichts aufhob (1 UF 136/21), hatte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Richter eingeleitet.

Schon Ende April ließ sie das Dienstzimmer, die Privatwohnung und das Auto des Juristen durchsuchen und beschlagnahmte neben anderen „Beweismitteln“ sein Smartphone. Auch bei acht Kontaktpersonen Dettmars wurden laut „Legal Tribune Online“ Handys, Computer und Laptops eingezogen. Und zwar bei drei Gutachtern, bei der Mutter der betroffenen Schüler und ihrer Anwältin, bei einem Richterkollegen, bei einem Mitarbeiter des Weimarer Familiengerichtes und bei einem befreundeten Ehepaar.

Dettmar wurde nach Angaben seines Strafverteidigers Gerhard Strate (PDF) am 19. Januar 2023 auf Antrag des „grünen“ thüringischen Justizministeriums vom Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte am Landgericht Meiningen „vorläufig des Dienstes enthoben“.



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