Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig: Unternehmensteuerreform soll „Wirtschaftswende“ ermöglichen

Bundesfinanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck sehen Deutschland nicht mehr als international wettbewerbsfähig an. Wie konnte der Niedergang so schnell geschehen? Wirtschaftsfachleute sehen viele hausgemachte Probleme – unter anderem die hohen Steuern und Abgaben.
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Das Archivbild zeigt eine Mauer vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Berlin.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 7. Februar 2024

„Deutschland fällt zurück, weil das Wachstum ausbleibt. Der Standort ist nicht mehr wettbewerbsfähig.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) äußerte die beiden Sätze jüngst gegenüber dem „Handelsblatt“. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war schon einige Tage zuvor zum gleichen Schluss gelangt: „Auch ich sehe, dass wir in der Summe eine Unternehmensbesteuerung haben, die international nicht mehr wettbewerbsfähig und investitionsfreundlich genug ist“, präzisierte er in der „Welt am Sonntag“.

Doch wie konnte es so weit kommen? Habeck sprach bei einem Besuch im Berliner Axel-Springer-Gebäude nach Angaben der „Welt“ von „selbstgemachten Probleme[n]“, die er der schwarz-roten Vorgängerregierung anlastete. Konkret nannte der grüne Minister die „fehlende Digitalisierung, zu starke Bürokratisierung, komplizierte Prozesse bei der Genehmigung von Beihilfen in Europa, fehlende Freihandelsabkommen“. Als „Hauptursache“ habe er wie gewohnt die „bisher große Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen“ genannt. Zwei Wochen zuvor hatte Habeck der „rechtspopulistischen AfD“ den Schwarzen Peter zugeschoben. Die Oppositionspartei sei „Gift für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ und „für das gesellschaftliche Klima“, so der Wirtschaftsminister laut „Welt“.

Verschiedene Krisen – viele hausgemacht

Wirtschaftsfachleute des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln verorten die Probleme hauptsächlich woanders: Prof. Michael Grömling etwa nannte kürzlich nicht nur die „geopolitischen Verwerfungen“ rund um die Ukraine und „haushaltspolitischen Unklarheiten“ als Krisentreiber, sondern auch die Corona-Pandemie, die Inflation, den Fachkräftemangel, den „Strukturwandel im Zuge der Dekarbonisierung“ und die hohen Energiekosten. Also samt und sonders Probleme, die politisch auch anders hätten gelöst werden können.

„Die Ampel verspricht viel und hält wenig. Das Desaster um den Haushalt zeigt, wie gravierend die Lage ist“, sagte IW-Direktor Prof. Michael Hüther bereits Ende 2023. Die „Deindustrialisierung und eine zunehmende Orientierung ins Ausland“ habe bereits begonnen. Seiner Ansicht nach würden die Probleme noch schlimmer werden, falls es nicht zu einer Reform der Schuldenbremse komme; was Lindner laut „Bild“ noch immer strikt ablehnt.

Zu hohe Steuern und Abgaben

Für IW-Spezialist Tobias Hentze spielen vor allem die hohen Steuersätze für Unternehmen eine wichtige Rolle für den Niedergang. Nach Angaben der „Wirtschaftswoche“ habe eine aktuelle Studie unter Hentzes Mitwirkung ergeben, dass die nominale Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften mit 29,94 Prozent weltweit an der Spitze liege. Im Durchschnitt der OECD-Länder liege die Steuerquote nur bei 23,60 Prozent, im EU-Mittel bei 21,13 Prozent. Auch innerhalb Deutschlands tobe ein Steuerwettbewerb zwischen den Kommunen: Die ärmeren Städte seien häufig auf hohe Gewerbesteuersätze angewiesen, „was sie für Neuansiedlungen unattraktiv“ mache.

In puncto Einkommensteuern und Sozialabgaben der Arbeitnehmer liege die BRD „weit über dem OECD-Schnitt“. So müsse ein alleinstehender Mann ohne Kinder mit 47,8 Prozent fast die Hälfte seines Lohns dafür hergeben – über 13 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt der Industrieländer. Sonder- oder Bonuszahlungen würden sogar mit durchschnittlich 58,4 Prozent belastet. Im Mittel der OECD-Staaten seien es nur etwa 44 Prozent. Es fehlt also an Kaufkraft. Eine schnelle Lösung sehe IW-Ökonom Hentze aber nicht:

Man kann nicht auf einen Schlag den Mittelstandsbauch beseitigen, die Unternehmensbesteuerung auf internationales Durchschnittsniveau bringen und gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten.“

Für 2024 erwartet die Industriestaatenorganisation OECD nach Angaben der „Zeit“ in Deutschland ein BIP-Wachstum von 0,3 Prozent. Im Herbst war sie noch von einem 0,6-Prozent-Plus ausgegangen. Die EU solle immerhin um 0,6 Prozent wachsen, die Weltwirtschaft um 2,9 Prozent. Für das Jahr 2025 sagt die OECD für Deutschland ein Wachstum von 1,1 Prozent voraus. Für die EU 0,2 Prozentpunkte mehr.

Nach Informationen des britischen Wirtschaftsmagazins „The Economist“ geht der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass Deutschland auch in den nächsten fünf Jahren langsamer wachsen wird als Amerika, Großbritannien, Frankreich und Spanien.

Unternehmenssteuerreform und „Wachstumsagenda“ sollen kommen

Was also tun, um den stotternden Motor der Industrienation Deutschland wieder zum Laufen zu bringen? Nachdem Habecks Vorschlag, unter dem Etikett „Sondervermögen“ neue Milliardenschulden für Unternehmenssubventionen zu machen, von Lindner und seinen Parteikollegen aus den Reihen der Bundestagsfraktion abgelehnt worden war, heißt das Zauberwort nun „Unternehmenssteuerreform“. Für dieses Schlagwort können sich offenbar nicht nur Habeck und Lindner, sondern auch die Fraktionen der Grünen, der FDP, der Union und der AfD grundsätzlich erwärmen.

Lindner: mit „Wachstumsagenda“ und „Dynamisierungspaket“ zur „Wirtschaftswende“

Wie das „Handelsblatt“ (Bezahlschranke) berichtet, erwartet Finanzminister Lindner noch im Februar 2024 Vorschläge aus dem Kabinett für eine „Wachstumsagenda“, die ohne eine noch höhere Staatsverschuldung auskommen soll. Er selbst plädiert unter anderem für eine Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags.

Laut „Welt“ sprach Lindner jüngst zudem von einer „Wirtschaftswende“ und einem „Dynamisierungspaket“, das „mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt und die Reduzierung von Bürokratielasten“ mit sich bringen solle, damit „private Investitionen, Gründergeist und Wettbewerbsfähigkeit“ entfesselt werden könnten. Außerdem solle das bereits ausverhandelte „Klimaschutzgesetz“ endlich verabschiedet werden.

Was eine Unternehmenssteuerreform angehe, wolle er „die steuerlichen Anreize im Wachstumschancengesetz für Investitionen und Forschung“ in diese Richtung „ausdehnen“, sagte Lindner. „Und schließlich brauchen wir eine Energiepolitik, die sich vor allem auf Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Preise konzentriert“, so der Finanzminister gemäß „Welt“. Die Atomkraft kommt dafür allerdings nicht mehr infrage. Obwohl die EU sie erst kürzlich als „grüne“ Technologie und damit als förderbar bestätigt hatte, hält die Ampel am Status quo fest: Die Regierung hatte die letzten drei AKW Mitte April 2023 abschalten lassen.

Ökonomen: Besser in Bildung und Forschung als in Batteriefabriken investieren

Clemens Fuest, der Präsident des Münchner ifo-Instituts, sieht das Grundproblem für den wirtschaftlichen Abstieg bei der Regierung selbst – insbesondere bei den „konsumtiven Staatsausgaben“, denen die Ampel Vorrang gewähre. Nach einem Artikel des Magazins „Cicero“ empfahl er am 5. Februar 2024 während einer Expertendiskussion im Anschluss an die OECD-Präsentation zur Wachstumsprognose, stattdessen mehr Geld für Investitionen auszugeben.

Subventionen beispielsweise für Batteriefabriken halte er für eine „wirklich[e] Geldverschwendung“. Besser sei es, in die entsprechende Forschung zu investieren. Das Beispiel USA, in denen Präsident Joe Biden mit seinem milliardenschweren Inflation Reduction Act (IRA) ebenfalls auf die Ansiedlung derartiger Werke setze, habe Washington „fiskalisch […] auf Crashkurs“ gebracht. Dahinter steckt nach Einschätzung Fuests Bidens Wunsch zur Wiederwahl im November 2024.

Fuest wies zudem darauf hin, dass staatlich „überzogen“ geförderte Werke Fachkräfte aus der Privatwirtschaft abziehen könnten – eine Gefahr für private Investitionen. Die Industriepolitik solle sich von daher insgesamt mehr darauf beschränken, für stärkere Standortfaktoren zu sorgen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, könne man erfahrungsgemäß besser auf künftige Herausforderungen reagieren. Immerhin wisse man heute noch nicht, „welche Industrien in den nächsten Dekaden gebraucht“ würden.

Auch Stefan Kooths, Konjunkturforscher am Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifW), halte Ausgaben zur Ansiedlung von Batterie-, Stahl oder Chipfabriken für eine „sehr fragwürdige Investition“. Wohlstand entstehe „durch Unternehmen, die Steuern zahlen“, aber nicht durch Unternehmen, „die Steuermittel in Empfang “ nähmen. Angesichts des demografischen, „unausweichlichen Strukturwandels“ sei es besser, etwas gegen die „eklatanten Schwächen im Bildungsbereich“ zu tun, zum Beispiel mit mehr Wettbewerb unter den Schulen selbst.

Auch Habecks angedachten Sondervermögenstopf sieht Kooths laut „Cicero“ kritisch. Aktuelle „Verteilungskonflikte“ würden damit lediglich in eine Zukunft verlagert, in der ohnehin „noch stärkere Verteilungskonflikte zu erwarten“ seien. Unterm Strich, so „Cicero“, hätten Kooths und Fuest dafür plädiert, die Sozialausgaben zu kürzen, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, maßvoll zu investieren, sinnvoll zu priorisieren und nicht zu viel in die Wirtschaft einzugreifen. Zu bevorzugen seien dabei „langfristige Linien“.

Platzt die Ampel doch noch wegen der multiplen Krisen?

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hatte schon vor drei Wochen vorwiegend die Politik der Grünen als Bremsklotz für einen Aufschwung ausgemacht. Für viele Menschen sei „keine gemeinsame Richtung mehr erkennbar“, so Kubicki laut „Welt“. Er könne seiner Partei nicht raten, „nach der Bundestagswahl noch einmal mit den Grünen zu koalieren.“

Wie die „Bild“ (Bezahlschranke) jüngst berichtete, diskutieren Ampelgegner in der FDP hinter den Kulissen bereits den Zeitpunkt, der sich für einen Ampelbruch eignen würde. Im Gespräch seien die Phase vor der Europa-Wahl am 9. Juni 2024 oder vor den Landtagswahlen im Herbst. Denkbar sei der Schritt auch im Zuge der Verhandlungen über den Haushalt 2025.



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