Ver.di-Chef gegen grün-rote Subventionspläne für Industriestrom

Der Gewerkschaftsboss Frank Werneke hält nichts von einem staatlich gedeckelten Industriestrompreis für ausgewählte Branchen, wie ihn SPD und Grüne wollen: Das sei „sozialpolitisch nicht verantwortbar“. Eine Entscheidung ist nicht in Sicht.
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Archivbild: Deutschland zählt seit Jahren weltweit zu den Ländern mit den höchsten Strompreisen. Wirtschaftliches Produzieren für den Weltmarkt ist kaum noch möglich.Foto: Sebastian Gollnow/dpa/dpa
Von 13. September 2023

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Der Strom in Deutschland ist viel zu teuer: Industrie- und Mittelstandsvertreter beklagen seit Jahren den internationalen Wettbewerbsnachteil, private Verbraucher ächzen unter den hohen Energiekosten für Licht, Kühlschrank und Fernsehen.

Die seit einigen Monaten kontrovers diskutierte Idee, speziell der Industrie einen gedeckelten Minitarif für Strom anzubieten, trifft bei Frank Werneke (SPD), dem Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, im Interview mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) auf wenig Verständnis:

Es hätte enorme Sprengkraft, wenn ein Bürger, der mit dem gesetzlichen Mindestlohn gerade so über die Runden kommt, für seinen Strom 35 Cent die Kilowattstunde zahlt, während die Großindustrie mittels staatlicher Subventionen nur 5 oder 6 Cent zahlt.“

„Sozialpolitisch nicht verantwortbar“

Werneke gab zu bedenken, dass die „Aktionäre der Konzerne“ über einen subventionierten Industriestrompreis „nebenbei fröhlich weiter bedient“ würden. Insgesamt sei die Idee „sozialpolitisch nicht verantwortbar“. Er plädiere deshalb für einen „deutlich breiteren Ansatz“: Wenn schon Subventionen für niedrigere Strompreise, dann auch in den „Sozialeinrichtungen oder dem Gesundheitswesen“. „Auch bei vielen privaten Haushalten“ sehe er dazu einen großen „Handlungsbedarf“.

Woher das Geld für flächendeckende Strompreissubventionen kommen soll, ließ Werneke im Vagen. Das „Dogma der Schuldenbremse“, wie es die FDP in den Haushaltsberatungen vertrete, halte er jedenfalls für „grundfalsch“. Demgegenüber sehe er „ein relativ ohnmächtiges Handeln von Grünen und SPD“, die den Preisdeckel für die Industrie wollten.

Werneke: Europäische Zentralbank verantwortlich für „schwierige Situation“

„Das Gerede“ über Deutschland als „kranken Mann Europas“ halte er im Übrigen nur „für ein durchsichtiges Manöver“ der „Wirtschaftsverbände“. Es sei in Wahrheit „die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank“, die europaweit die Verantwortung für die derzeit „schwierige wirtschaftliche Situation“ trage.

In Deutschland komme erschwerend dazu, dass eine „fast junkiemäßige Abhängigkeit der deutschen Großindustrie vom billigen russischen Gas“ entstanden sei und die Wirtschaft sich stark „auf Exporte“ orientiere. „Insbesondere nach China“, fügte der Sozialdemokrat im RND-Interview hinzu.

Grüne wollen bedingten befristeten Preisdeckel für bestimmte Produzenten

Innerhalb der rot-grün-gelben Bundesregierung sorgt die Frage nach einem Extra-Industriestrompreis seit Monaten für Streit. Für einen bis 2030 übergangsweise gedeckelten Kilowattstundenpreis zugunsten energieintensiver Branchen wie Chemie, Stahl, Metall, Glas oder Papier machen sich seit Monaten insbesondere die Grünen stark. In der Partei ziehen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und die Fraktion dafür an einem Strang.

Nach Vorstellungen Habecks soll der „Brückenstrompreis“ sechs Cent pro Kilowattstunde betragen und für 80 Prozent des Stromverbrauchs gelten. Der günstige Preis soll der Wettbewerbsfähigkeit dienen, die Beschränkung auf vier Fünftel einen Sparanreiz bedeuten.

„Der massive Ausbau von Erneuerbaren Energien“ soll, so plant es Habeck nach Angaben der „Frankfurter Rundschau“, „mit klugen Instrumenten für den direkten Zugang der Industrie zu billigem grünem Strom gekoppelt“ werden. Im Gegenzug müssten sich die Unternehmen ganz im Sinne des Ampeltransformationskurses aber verpflichten, bis 2045 „klimaneutral“ zu sein, am Standort zu bleiben und sich an die Arbeitstarifverträge zu halten.

Ende Juli hatte Habeck in einem „Tagesthemen“-Interview den Druck auf die Ampel erhöht: Es drohe die Deindustrialisierung, falls die Regierung nicht bereit sei, weitere Kredite für Subventionen aufzunehmen. Bereits im Juni hatte sein Ministerium laut „Focus“ eingeräumt, dass die Strompreise vermutlich für 20 Jahre so hoch bleiben werden wie aktuell – trotz des geplanten Ausbaus von Sonnen- und Windenergie.

SPD: Fünf Jahre lang fünf Cent für ausgewählte Branchen

Bei der SPD sind es vor allem die Fraktionsmitglieder um Parteichefin Saskia Esken und Lars Klingbeil, die einen mit Steuermitteln gestützten Industriestrompreis wollen. Er soll vor Steuern und Umlagen fünf Cent betragen und fünf Jahre lang nur für ausgewählte Branchen gelten. Zuletzt legte die Fraktion in den letzten Augusttagen einen „Sechs-Punkte-Plan“ vor, bei dem ein solcher Preis die zentrale Forderung darstellte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konnte sich trotz anderslautender Versprechungen im Bundestagswahlkampf 2021 („Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent“) dazu aber bislang nicht durchringen: Er lehne eine „Dauersubvention von Strompreisen mit der Gießkanne“ ab, bekräftigte er zuletzt Mitte August 2023 beim Unternehmertag NRW in Düsseldorf:

Das wäre ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde sicherlich auch falsche Anreize setzen.“

Darüber hinaus wies Scholz Berichte über eine schwächelnde deutsche Wirtschaft zurück: „Deutschland ist hocherfolgreich als Exportnation“, sagte er im ZDF-„Sommerinterview“.

FDP: Industrie-Entlastungen „ungerecht“

Unter den Liberalen sind sowohl Bundesfinanzminister Christian Lindner als auch die Fraktion strikt gegen subventionierten Strom für die Industrie. Lindner argumentiert ähnlich wie ver.di-Mann Werneke, dass es ungerecht sei, lediglich die Industrie zu entlasten, den Mittelstand und die Bürger aber weiter hohe Preise zahlen zu lassen. Um alle zu unterstützen, fehlt es nach Auffassung von Lindner im Haushalt an Geld.

Lindner schwebt deshalb offenbar sogar eine weitere Belastung für Unternehmen vor: Im Juli wurde bekannt, dass er den sogenannten „Spitzenausgleich“ (SpaEfV) abschaffen will. Mit diesem Werkzeug können Unternehmen des produzierenden Gewerbes ihre Stromsteuer auf Antrag erstatten lassen.

Nachdenken könne man allerdings über eine Reduzierung der Stromsteuer, sofern Geld vorhanden sei, ergänzte der FDP-Politiker vor zwei Wochen gegenüber den ARD-„Tagesthemen“. Aus seiner Sicht brauche Deutschland aber vor allem einen schnelleren Zubau von Energieerzeugung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Erleichterung von Strompartnerschaften zwischen Energieversorgern und Großverbrauchern.

Ministerpräsidenten drängen auf niedrigen Industriestrompreis

Erst vor wenigen Tagen hatten sich die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen erneut für einen günstigen Industriestrompreis starkgemacht. NRW-Chef Hendrik Wüst (CDU) drängte auf eine zügige Entscheidung. Sein niedersächsisches Pendant Stephan Weil (SPD) befürchtet andernfalls „wirklich erhebliche Auswirkungen“ auf den Industriestandort Deutschland.

Auch eine Allianz großer Industriegewerkschaften wie der IGBCE, IG Metall und des Deutschen Gewerkschaftsbunds sowie Wirtschaftsverbänden mehrerer Branchen hatten sich in einem gemeinsamen Papier bereits klar für einen Industriestrompreis ausgesprochen – und sich damit gegen den aktuellen Standpunkt der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di positioniert.

Manche Verbände melden Bedenken an

Andererseits gibt es auch Gegner in der Wirtschaft, die die Sache eher wie Gewerkschaftsboss Werneke oder die FDP betrachten. Die „Deutsche Industrie- und Handelskammer“ (DIHK) etwa wiederholte ihre Bedenken gegen ein Konzept, von dem nur bestimmte energieintensive Betriebe profitierten. Eine Senkung der Stromsteuer und eine schnellere Ausweitung des Stromangebots seien die bessere Alternative, so die DIHK: Davon könne die deutsche Wirtschaft in der gesamten Breite profitieren.

Ähnlich hatte bereits im Mai Markus Jerger argumentiert, der Vorsitzende der Bundesvereinigung Der Mittelstand: Eine Begrenzung des Empfängerkreises für den „Brückenstrompreis“ sei „nicht nur falsch […], sondern existenzbedrohend“.

Dem stimmte Ende August der Nationalökonom Prof. Jens Südekum von der Universität Düsseldorf im ZDF zu: Ein zu teurer Strompreis hindere gerade im Mittelstand „zahlreiche Industriezweige, die noch mit fossilen Energien operierten“, daran, vollständig auf Strom als Energiequelle umzurüsten. Der Strombedarf würde sich dann „um das Zehnfache erhöhen“. Zur „Transformation“ bedürfe es eines günstigen Strompreises.

Ökonom Fratzscher: Bloß kein gestützter Industriestrompreis!

Prof. Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Regierungsberater, hält ebenfalls nichts von einem subventionierten Industriestrompreis, weil dieser „die Stromkosten für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger erhöhen und die Transformation verlangsamen würde“. Zudem sei unklar, woher das Geld für all die staatlichen Maßnahmen kommen solle: „Bei Einhaltung der Schuldenbremse wird dies schlichtweg nicht möglich sein oder nur durch Schattenhaushalte an der Schuldenbremse vorbei“, prognostiziert Fratzscher.

Auch der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, sieht einen verbilligten Industriestrompreis kritisch: „Wenn wir Steuergeld in die Hand nehmen, dann doch nicht, um Industrien zu subventionieren, von denen wir heute schon wissen, dass sie nicht die Wachstumsbranchen von morgen sind“, so Schularick im „Spiegel“.

Klingbeil setzt Deadline

Für die finale Entscheidung hat die Ampelregierung nach Ansicht von SPD-Co-Parteichef Lars Klingbeil bis zum 1. Dezember 2023 Zeit. Dann entscheidet der Bundestag nach jetzigem Stand über den Haushalt 2024. Klingbeil ist für einen gedeckelten Preis.



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